Ahrensburg. Ein Jahr haben Jugendliche das Schicksal der jüdischen Familie Lehmann erforscht. Sie setzen auch ein Zeichen gegen Rassismus.

Anhand eines Einzelschicksals möchten Schüler der Ahrensburger Gemeinschaftsschule Am Heimgarten vor den Folgen von Rassismus und Rechtsextremismus warnen. Seit einem Jahr arbeitet die Gruppe bereits an der Rekonstruktion der Geschichte der jüdischen Familie Lehmann, die bis zum Holocaust in der Schlossstadt lebte. Nun wurden die Nachwuchshistoriker für den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis vorgeschlagen.

„Vergangenes Jahr im April waren wir das erste Mal im Stadtarchiv“, erinnert sich Kevin Schmidt. Damals besuchten der 16-Jährige und elf Mitschüler die neunte Klasse, sollten einen Beitrag für den jährlichen „Gang des Erinnerns“ erarbeiten. Der Gedenkgang erinnert an die Geschehnisse während der Reichspogromnacht vom 9. November 1938, in der es auch in Ahrensburg zu von den Nationalsozialisten organisierten Übergriffen gegen das jüdische Leben kam. Aus der Pflichtarbeit wurde für die Mitglieder der Projektgruppe schnell ein leidenschaftliches Hobby. Jette Maas (16) sagt dazu: „Anfangs brauchten wir schon den Anstoß.“

Projekt soll vor rassistischen Tendenzen warnen

„Aber sobald wir dann in die Dokumente des Archivs vertieft waren, begann das Interesse“, fügt Fatma Shareef hinzu. Einen Stammbaum und eine Familienchronik erstellten sie in monatelanger Recherchearbeit. Die Nachforschungen gingen auch nach der Präsentation beim Gang des Erinnerns weiter. „Ich bin stolz auf das Engagement der Schüler, die sich größtenteils in ihrer Freizeit hingesetzt und das Projekt vorangetrieben haben“, sagt Durmis Özen, der die Gruppe als Geschichtslehrer betreut. Mit dem Projekt wollen die Schüler nicht nur einen Forschungsbeitrag zum dunkelsten Kapitel der Ahrensburger Geschichte beisteuern, sondern vor allem ein Bewusstsein für die antisemitischen Verbrechen der Nazis schaffen.

Fatma: „Wir zeigen, wie schnell es gehen kann, dass eine Familie, die sich Zuhause wohlfühlt, plötzlich von ihren Nachbarn vertrieben wird.“ Es erschüttere sie, darüber nachzudenken, dass es so etwas wie den Holocaust in dem Land gegeben habe, in dem sie sich heute sicher fühle. „Wir wohnen genau hier, wo das früher geschehen ist“, sagt die 17-Jährige nachdenklich. „Gerade nach den aktuellen rassistischen Schmierereien ist das wichtig“, fügt Kevin hinzu. Ende Februar hatten Unbekannte Gebäude in Ahrensburg und Bargteheide mit fremdenfeindlichen Parolen beschmiert.

„Die Lehmanns waren, bevor die Nazis an die Macht kamen, angesehene Leute und jeder in Ahrensburg kannte sie“, sagt Kevin. Seit dem 17. Jahrhundert war die Familie in der Schlossstadt zu Hause, hatte sich durch ihren Kornhandel am Rondeel gesellschaftliches Ansehen erarbeitet. „Während der Weimarer Republik lebten drei Brüder hier in Ahrensburg: Harry, Ludwig und Magnus Lehmann“, erzählt Kevin. Als die beiden älteren Brüder sich und ihre Familie zu Verwandten nach Brasilien und Argentinien retten konnten, blieb der jüngste Bruder, Magnus, in Deutschland zurück. „Obwohl Magnus sich im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich verdient gemacht und sogar das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten hatte, wurde er so menschenunwürdig behandelt“, berichtet der Schüler.

Jüdischer Ingenieur verlor im KZ sein Leben

Der Diplom-Ingenieur verlor 1933 seine Anstellung, 1938 wurde er verhaftet und im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar interniert, einen Monat später aber zunächst wieder entlassen. „Die 1940 beantragte Auswanderung verweigerten die Behörden, im Dezember 1941 wurde Magnus Lehmann schließlich ins Konzentrationslager Minsk gebracht“, erzählt Kevin. Dort starb er am 8. Mai 1945 mit 59 Jahren.

„An ihn erinnert heute ein Stolperstein am Rondeel“, sagt Kevin. Um mit den Ergebnissen viele Menschen emotional zu erreichen, präsentierten die Schüler sie auf einer Reihe von Veranstaltungen, das Projekt war auch für den Olof-Palme-Preis der Stormarner SPD nominiert. Ob es mit der Nominierung für den Gustav-Heinemann-Preis klappt, wagt Lehrer Özen noch nicht zu hoffen. Die Konkurrenz bei dem mit 10.000 Euro dotierten SPD-Preis für soziales Engagement sei stark.

Urenkel reiste aus Argentinien nach Ahrensburg

„Die Arbeit hat sich gelohnt“, sagt Jette. Die größte Auszeichnung für die Jugendlichen war der Besuch eines echten Lehmanns in Ahrensburg. Eric Lehmann, Urenkel von Ludwig, wurde auf das Projekt aufmerksam, reiste aus Argentinien an. „Eric war sehr gerührt von unserer Arbeit“, sagt Fatma. „Er hat unseren Stammbaum um Fotos und fehlende Personen ergänzt.“ Bis heute haben die Schüler E-Mail-Kontakt mit dem Argentinier. Wenn es nach Fatma, Kevin, Jette und den anderen geht, soll das Projekt auch weiterlaufen, wenn sie im Sommer ihren Abschluss gemacht haben.

„Wir werben derzeit intensiv um eine neue Schüler-Generation“, sagt Özen. „Wir können uns gut vorstellen, den Neuen nach dem Abschluss weiter unter die Arme zu greifen“, meint Fatma. Es gebe noch viele Lücken im Stammbaum, die es zu schließen gelte.

Wie Stormarner ein Zeichen gegen Rassismus setzen

Die Internationalen Wochen gegen Rassismus vom 10. bis 27. März stehen unter dem Motto „Europa wählt Menschenwürde“. Auch in Stormarn sind Aktionen geplant. Der Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) lädt für Donnerstag, 21. März, von 15 bis 17 Uhr nach Ahrensburg zu einem „Speeddating“ ein. Im stattLADEN (Manhagener Allee 10 a) können Gäste spontan über Rassismus diskutieren. „Jeder kann vorbeikommen“, sagt Awo-Ortschef Michel Brehm. „Es wird eine Karte gezogen, auf der sich eine kontroverse Frage zum Thema befindet, anschließend tauscht man sich kurz darüber aus.“ Das OHO-Kino in Bad Oldesloe (Hamburger Str. 13) zeigt am selben Tag ab 19.30 Uhr den Dokumentarfilm „Afro. Deutschland“ mit anschließender Diskussion (Karten 3,-). Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein ruft Stormarner zur Teilnahme an der Demonstration „Aufstehen gegen Rassismus“ an diesem Sonnabend um 11.30 Uhr auf dem Europaplatz in Kiel auf.