Bargteheide/Lübeck. Zum dritten Mal mussten Mutter und Vater der getöteten Bargteheiderin im Verfahren gegen den Angeklagten Sven S. aussagen.

„Hab einen schönen Tag und lass dich nicht ärgern.“ Es sind die Worte einer Mutter, die gerade ihr Kind mit einem Kuss verabschiedet. Dass es die letzten Worte sind, die sie an ihr Kind richtet, die letzten Berührungen und Blicke, die sie mit ihrer Svea austauscht, ahnt Bettina Thiessenhusen in diesem Moment nicht. Denn an diesem Tag, dem 12. August 2016, wird ihre geliebte Tochter mit drei Schüssen getötet.

Vor Gericht werden schreckliche Erinnerungen wachgerufen

Vor dem Landgericht in Lübeck wurden die schrecklichen Erinnerungen der heute 59-Jährigen erneut wachgerufen. An den Tag, der ihr Leben und das ihres Mannes auf so furchtbare Weise veränderte. Sie hatte gehofft, das nicht noch einmal durchleben zu müssen. Doch der Mord an ihrer 28 Jahre alten Tochter muss nun zum dritten Mal verhandelt werden. Im ersten Anlauf Anfang 2017 war der Verteidiger des Angeklagten erkrankt.

Vorheriges Urteil wurde wegen Formfehlers ausgehoben

Der Prozess musste von vorn beginnen. Im November 2017 verurteilte die I. Große Strafkammer den Ex-Freund des Opfers zu einer lebenslangen Haftstrafe. Wegen eines Formfehlers wurde das Urteil aufgehoben. Der Bundesgerichtshof sah einen Widerspruch zwischen dem Protokoll der Hauptverhandlung und der schriftlichen Urteilsbegründung. Deswegen musste Bettina Thiessenhusen nun erneut in einem Raum mit dem Mann sitzen, der ihre Tochter getötet hat.

Der früher glatzköpfige Gerüstbauer trägt sein dunkelblondes Haar mittlerweile nach hinten gegelt. Ein schwarzes Band fixiert es wie ein Haarreif. Doch wie in den Verhandlungen zuvor würdigt Sven S. die Eltern von Svea keines Blickes. Er starrt die Tischplatte aus Holz vor sich an, oder er hält sich die Hände vor das Gesicht.

Vater beschreibt Angeklagten als sehr besitzergreifend

Auch als Michael Thiessenhusen sich an das letzte Gespräch mit seiner Tochter erinnert, wirkt S. abwesend. „Es war am Abend des 11. August“, sagt der 58-Jährige: „Svea war sehr unruhig und aufgebracht.“ Der Vater berichtet von einem Erschöpfungszustand seiner Tochter. Die Monate zuvor hätten deutliche Spuren an Körper und Seele der sonst so fröhlichen Frau hinterlassen. Die Eltern und eine Freundin sprechen vor Gericht von einem Martyrium, das Svea durchlebte. „Als sich beide kennenlernten, war es eine harmonische Beziehung“, sagt eine 35 Jahre alte Zeugin vor der III. Großen Strafkammer des Lübecker Landgerichts. Doch mit der Zeit sei Sven S. besitzergreifend und eifersüchtig geworden.

„Immer wenn er auf Montage war, wirkte sie frei, konnte etwas unternehmen“, sagt die Frau, die mit Svea im Restaurant des Erdbeerhofs Glantz in Delingsdorf gearbeitet hatte. Die Frauen waren befreundet. „Sie hat furchtbar geweint und gesagt, sie kann nicht mehr“, erinnert sich die Zeugin an die Zeit, in der sich Svea nach circa fünf Jahren Beziehung von Sven S. trennte und zu ihren Eltern nach Tremsbüttel zog. Damals wurden die Bedrohungen massiver. „Er drohte meiner Tochter, dass er ihr die Fresse polieren und uns etwas antun werde“, erinnert sich Michael Thiessenhusen, der Sven S. als besonders provokativ und manipulativ bezeichnet. Zu Beginn der Beziehung habe sich seine Tochter immer mehr isoliert. „Darunter hat meine Frau sehr gelitten“, sagt der 58-Jährige.

Sven S. saß zuvor wegen Gewalttaten im Gefängnis

Deswegen hätten sie die „verbale Gewalt“ geduldet, um nicht gänzlich den Kontakt zu ihrer Svea zu verlieren. Diese habe immer das Gute in dem Mann gesehen, in den sie sich verliebt hatte. Die junge Frau glaubte, Sven S. ändern zu können, der zuvor sogar schon wegen diverser Gewaltstraftaten im Gefängnis gesessen hatte.

„Doch im Frühjahr 2015 merkte meine Tochter, dass die Resozialisierungsmaßnahmen erfolglos waren.“ Ausschlaggebend war ein Einbruch in die gemeinsame Wohnung des jungen Paares in Bargteheide. Damals wurde Schmuck von Svea, darunter auch wertvolle Erinnerungsstücke, gestohlen. „Die Polizei und Versicherung kamen zum Ergebnis, dass die Tat von Sven S. fingiert war.“ Ende 2015 zog Svea zu ihren Eltern und wurde massiv bedroht. Im April 2016 erwirkte sie vor Gericht einen Gewaltschutzantrag. Sven S. durfte sich der 28-Jährigen nicht mehr nähern. Michael Thiessenhusen vermutet, das S. aus Wut darüber die Kehle des Pferdes seiner Ehefrau durchschnitt. Das Tier wurde eingeschläfert.

Svea bat die Polizei um Hilfe – das rettete sie nicht

Svea habe die Morddrohungen gegen sich und ihre Familie sehr ernst genommen, die Polizei um Hilfe gebeten. Und sie war in ständigem Kontakt mit ihren Eltern, damit diese wussten, wo sie sich aufhielt. Am Tattag habe S. ihre Tochter gebeten, für ihn einzukaufen und die Sachen in seine Wohnung zu bringen. Er selbst sei im Urlaub. Svea befolgte die Anweisungen. Als sie die Tür zur Wohnung aufschloss und den Flur betrat, fielen drei Schüsse. „Wieso ist sie dahin?“, fragt der Vater vor Gericht, dessen Stimme bei dieser Aussage stockt. Die Schüsse auf Svea hatte der Angeklagte bereits am ersten Verhandlungstag gestanden und von einer „großen Schuld“ gesprochen. Doch es sei ein Unfall gewesen, kein Mord. Die drei Schüsse hätten sich gelöst.

Der Prozess gegen den heute 37-jährigen Sven S. wird am Donnerstag, 7. Februar, in Lübeck fortgesetzt.