Bad Oldesloe. Urnengang bricht Rekorde: Stimmzettel misst 87 Zentimeter. 190.000 Stormarner wahlberechtigt. 40 Parteien treten an.

87 Zentimeter, ein Rekord: Der Wahlzettel ist so lang, dass er mehrfach gefaltet werden muss, damit er in einen Briefumschlag passt. 40 Parteien werben in Schleswig-Holstein bei der Europawahl um Stimmen, eine neue Höchstzahl. Auch rund 190.000 Stormarner sind am Sonntag, 26. Mai, aufgerufen, ihr Kreuz zu machen. Das sind mehr als je zuvor. Etwa 180 Wahllokale werden im Kreisgebiet öffnen, betreut von mehr als 1600 ehrenamtlichen Helfern. Eine Woche vor dem Urnengang appelliert Stormarns Kreiswahlleiter, Landrat Henning Görtz, das Stimmrecht wahrzunehmen: „Ich würde mich freuen, wenn wir in Stormarn bei der Europawahl eine hohe Wahlbeteiligung haben.“

Henning Görtz hebt die Bedeutung für Stormarn hervor: „Das vereinigte Europa mit seinen offenen Märkten ist einer der vielen Gründe für die gute wirtschaftliche Situation unseres Kreises.“ Es herrsche nahezu Vollbeschäftigung, der Kreis sei „auch deshalb schuldenfrei, weil wir viele starke Unternehmen haben, die Arbeitsplätze anbieten und Steuern zahlen“. Dies werde durch die gemeinsame Währung, freien Handel und die freie Wahl seines Arbeitsplatzes innerhalb der EU gefördert.

Europa sichert Wohlstand und Frieden auch in Stormarn

Europa sei aber auch wichtig für die Lebensqualität und den Wohlstand jedes einzelnen Stormarners. „Nicht nur, weil wir offene Grenzen haben, sondern weil bei uns seit mehr als 70 Jahren Frieden herrscht.“ Wer einander kennt, miteinander Handel betreibt und ein gemeinsames Parlament hat, führe keinen Krieg gegeneinander. „Dies ist für viele von uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden“, sagt Henning Görtz.

In einem offenen Brief mahnen auch elf leitende Vertreter der Nordkirche die Bedeutung der Europawahl an. „Als Christen sind wir dazu aufgerufen, die Politik auf Ebene der Europäischen Union in Achtung vor der Würde eines jeden Menschen mitzugestalten.“ Schleswig-Holsteins Landeswahlleiter Tilo von Riegen appelliert mit Blick auf die geringe Wahlbeteiligung bei der vergangenen EU-Parlamentswahl: „Gehen Sie zur Wahl, stärken Sie Europa!“ 2014 gaben nur 43 Prozent der Schleswig-Holsteiner ihre Stimme ab.

Beteiligung im Kreis lag 2014 über Landesschnitt

„In Stormarn ist die Beteiligung an Europawahlen zuletzt gestiegen“, sagt Gregor Tuscher, Europabeauftragter der Kreisverwaltung. Seit Februar bereitet er gemeinsam mit Hermann Harder und Kollegen im Büro der Kreiswahlleitung den Rekord-Urnengang vor. Bei der Europawahl vor 15 Jahren gaben nur 39,8 Prozent der Stormarner ihre Stimme ab, 2009 waren es bereits 41,5 Prozent. 2014 wählten mit 50,6 Prozent immerhin mehr als die Hälfte der Stormarner, der Kreis lag deutlich über dem Landesschnitt.

„Diese Entwicklung ist erfreulich und zeigt, dass das Interesse an Europa wächst“, sagt Tuscher. Man müsse aber berücksichtigen, dass vor fünf Jahren zeitgleich in mehreren Kommunen die Bürgermeister neu gewählt wurden. „Dieses Mal wird nur in Oststeinbek zeitgleich über den Verwaltungschef abgestimmt.“

Immer mehr Menschen machen von der Briefwahl Gebrauch. „Der Trend der vergangenen Jahre setzt sich fort, das ist schon jetzt erkennbar, die Briefwahl gewinnt enorm an Attraktivität“, sagt Europabeauftragter Tuscher. Die Abstimmung per Post kann bis Freitag, 24. Mai, um 18 Uhr, mit dem Antragsformular, welches der Wahlbenachrichtigung beiliegt, im Internet oder persönlich bei der Gemeindeverwaltung beantragt werden. Die bereits gestellten Briefwahlanträge ließen auf eine zufriedenstellende Wahlbeteiligung hoffen, so Tuscher.

11.000 Erstwähler und 100 Betreute sind stimmberechtigt

Wählen darf bei der Europawahl jeder Bürger eines EU-Mitgliedsstaats über 18 Jahre. Rund 11.000 Stormarner, die seit 2014 das 18. Lebensjahr vollendet haben, können am 26. Mai erstmals ihre Stimme abgeben. Auch 5400 Personen mit der Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Landes dürfen in Stormarn wählen. „EU-Bürger, die im Ausland leben, können sich entscheiden, in welchem Land sie wählen möchten“, sagt Hermann Harder. „Sie müssen allerdings im deutschen Wählerverzeichnis geführt sein.“ Erstmals wahlberechtigt in Deutschland sind Menschen mit Behinderung in Vollbetreuung und Menschen in Sicherheitsverwahrung. Das Bundesverfassungsgericht hatte im April in einem Eilverfahren entschieden, dass ein Wahlausschluss gegen das Grundgesetz verstößt. In Stormarn dürfen etwa 100 Betreute erstmals bei einer Europawahl ihre Stimme abgeben.

Anders als bei Bundes- oder Landtagswahlen haben die Bürger bei Wahlen zum Europäischen Parlament nur eine Stimme. „Es wird eine Parteiliste gewählt, kein Direktkandidat“, sagt Harder. Neben den mitgliederstärksten Parteien CDU, SPD, Grüne, Linke, FDP und AfD sind auf dem Wahlzettel auch viele Kleinstparteien zu finden, etwa die Partei für die Tiere oder die Partei „Menschliche Welt – für das Wohl und Glücklichsein aller“. Die Parteien bewerben sich um die 96 deutschen Sitze im Europäischen Parlament. Mit Ausnahme der CDU haben alle Parteien eine Bundesliste für ganz Deutschland aufgestellt.

Bei der CDU wählen die Einwohner Stormarns eine Landesliste für das Bundesland Schleswig-Holstein. Die Christdemokraten haben für jedes Bundesland eine gesonderte Liste erstellt, weil sie in Bayern zugunsten der Schwesterpartei CSU auf eine Wahlteilnahme verzichten.

Vier Nord-Kandidaten dürfen jetzt auf einen Sitz hoffen

Aus Schleswig-Holstein haben vier Kandidaten gute Chancen, in die europäische Volksvertretung einzuziehen. Als sicher gilt, sofern nichts Ungewöhnliches passiert, dass Niclas Herbst, der auf Platz eins der CDU-Landesliste kandidiert, den Sprung in das EU-Parlament schaffen wird. Auch die Siekerin Delara Burkhardt, die auf Rang fünf der SPD-Bundesliste steht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach einen Parlamentssitz erhalten. Gute Chancen rechnet sich auch Patrick Breyer (Piratenpartei) aus. Der Ex-Landtagsfraktionschef ist Spitzenkandidat seiner Partei im Bund. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode waren die Piraten mit 0,6 Prozent der Stimmen mit einem Sitz im EU-Parlament vertreten. Knapp gelingen könnte der Einzug dem Grünen Rasmus Andresen. Der Vizepräsident des Kieler Landtags steht auf Platz 16 der Bundesliste seiner Partei, die momentan elf Sitze hat.

Bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 war die CDU mit 34,1 Prozent der Stimmen stärkste Kraft in Stormarn. Es folgte die SPD mit 31,7 Prozent der Stimmen, den dritten Platz erreichten die Grünen mit 13,0 Prozent. Die AfD kam auf 7,4 Prozent. FDP und Linke folgten mit 4,2 und 4,1 Prozent.

Amt Bargteheide-Land findet doch noch genügend Helfer

Im Europaparlament schließen sich die gewählten Abgeordneten der Parteien der verschiedenen Länder mit Volksvertretern ideologisch ähnlich gefärbter Parteien zu transnationalen Fraktionen zusammen. CDU und CSU sind beispielsweise auf EU-Ebene gemeinsam mit anderen konservativen Parteien in der Fraktion der Europäischen Volkspartei organisiert, die SPD ist in der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten.

Die Stadt Bad Oldesloe und das Amt Bargteheide-Land haben bis zuletzt noch nach ehrenamtlichen Wahlhelfern gesucht. Während im Bargteheider Umland inzwischen alle Wahlvorstände besetzt werden konnten, meldeten sich in der Kreisstadt zu wenig Freiwillige. „Trotz gezielter Abfragen und Presseaufrufen sind nicht genügend freiwillige Wahlhelfer zusammengekommen, so dass 40 Verpflichtungen vorgenommen werden mussten. 80 Wahlhelferstellen konnten durch freiwillige Helfer besetzt werden“, sagt Stadtsprecherin Agnes Heesch.

Interessierte Bürger können sich trotzdem noch bei der Stadt unter den Telefonnummern 04531/504-110 und -111 oder im Internet (www.badoldesloe.de/wahlhelfer) melden. Besondere Vorkenntnisse seien nicht erforderlich, so Heesch. „Die Freiwilligen werden im Wahllokal von erfahrenen Wahlhelfern eingewiesen und unterstützt.“

Unentschlossene können den Wahl-O-Mat zurate ziehen

Die Wahllokale sind am Sonntag, 26. Mai, von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Die Wahlbenachrichtigung und der Personalausweis müssen zur Abstimmung mitgebracht werden. Wichtig: „Das Filmen und Fotografieren in der Wahlkabine ist ausdrücklich verboten“, sagt Hermann Harder. Bei Verstoß werde der Stimmzettel ungültig. So soll verhindert werden, dass Aufnahmen von Wahlzetteln in den sozialen Netzwerken verbreitet werden und die Abstimmung dadurch beeinflusst wird.

Wer noch unentschlossen ist, welcher Partei er seine Stimme geben möchte, kann im Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (www.wahl-o-mat.de) testen, mit welcher Partei die eigene Meinung die größte Übereinstimmung erzielt. Dazu müssen 38 Fragen rund um die EU beantwortet werden.