Ahrensburg. Unternehmerinnen sprechen im Abendblatt-Interview darüber, wie sie in einer von Männern dominierten Wirtschaft erfolgreich sind.
Edgar S. Hasse
Sie haben den Weg zum eigenen Unternehmen geschafft – Frauen, die sich im Netzwerk Selbständige Frauen Südholstein zusammengeschlossen haben. Während der Frauenanteil in DAX-Unternehmen gerade einmal bei sieben Prozent liegt, kann ihnen die Quote egal sein. Wie die Unternehmerinnen in einer weitgehend von Männern dominierten Wirtschaft erfolgreich sind - darüber sprach das Abendblatt mit Melanie Frehse, Angela Waßmann, Verena Neuse, Sabine Quaritsch, Natascha Goertz sowie Alexandra Wollweber.
In einem Vorgespräch zu diesem Interview haben fast alle schnell erwähnt, wie viele Kinder sie haben. Männer hätten das wohl nicht gemacht.
Melanie Frehse: Da wir uns hier zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf treffen, ist das ganz klar eine wichtige Information für die Gesprächsgrundlage. Deswegen zuerst die Anzahl der Kinder und dann der Job-Titel.
Angela Waßmann: Mein Job in der Bauleitung und im Projektmanagement hätte ich mit Kindern schlecht als Angestellte ausführen können. Flexible Arbeitszeiten sind ein Vorteil. Das hat mir die Selbstständigkeit ermöglicht.
Familie und Job funktionieren also besser, wenn man selbstständig statt angestellt ist?
Sabine Quaritsch: Klar. Ich war früher Leiterin bei der Ergo-Versicherung im Print-Marketing. Die Kinder waren noch klein – und ich voll berufstätig. Meine Erfahrung ist: Kinder zu haben, bedeutet für Frauen meist einen Karriereknick.
Den Schritt in die Selbstständigkeit haben Sie also nicht bereut?
Quaritsch: Das war der beste Schritt – nach den Kindern und dem Mann meines Lebens.
Wie alt waren Sie, als Sie sich mit dem Vertrieb ätherischer Öle selbstständig machten?
Quaritsch: Ich war 53, mein Mann 56 Jahre alt.
Frau Neuse, sie haben mit Ihrer Naturakademie Verantwortung für Pferde und weitere Tiere übernommen.
Neuse: Ich arbeite deutlich mehr, seit ich selbstständig bin. Selbstständig ist man irgendwie immer. Ich wollte keine Kinder und habe das auch nie bereut. Aber ich glaube, als Angestellte hätte ich ein besser planbares und strukturiertes Leben. Jetzt arbeite ich teilweise 18 bis 20 Stunden wegen der Tiere, weil ich seit zwei Jahren einen eigenen Hof habe. Ich bin fast nur noch draußen und überhaupt nicht mehr krank.
Sie haben einen Partner, der Sie unterstützt?
Neuse: Ja, er ist seit 15 Jahren selbstständig, hat eine Hundeschule und unterstützt mich handwerklich. Alles Administrative, alles Organisatorische und Konzeptionelle liegt bei mir.
Wie bekommen Sie Arbeits- und Familienzeit unter einen Hut?
Alexandra Wollweber: Früher hatte ich in einer Agentur als Artdirektorin gearbeitet, und zwar oft deutlich mehr als acht Stunden am Tag. Viel Zeit ging für Teamgespräche drauf. Wer selbstständig ist, kann sich besser organisieren und hat den direkten Kundenkontakt. Wir machen deshalb immer dort Urlaub, wo es WLAN gibt. Ich glaube, meine Kinder hatten trotzdem tolle Urlaube. Man strukturiert sich anders. WLAN und die Entwicklung der digitalen Technik in den letzten zehn Jahren sind prädestiniert für selbstständige Kreative. Man kann Kunden auf der ganzen Welt haben, sich Layouts hin und her schicken und telefonieren.
Frau Goertz, Sie sind Mutter und haben vor ihrer Tätigkeit als Kinder- und Jugendcoach als Angestellte Karriere gemacht.
Natascha Goertz: Ich war fünf Jahre alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern und habe in einem Familienunternehmen in leitender Funktion gearbeitet. Die weiteren Führungskräfte waren ausschließlich Männer.
Wie ist das so?
Goertz: Männer haben eine andere Herangehensweise als Frauen. Ich empfand es oft als anstrengend, da ich erlebt habe, dass Männer häufig nicht das große Ganze denken, sondern nur ihre Abteilung sehen und ihre Ideen voranbringen wollen. Ich hatte nicht nur die Abteilung, sondern auch die Menschen im Blick. Dies wollte ich ausleben. Meine beiden Kinder haben mich ermutigt, in die Selbstständigkeit zu gehen und eine Mission, Kindern und Jugendlichen zu helfen, zu erfüllen.
Sind Sie in Ihrer Zeit als Angestellte häufig Vorurteilen begegnet?
Goertz: Zu Beginn meiner Zeit als Führungskraft musste ich mich den Männern gegenüber beweisen. Schon nach kurzer Zeit wurde ich voll anerkannt. Es ging dann eher darum, welche Abteilungen wichtiger sind als die anderen. Und Ja, da habe ich auch Konflikte erlebt.
Teilen Sie die Beobachtung, dass Männer nicht das große Ganze im Unternehmen sehen?
Frehse: Hmm, das ist eher eine Typfrage. Wobei ich aber sagen kann, dass ich Frauen inzwischen als teamfähiger und ganzheitlich denkender empfinde.
Und ihre Statussymbole?
Frehse: Ich trage eine Casio-Uhr, gehe nur einmal im Jahr shoppen, habe keine teuren Marken-Handtaschen. Dafür leiste ich mir freie Wochenenden, um sie mit meinem Hund, meinem Au-Pair und meinem Sohn zu verbringen. Ich versuche, mich gesund zu ernähren, habe das Projekt, Sport und mehr Musik zu machen. Ich weiß aus meinem Umfeld, wie wichtig Männern oft auch Anerkennung im Job, ein tolles Auto und eine schicke Uhr sind. So sehr sogar, dass Zeit für die Familie auf Platz zwei rutscht.
Neuse: Meine Beobachtung durch die Arbeit mit Führungskräften ist, dass Männer eine große Sehnsucht haben, dieses Statusdenken abzulegen. Deshalb kommen sie zur Naturakademie, wo ein Lebewesen, in diesem Fall ein Pferd, sich dafür nicht interessiert. Wir sind übrigens die einzige Spezies auf dieser Welt, die das trennt. Jede Tierart hat männliche und weibliche Führungskräfte.
Quaritsch: Ich netzwerke sehr viel und ich bin überhaupt nicht gegen Männer: Ich hab ja auch einen, Gott sei Dank. Aber ich habe mich komplett darauf fokussiert, mich in Frauen-Netzwerken zu bewegen. Zum Beispiel im Verband deutscher Unternehmerinnen. Das ist ein anderes Miteinander, weil es immer darum geht zu gucken: Was braucht die andere? Was kann ich für dich tun? Wie können wir kooperieren? Sobald ein Mann dabei ist, verändert sich die Atmosphäre und die Situation.
Gilt das für die Baubranche auch?
Waßmann: Ich habe überwiegend mit Männern zu tun. Als Bauleiterin habe ich immer die ganze Palette – von der Geschäftsführung bis zum Handwerker. Handwerkerinnen gibt es auf der Baustelle nur selten. In der Projektplanung sind dann auch Architektinnen häufiger anzutreffen. Aus meiner Sicht ist die Mischung gut.
Was hat sich auf dem Bau noch verändert?
Waßmann: Die Frauen haben sich verändert. Sie sind selbstbewusster geworden und teamfähiger mit anderen Frauen, besinnen sich auf weibliche Stärken, die sich in der Führung positiv einsetzen lassen. Ich arbeite daher sehr gern mit Frauen zusammen.
Ist das ein Effekt des Feminismus?
Waßmman: Das ist die Wurzel. Es ist salonfähig geworden, dass ich sagen kann: Mein Kind ist mir das Wichtigste.
Quaritsch: Das klingt mir zu positiv. Wir sind noch Lichtjahre von Gleichberechtigung entfernt. Denken wir an die wenigen Frauen in den Aufsichtsräten. Wir machen gerade mit Riesenschritten eine Rolle rückwärts.
Frehse: Ich habe sogar auf meine Business-Karte geschrieben, dass ich Mutter bin. Damit möchte ich meinen Kunden und Geschäftspartnern signalisieren, dass ich leider keine Zeit für Schnattereien und einen entspannten Kaffee habe, sondern mein Tag als Alleinerziehende komplett durchgetaktet ist. Das kommt sehr gut an, da davon ausgegangen werden darf, dass ich sehr effektiv arbeite.
Quaritsch: Nach wie vor ist es so, dass Mütter, die selbstständig sind, als Einzelunternehmerin häufig wenig Anerkennung finden. Sie begegnen dem Vorurteil, dass sie das wohl alles nebenbei machen und in Wahrheit Hausfrau sind.
Neuse: Ich höre oft den Spruch. Sie haben Pferde und machen ihr Hobby zum Beruf. Das stimmt, weil Menschen mein Hobby sind.
Die meisten von Ihnen gehören dem Netzwerk Selbstständige Frauen Südholstein an. Wie wichtig sind solche Netzwerke?
Wollweber: Ich bin gar nicht in dieser Organisation. Die Mitgliedschaft wäre eine zusätzliche zeitliche Belastung. Ich habe mir in meiner Region ein eigenes Netzwerk aufgebaut. Zu dem gehören auch Männer. Sie entscheiden häufig schneller als Frauen.
Goertz: Ich bin als Mitglied neu in der Organisation Selbstständige Frauen Südholstein. Für mich ist der Austausch wichtig. Jede hat andere Fähigkeiten; davon profitiert wir alle.
Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die sich selbstständig machen wollen?
Quaritsch: Knüpfen Sie Netzwerke. Für jede Zielrichtung gibt es Netzwerke. Schmieden Sie Kontakte, seien Sie offen für Hilfestellungen, entdecken Sie Ihre Talente und besinnen Sie sich auf Ihre Stärken.
Das sind die sechs Frauen
Weltverbesserin
Sabine Quaritsch arbeitete nach Ausbildung und Studium zunächst in Werbeagenturen. Es folgten leitende Positionen im Marketing beim Versicherungskonzern Ergo und der Konditorei Junge. Als sie von einem Freund aus Australien ein Päckchen mit ätherischen Ölen zugeschickt bekam, war das die Initialzündung für eine eigene Geschäftsidee im Bereich Network Marketing. Im Alter von 53 Jahren wagte Quaritsch zusammen mit ihrem Mann Matthias den Sprung in die Selbstständigkeit. Beide gaben ihre gut dotierten Jobs auf und gründeten das Unternehmen Dufte Welt Quaritsch GmbH, das ätherische Öle vermarktet.
Wochenarbeitszeit: „Gefühlt 20 Stunden, real 50 plus.“
Letzter richtiger Urlaub: „Was heißt richtig Urlaub? Ich fahre übermorgen nach Portugal, nächste Woche von dort nach Sizilien. Ich empfinde das als Urlaub, wenngleich ich dort auch geschäftlich bin. Jede Geschäftsreise mit meinem Mann ist für mich auch eine Urlaubsreise.“ Antrieb: „Das klingt übertrieben, aber ich meine das ernst: Ich möchte die Welt in vielerlei Hinsicht ein Stück besser machen.“
Herdenchefin
Verena Neusewollte schon mit vier Jahren „Tierstreichlerin“ werden, entschied sich aber nach dem Abitur für ein internationales BWL-Studium. Sie arbeitete in der Unternehmenskommunikation von Firmen und Agenturen. Als ihr Arbeitgeber Unterstützung bei der Schulung von Mitarbeitern suchte, bildete sie sich zur Personal- und Management-Trainerin und Business Coach weiter. 2005 gründete die passionierte Reiterin Die Pferdeakademie, eine Einrichtung zur pferdegestützten Personal- und Persönlichkeitsentwicklung.
Wochenarbeitszeit: „Spannend, die Frage ist, was ich als Arbeit betrachte. Tatsächlich sind es um die 60 Stunden, gefühlt 40.“
Letzter richtiger Urlaub. „Ich habe gerade zehn Tage Urlaub in Griechenland gemacht. Es geht, wenn man vorher gut organisiert.“
Antrieb: „Es klingt ein bisschen nach Weltretten: Ich möchte Menschen das Arbeitsleben erleichtern und zeigen, dass es auch menschlicher geht, jeder Stärken und Schwächen haben darf. Das hat mich übrigens zu dem Vortrag ,Artgerechte Menschenhaltung am Arbeitsplatz inspiriert’, den ich auf Messen und Verbänden halte.“
Wohnexpertin
Melanie Frehse Nach einer Ausbildung als Veranstaltungskauffrau absolvierte Melanie Frehse ein Fernstudium Innenarchitektur & Raumgestaltung. Dann folgte ein Ausbildungsgang zur Home Staging Professional und eine Weiterbildung als Online-Marketing-Managerin. Zur Vermarktung von Bildern, künstlerischen Wohnideen und Kreationen gründete Frehse das Unternehmen pi couture. Den Einstieg zu ihrer Fernsehkarriere bot die Sendung „Die Einrichter“ des Fernsehsenders Vox, für die Frehse als Wohnexpertin engagiert wurde.
Wochenarbeitszeit: „Als Alleinerziehende etwa 50 Stunden.“ Letzter richtiger Urlaub: „Einen Bummelurlaub habe ich das letzte Mal 2014 gemacht. Da ich gern meine Reisen mit meinem Job verbinde, fühlt es sich eben nicht wie Arbeit an. Aber ich freue mich, weil ich bald neun Tage in der Sonne brutzeln werde – allerdings ist der Laptop dabei.“
Antrieb: „Ich bin sehr kreativ, produktiv, ein Macher. Ich habe Freude daran, Dinge zu erschaffen und Geschäftskonzepte und -Ideen zu entwickeln. Kurz gesagt: Ich kann einfach nicht anders.“
Herausgeberin
Alexandra Wollweber hat ein Grafik-Design-Studium in Hamburg abgeschlossen und war danach als Artdirektorin bei namhaften Agenturen angestellt. 2001 gründete sie ihre eigene Agentur für Werbung und Design namens Querformat Design. Seit 2011 gibt sie das Magazin „Lieblingsadressen Sachsenwald“ heraus, für dessen grafische Gestaltung sie verantwortlich ist. 2015 kam das zweite Magazin hinzu, „der Sachsenwalder“.
Wochenarbeitszeit: „Im Durchschnitt 40 und mehr.“
Letzter richtiger Urlaub: „So richtig Urlaub ohne Arbeit? Das war das letzte Mal im Angestelltenverhältnis. Mein letzter Urlaub war aber im August. Wenn ich wegfahre, benötige ich nur ein WLAN und fahre Jobs/Arbeitszeit herunter. Ganz ohne Arbeit geht es aber nicht. Umgekehrt kann ich auch überall auf der Welt arbeiten, ich benötige eben nur ein stabiles WLAN und möglichst keine Zeitverschiebung, wenn mich jemand telefonisch erreichen möchte.“ Antrieb: „Ich liebe meine Arbeit. Es erfüllt mich, Dinge zu konzeptionieren und zu gestalten. Ich habe noch nie die Situation erlebt, in der mir nichts eingefallen ist.“
Zupackerin
Angela Waßmann arbeitete vor ihrer Selbstständigkeit unter anderem als Angestellte in einem großen Architekturbüro in Wuppertal. Als sie sich hochschwanger in den Mutterschutz verabschiedete, sollte das zugleich ihr Abschied als Angestellte sein. 2001 machte sie sich zusammen mit ihrem Mann in der Baubranche selbstständig. Ihr Tätigkeitsbereich ist das Projektmanagement Bau, zusätzlich absolvierte sie bei der Handwerkskammer eine Ausbildung zur Energieberaterin. Das Thema habe sie weitergebracht, weil sie früh darin eingestiegen sei, sagt Waßmann, inzwischen Expertin auf dem Gebiet der energetischen Sanierung.
Wochenarbeitszeit: „Ich arbeite etwa 50 Stunden in der Woche.“ Letzter richtiger Urlaub: „Drei bis vier Wochen pro Jahr. In diesem Jahr zwei Wochen, die dritte habe ich mir für die Weihnachtszeit aufgespart. Wenn es die Projektlage erfordert, bin ich in auch im Urlaub erreichbar.“
Antrieb: „Hauptgrund waren zuerst die Kinder. Inzwischen passt das selbstbestimmte Arbeiten in Kombination mit flexiblen Arbeitszeiten ideal zu meinem Lebensentwurf.“
Kinderversteherin
Natascha Goertz hat zwei Ausbildungen absolviert: zur Arzthelferin und zur Kauffrau im Groß- und Einzelhandel. Sie arbeitete als Sachbearbeiterin, stieg bis zur Leiterin des Vertriebsinnendienstes auf. 2018 der berufliche Umbruch. Wechsel vom Anstellungsverhältnis in die Selbstständigkeit. Zuvor hatte sie nebenbei eine Ausbildung zum Business Coach abgeschlossen, bildete sich zum Kinder-, Jugend- und Schulcoach weiter. Heute hat sie sich eine eigene Praxis, bietet Beratung für Kinder, Jugendliche und Familien an.
Wochenarbeitszeit: „Etwa 30 Stunden – ich habe aber auch gerade erst begonnen.“
Letzter richtiger Urlaub: „Im Sommer 2017.“
Antrieb: „Eine Tätigkeit ausüben zu können, die ganz besonders Kindern hilft. Jedesmal dieses Lächeln im Gesicht meines Gegenübers. Auch meine Kinder treiben mich an. Da beide es großartig finden, dass ich den Mut aufgebracht habe, alles neu aufzubauen, um etwas völlig anderes zu machen, um meinen Traum zu leben.“