Bad Oldesloe . Am Sonntag geht es an die Urnen, auch Politiker aus Schleswig-Holstein dürfen auf einen Platz im Parlament hoffen.
Am kommenden Sonntag ist es so weit. Rund 190.000 Stormarner sind aufgerufen, über das Machtverhältnis im Europäischen Parlament abzustimmen. Umfragen deuten auf eine hohe Wahlbeteiligung für die Richtungswahl hin, die schon jetzt für Superlative sorgt: 40 Parteien stehen auf dem historisch langen Stimmzettel – so viele wie noch nie.
Für die bundesweiten Spitzenkandidaten der großen Parteien ist ein Platz in Brüssel und Straßburg sicher. Aber auch im hohen Norden werben Kandidaten seit Monaten für ihre Vision von Europa, kämpfen um Stimmen auf Podiumsdiskussionen und Wahlkampfveranstaltungen. Welche Chance haben sie auf einen der 96 deutschen Plätze im Parlament?
Bei knapp 100 Mandaten hilft eine einfache Faustregel: Pro erreichtem Prozentpunkt der Partei, darf sich ein Politiker auf einen Platz im Parlament freuen. Wer entsendet wird, ist über Listenplätze geregelt. Eine Hürde für kleine Parteien gibt es nicht.
Eine Kandidatin kommt aus Stormarn
Die Stormarner Kandidatin Delara Burkhardt ist in Siek aufgewachsen und hat an der Stormarnschule in Ahrensburg Abitur gemacht hat. Sie ist Vize-Vorsitzende der Jugendorganisation Jusos und wurde von der SPD auf Listenplatz 5 nominiert. Sie kann sich also schon sicher sein, in das Parlament einzuziehen. Auch wenn das Ergebnis ihrer Partei den Prognosen nach Sonntag deutlich schlechter ausfallen dürfte als bei der Wahl 2014, bei der die Sozialdemokraten 27,3 Prozent erreichten.
Sicher ins Parlament einrücken wird auch Niclas Herbst aus Kiel, Spitzenkandidat der Landes-CDU. Zittern müssen der Kieler Patrick Breyer von der Piratenpartei, Marianne Kolter von der Linken aus Pinneberg und der Flensburger Rasmus Andresen, Spitzenkandidat der Landes-Grünen.
Im Bundesvergleich liegt die Wahlbeteiligung im Kreis regelmäßig etwas über dem Durchschnitt, stieg in den vergangenen Urnengängen immer stärker an: Gaben 2004 noch 39.8 Prozent der Wahlbeteiligten ihre Stimmen für das EU-Parlament ab, stieg die Beteiligung 2009 auf 41,9 Prozent. 2014 ging rund die Hälfte der Stormarner Wahlberechtigten zur EU-Wahl an die Urne (50,6 Prozent), bundesweit waren es 48,1 Prozent.
CDU führte bei Wahl 2014
Die meisten Stimmen zur EU-Wahl erreichten im Kreis damals die CDU (siehe Grafik) mit 34,1 Prozent, gefolgt von SPD (31,7 Prozent) und Grünen (13 Prozent). Im Vergleich zum Bundesergebnis erreichten die Sozialdemokraten (27,3 Prozent) und die Öko-Partei (10,7 Prozent) damit gute Ergebnisse in Stormarn. Die AfD konnte 7,4 Prozent der Stimmen im Kreis gewinnen, Linke und FDP erreichten rund vier Prozent der Wähler.
Niclas Herbst (CDU): Regionale EU-Förderung stärken
Junge Union, Kreistag, Landtag und jetzt Europäisches Parlament? Als 17-Jähriger trat Niclas Herbst, geboren 1973 in Ratzeburg, in die CDU ein und machte zunächst in der Jungion Union Karriere. Als er 1992 sein Abitur ablegt, ist er bereits Kreisvorsitzender der Jugendorganisation im Kreis Herzogtum Lauenburg. Nach dem Schulabschluss folgen Wehrdienst, eine Ausbildung zum Hauptmann der Reserve und ein Studium in Politikwissenschaften, Jura und Psychologie in Kiel in den Jahren 1994 bis 2000.
2005 zieht er per Direktmandat in den Kieler Landtag ein. 32 Jahre ist der Ratzeburger alt und voller Tatendrang: „Ich hatte das Gefühl, dass die Leute hier im Land froh sind, dass auch mal ein junger Politiker kandidiert“, sagte er damals zum Abendblatt. Bis 2012 arbeitet Herbst im Landtag, die letzten drei Jahre als Europapolitischer Sprecher seiner Fraktions. Auf eine Neuwahl verzichtet er zugunsten von Parteikollege und Ex-Landesinnenminister Klaus Schlie, der durch eine Neueinteilung in seinem Wahlkreis nicht mehr antreten konnte.
Herbst, der mit Innenstaatssekretärin Kristina Herbst drei Kinder hat, gilt als enger Vertrauter von Ministerpräsident Daniel Günthers. Seit 2017 arbeitet der 46-Jährige als Abteilungsleiter in dessen Staatskanzlei. Für die Wahl ins EU-Parlament kandidierter er bereits 2009 und 2014 – jeweils auf Listenplatz 2, Mit Listenplatz 1 ist sein Einzug sicher, für den neuen Zweiten – Lars Kuhlmann – stehen die Chancen schlecht.
In Straßburg und Brüssel will Herbst sich für ein bürgernahes und zukunftsfähiges Europa einsetzen. Europa habe, so Herbst, seine eigenen Werte vernachlässigt, verfrüht neue Mitgliedsstaaten aufgenommen. Außerdem liegen dem Kieler eine gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik am Herzen, gemeinsamer Wohlstand sowie die EU-Förderungen im ländlichen Raum.
Burkhard sicher für die SPD im EU-Parlament – Kreft wird’s nicht schaffen
Nicht immer sind sich Spitze und Basis einig: Noch im November setzte sich Enrico Kreft aus Lübeck gegen die Empfehlung des SPD-Landesvorstand gegen die stellvertretende Juso-Vorsitzende Delara Burkhardt (26) durch. Der 40-Jährige Verlagsmitarbeiter durfte als Spitzenkandidat auf einen guten Listenplatz hoffen. Über den wird indes in Berlin entschieden. Und dort sah man den Lübecker nicht auf den vorderen Rängen. Am Ende reicht es für Kreft für den 30. Platz – eine Kandidatur unter ferner liefen, seine vierte für das EU-Parlament.
Für Delara Burkhardt ist es die erste. Auf Listenplatz 5 wird die gebürtige Siekerin mit ihren 26 Jahren sicher ins EU-Parlament einziehen. 2009 trat sie ihrer Partei bei, wurde nach dem Abitur in Ahrensburg 2012 Beisitzerin im Kreisvorstand der SPD Stormarn und Mitarbeiterin bei dem Landtagsabgeordneten Tobias von Pein.
Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, dort zuständig für die Themen Internationales, Migration und Social Media. Burkhardt hat Politik und Sozialökonomie in Hamburg und Kiel studiert. Sie tritt für eine solidarische Migrationspolitik ein, für eine europäische Friedenspolitik und will die Zusammenarbeit von Anrainerstaaten im Ostseeraum voranbringen.
Helmer Krane (FDP): Europäische Werte in der digitalen Welt
56 Jahre haben die deutschen Abgeordneten des Europaparlaments derzeit im Schnitt auf dem Buckel, das könnte sich ändern – auch durch Politiker wie ihn: Helmer Krane, Anwalt, Ortsvorsitzender der FDP in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg) und mit seinen 28 Jahren einer der Hoffnungen für eine Verjüngung des Parlaments.
Krane ist Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen FDP. Mit einem 16. Platz auf der FDP-Bundesliste stehen die Chancen für den Kommunalpolitiker aus dem Norden jedoch denkbar schlecht. Die Landes-FDP hatte gehofft Krane auf einen einstelligen Listenplatz zu bringen. Beim Europa-Parteitag der Bundes-FDP Ende Januar in Berlin folgte die Ernüchterung. Ein Rekordergebnis am Sonntag könnte noch helfen, wahrscheinlich ist es nicht.
Mit 18 Jahren ist Helmer in seiner Heimatstadt Bad Bramstedt den Freien Demokraten beigetreten. Von 2009 bis 2010 war er Schriftführer im Kreisvorstand der Segeberger Liberalen, seit Anfang 2013 ist er Mitglied im Finanzausschuss des Kreises, seit Ende 2013 Ortsvorsitzender seiner Partei in Bad Bramstedt.
Landesweit ist Krane bisher nicht in Erscheinung getreten, hat sich dafür als Online-Wahlkämpfer in mehreren Landesverbänden hinter den Kulissen für die Liberalen verdient gemacht. Anfang 2015 unterstützte der Jurist so den Onlinewahlkampf der Hamburger FDP zur Bürgerschaftswahl. 2016 half er seiner Partei zur Landtagswahl in ihrem Stammland Baden-Württemberg.
Im EU-Parlament will er sich mit Blick auf globale Internetkonzerne für eine Stärkung europäischer Werte in der digitalen Welt einsetzen. Außerdem ist Krane eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik wichtig, die sozialen Aufstieg ermöglichen soll sowie die Digitalisierung der Wirtschaft.
Rasmus Andresen (Grüne): Menschenrechte und Klima schützen
Viel Zeit für Berufserfahrungen hatte Rasmus Andresen nicht: Nach dem Abitur 2005 in Flensburg folgte ein Jahr als Zivildienstleistender und ein dreijähriges Studium der Verwaltungs- und Kommunikationswissenschaften in Roskilde: 2009 ging es mit 23 Jahren dann per Listenplatz für die Grünen in den Landtag. Nur einige Monate nach dem Bachelor-Abschluss startet er als jüngster Abgeordneter seine politische Karriere.
Von da an ist der heute 33-Jährige Berufspolitiker. 2012 und 2017 erlangt Andresen erneut ein Mandat für das Parlament in Kiel, engagiert sich hier besonders für die Themen Haushalt, Arbeitsmarkt, Minderheiten, Queer, Digitalisierung und Europa. Seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode ist er außerdem Vizepräsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages.
Als Spitzenkandidaten nominierten die Grünen neben dem 33-Jährigen auch Anna Leidreiter aus dem Kreis Segeberg. Die Klimaexpertin schaffte es dann aber nicht auf die Bundesliste. Andresen konnte sich den Platz 16 sichern und muss jetzt auf ein gutes Ergebnis seiner Partei am Sonntag hoffen. Nach Prognosen könnte es knapp reichen: Zwischen 15 und 19 Prozent erreicht die Ökopartei aktuell in Umfragen.
Andresen engagiert sich seit seinem 15. Lebensjahr in der Partei, zunächst in der Grünen Jugend. Neben seiner Arbeit in der Landespolitik sitzt er seit 2018 auch in der Flensburger Ratsversammlung.
Im EU-Parlament möchte Andresen besonders seine Erfahrungen in der Haushaltspolitik einbringen und sich in Digitalisierungsfragen profilieren. Zudem gehören Klimaschutz und Migration zu seinen Themen. Bisher hat Jan Philip Albrecht für die Grünen aus dem Norden im EU-Parlament gesessen, im September dann aber Robert Habeck als Landesumweltminister in Kiel abgelöst.
Patrick Breyer (Piraten): Keine Zensur im Netz
Glück für in und seine Partei, dass es bei der Europawahl keine Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen: Patrick Breyer, 42 Jahre alt, deutschlandweiter Spitzenkandidat der Piraten, hat reale Chancen, muss aber trotzdem zittern – ein Prozent der Stimmen muss seine Partei am Sonntag gewinnen.
Der Kieler Jurist hat zum Thema Vorratsdatenspeicherung promoviert und war bis zur schleswig-holsteinischen Landtagswahl 2012 als Richter im Amtsgericht Meldorf beschäftigt. Bis 2017 saß er als Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag.
Breyer versteht sich selbst als „Digitaler Freiheitskämpfer“, zog als Teil einer Bürgerrechtsbewegung erfolgreich gegen das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor Gericht, engagierte sich aber auch zum Datenschutz für Internetbenutzer und hat den Informationszugang zu Schriftsätzen der EU-Kommission erstritten. Er will die Menschenrechte im digitalen Zeitalter schützen, spricht sich für unzensiertes Internet und ein Europa ohne Grenzen aus.
Marianne Kolter (Linke): Soziale Klimawende
Seit 2015 ist Marianne Kolter, die seit 2009 in Pinneberg lebt, Vorsitzende der Linken im Land. 2017 trat sie als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl an – und scheiterte. Jetzt also Europapolitik? Mit Listenplatz 9 könnte es knapp werden, unmöglich ist die Wahl ins EU-Parlament für die 64-Jährige indes nicht.
Kolter hat Soziologie in Marburg studiert und trat 1977 der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei. Nach ihrem Studium machte sie eine Umschulung zur Netzwerkadministratorin und arbeitete viele Jahre als Datenbankspezialistin.
„Funktionären“, hat sie einmal gegenüber dem Abendblatt gesagt, sei sie nie gewesen. Ihr ging es um Widerstand: gegen Apartheid, Atomkraft und für außerparlamentarische Kommunalpolitik. Auch heute ist die Politikerin er Umwelt- und Anti-Atombewegung aktiv. In Europa will sie für eine soziale Klimawende sorgen. In der Landwirtschaftspolitik sollen Förderung etwa nicht für Flächen, sondern für Umwelt und Landschaftsschutz vergeben werden.
Julian Flak (AfD): Grenzen setzen
Julian Flak wurde 1982 in Henstedt-Ulzburg geboren, wo er nach dem Abitur in einer mittelständischen Unternehmensgruppe arbeitete. Nebenbei machte er außerdem ein Diplom als Wirtschaftsjurist. Seit 2013 engagiert er sich in der AfD und hat den Hamburger Landesverband der rechtspopulistischen Partei mit aufgebaut. Von 2015 bis 2017 war Flak Mitglied des Bundesvorstand. Seit 2017 ist er außerdem als Referent für Abgeordnete tätig.
Der 37-Jährige wohnt in Kaltenkirchen und sitzt dort für seine Partei in der Stadtvertretung. Außerdem ist Flak Mitglied des Kreistags Segeberg. Für einen Sitz im Europäischen Parlament wird es für den AfD-Politiker sehr wahrscheinlich nicht reichen: Die Delegierten wählten Flak bei einem Bundesparteitag im Januar nur auf Listenplatz 22. Für eine Einzug ins EU-Parlament müsste die AfD ihr Ergebnis damit im Vergleich zu 2014 (7,1 Prozent) mehr als verdreifachen. Flak tritt für Bürokratieabbau, ein Europa mit starken Grenzen und für mehr nationale Kompetenzen ein.