Lübeck. Dem Polen (42) werden mehrere Taten in Stormarner Städten und Gemeinden sowie in Hamburg zur Last gelegt. Ist er schuldfähig?

Ein unbeschwertes Leben auf Mallorca – so hatte sich Rafal W. seine Zukunft vorstellt. Doch daraus wird nichts. Denn statt Palmen, Strand und Meer sieht er größtenteils die Betonwand seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Lübeck. Seit September sitzt der Pole dort wegen schweren Bandendiebstahls in U-Haft. Am Mittwoch begann vor dem Landgericht sein Prozess.

Die Staatsanwaltschaft wirft Rafal W. vor, 14 Autos der Marken Mercedes und Audi zwischen Mai 2017 und September 2018 gestohlen zu haben. Der Wert der in Glinde, Reinbek, Ahrensburg, Barsbüttel, Siek, Oststeinbek sowie Aumühle, Hamburg und Seevetal entwendeten Luxusautos wird auf zusammen 1,3 Millionen Euro geschätzt.

Während die Staatsanwältin die Anklage verliest, übersetzt eine Dolmetscherin die Worte. Der 42-Jährige, der wegen seiner Halbglatze und harter Gesichtszüge älter wirkt, hört aufmerksam zu. Zu den Taten äußert er sich nicht. Der Verteidiger führte eigeninitiativ mit den Richtern der III. Großen Strafkammer und der Staatsanwältin ein Verständigungsgespräch; ein Geständnis gegen ein milderes Urteil – so sein Ziel.

Forensikerin beurteilt die Schuldfähigkeit des Angeklagten

Dazu sei der Angeklagte bereit – bei einer Freiheitsstrafe unter drei Jahren. Doch die Staatsanwaltschaft hält eine Strafe von mindestens fünf Jahren für erforderlich. Eine psychiatrische Sachverständige kommt zu Wort. Die Forensikerin soll beurteilen, ob der Angeklagte zur Tatzeit schuldfähig war. Denn schon vor der Diebstahlsserie wurde Rafal W. stationär in einer Psychiatrie behandelt. „Es liegt eine bipolare Störung vor“, sagt Christine Heisterkamp.

Doch während der Verbrechen dürfte der Angeklagte weder manisch noch depressiv gewesen sein. „Menschen, die schwer depressiv sind, kommen morgens kaum aus dem Bett“, sagt die Fachfrau. Die Forensikerin hatte für ihre Beurteilung unter anderem von der Polizei mitgeschnitten Gespräche und Nachrichten gelesen. Auch seien die Rafal W. vorgeworfenen Taten kaum für einen akut seelisch Erkrankten machbar gewesen, weil sie eine Zusammenarbeit mit anderen erforderten. So hatten sich W. und seine Mittäter auf Keyless-Go-Systeme spezialisiert. Mit ihnen können Autos per Funksignal geöffnet und gestartet werden. Der Trick: Während ein Täter eine nahegelegene Hauswand mit einem Funkwellenverlängerer nach diesem Signal absucht, steht ein weiterer Dieb mit einem anderen Spezialgerät neben dem Auto. Der Fahrzeug-Elektronik wird so vorgetäuscht, der echte Schlüssel sei im Einsatz.

Autodiebe überwinden Keyless-Go-System

So sollen Rafal W. und ein unbekannter Mittäter immer vorgegangen sein. Anschließend übergaben sie laut Anklage die Autos an Kuriere. Diese sollten die Fahrzeuge nach Polen bringen. Doch nur in wenigen Fällen gelang das. Oft wurden die Autos von Polizisten vor oder hinter der Grenze gestoppt, die Kuriere festgenommen. Am 26. September klickten auch bei W. die Handschellen, nachdem er in Oldenburg auf einem Parkplatz geortet worden war. Er hatte gefälschte Papiere bei sich. Als ihn die Forensikerin darauf in der JVA ansprach, sagte er, dass er per Haftbefehl gesucht wurde, jedoch weiterreisen wollte.

2012 verurteilte ihn ein Gericht in Österreich wegen versuchten Diebstahls zu einer Haftstrafe. W. flüchtete damals und behauptet, unschuldig gewesen zu sein. Genauso wie im aktuellen Fall und bei zahlreichen anderen Taten, für die er in Frankreich und anderen Ländern verurteilt wurde.

Der Prozess wird Anfang Mai fortgesetzt

„Bei dem Gespräch hat er streng gerochen, war ungepflegt und hatte schmutzige Finger“, erinnert sich Heisterkamp. W. sei zunächst „aufgebracht“ gewesen. „Wir konnten ihn aber wieder einfangen“, sagt sie und fügt hinzu, dass dies bei einem manisch oder depressiven Menschen nicht möglich gewesen wäre. „Ich vermute, dass die Tabletten, die er nimmt, der Grund für die stabile Phase sind.“ Auch während der Taten habe er Medikamente, die er nach seinem Klinikaufenthalt bekam, genommen.

Vor seiner Verhaftung lebte der Pole auf Mallorca und wollte sich dort mit seiner Verlobten ein Leben aufbauen. Inzwischen lebt sie wieder in Polen und soll beim nächsten Verhandlungstag am 6. Mai als Zeugin aussagen.