Bad Oldesloe. Vor 40 Jahren versank der Norden unter der weißen Masse. Ein Zeitzeuge erinnert sich an den Ausnahmezustand.
„Es hat einfach nicht mehr aufgehört zu schneien“, sagt Manfred Meurers, als er sich an den Winter 1978/79 in Stormarn erinnert. „Es fielen große, dichte Flocken. Man konnte draußen kaum noch etwas sehen“, fügt der 81 Jahre alte Oldesloer hinzu, der damals beim Kreis für den Zivil- und Katastrophenschutz verantwortlich war. Er hat miterlebt, wie ein eisiger Wind über Norddeutschland fegte und der Schnee sich meterhoch türmte. Straßen und Schienen waren unpassierbar, Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. 40 Jahre sind diese Bilder der „Schneekatastrophe“ alt.
„Am 29. Dezember um 9 Uhr kam der erste Anruf vom Wetterdienst in Kiel“, sagt Meurers. Die Meteorologen warnen vor einer kritischen Wetterlage und empfehlen, die Hilfskräfte zu informieren. Doch der heftige Wintereinbruch um den Jahreswechsel hat in Stormarn im Unterschied zu anderen Regionen im Norden kaum schwerwiegende Auswirkungen. Der inzwischen gestorbene damalige Landrat Hans-Henning Becker-Birck fasst die Lage seinerzeit im Abendblatt so zusammen: „Schneesturm und eisige Kälte haben zu einer schwierigen Lage geführt, aber von einer Katastrophe kann nicht gesprochen werden.“
Schneesturm war nur ein Vorgeschmack
Doch was Becker-Birck und Meurers damals noch nicht wissen können: Es ist lediglich ein Vorgeschmack auf das, was nur eineinhalb Monate später über Stormarn hereinbricht und dem Wort „Schneekatastrophe“ letztlich gerecht wird.
Es ist Mittwoch, der 14. Februar. Morgens setzt der Schnee ein. Immer mehr Flocken fallen. Hinzu kommt ein kräftiger Wind, der sich bereits am Vormittag zu einem Schneesturm entwickelt. Der Blizzard sorgt für bis zu sieben Meter hohe Schneewehen wie in Schlamersdorf. „Dutzende Autos blieben im Schnee stecken. Die Menschen stiegen aus und gingen zu Fuß ins nächste Dorf“, sagt Meurers.
Arbeiter übernachten in den Werken in Ahrensburg
Um 12.45 Uhr ruft Landrat Becker-Birck den Katastrophenalarm aus. Damit hat er die Verfügungsgewalt über die Polizei, Hilfsorganisationen und kann die Bundeswehr anfordern. Zudem können Verwaltungschefs in solch einem Fall Fahrverbote aussprechen – was auch erfolgt. Nur Busse, Taxen, Räumfahrzeuge und Autos des Katastrophenschutzes dürfen noch fahren. „Soweit dies überhaupt möglich war“, erinnert sich Manfred Meurers und daran, dass die Menschen von der Arbeit nicht mehr nach Hause gekommen sind. In Ahrensburg verteilt die Stadt an Firmen Matratzen für Mitarbeiter, die in den Werken übernachten müssen. Auch im Rathaus kommen Menschen unter. „Über Rundfunk haben wir durchsagen lassen, dass die Menschen dort bleiben sollen, wo sie sind“, sagt der frühere Leiter der Gefahrenabwehr beim Kreis.
Denn von Stunde zu Stunde verschärft sich die Lage. „Zwischen 16 und 17 Uhr fiel in einigen Gemeinden wie Zarpen der Strom aus. Die oberirdischen Leitungen sind bei Eis und Schnee gerissen“, sagt Meurers. Auf der A 1 bleiben die Autos in Schneewehen stecken. Detlef Kuhtal, damals Chef des Autobahnreviers Bad Oldesloe, sagt seinerzeit gegenüber dem Abendblatt: „Wir haben viele Leute aus den Autos geholt, weil es lebensgefährlich war, bei der Kälte dort auszuharren.“
Die Polizeistation wird für rund 60 Menschen zum Notquartier. Auch auf der Raststätte Buddikate stranden viele Lkw-Fahrer und versorgen sich aus ihren Ladungen. „Dort gab es einen regen Tauschhandel“, so Kuhtal damals, „besonders beliebt war der Fahrer, dessen Tanklaster mit Wein gefüllt war.“
Hamsterkäufe im gesamten Kreis
Auch im Rest des Kreises kaufen die Menschen die Läden binnen kürzester Zeit leer. „Nachschub gab es nicht, Lastwagen mit neuen Lieferungen kamen nicht durch“, sagt Meurers. Es ist dieser Punkt, der ihm Sorge bereitet. „Was passiert, wenn den Menschen das Essen ausgeht?“, fragt er sich damals. Doch die Stormarner halten zusammen. Nachbarn versorgen sich gegenseitig.
Ein weiteres Problem ist der Stromausfall. „Zwar haben die Menschen damals mit Kohle, Holz und Öl geheizt, aber die Landwirte brauchten Strom für ihre Melkmaschinen.“ Sie bearbeiten die Tiere schließlich mit der Hand. „Weil die Milch nicht per Laster abgeholt werden konnte, kippte sie mein Vater auf die Koppel“, sagt der Sohn eines Milchbauern. Über Tage wird kein Viehfutter geliefert, Tiere verenden. Menschen kommen nicht zu Schaden. „Natürlich hatten die Kliniken viel zu tun, weil Menschen ausrutschten und sich Knochen brachen“, so Meurers. An einen Fall erinnert er sich bis heute.
Bergepanzer zerstören zugeschneite Autos
Bei einer Frau aus der Nähe von Trittau setzten die Wehen ein. „Per Hubschrauber wurde sie ins damalige Krankenhaus Ost nach Lübeck geflogen“, erinnert sich Meurers und daran, dass die Frau dort eine gesunde Tochter zur Welt gebracht hat. Ein weiterer Notruf kommt von der heutigen Universitätsklinik selbst. „Der Diesel ging dort aus.“ Meurers und seine Mitarbeiter organisieren einen Transport mit Begleitung von Panzern. „Um 18 Uhr startete der Tanklaster in Hamburg und kam am nächsten Tag um 8 Uhr in Lübeck an.“
Neun Bergepanzer sind damals auf dem Exer stationiert, zwei Offiziere sitzen mit im Stab in der Oldesloer Kreisverwaltung. „Mit den Panzern haben wir die festgefahren Räumfahrzeuge befreit und die wichtigsten Straßen geräumt.“ Nach etwa zwölf Tagen sind die Wege wieder frei. Doch Meurers beschäftigt die Schneekatastrophe weitere Monate: „Die Panzer haben zugeschneite Autos auf den Straßen zerstört. Auch zahlreiche Zäune wurden umgefahren.“ Meurers kümmert sich um die Entschädigung. Eine Aufgabe, die er bis zu seinem Ruhestand 1999 zum Glück nicht noch einmal erledigen muss.
Wie haben Sie die Schneekatastrophe 1978/79 erlebt? Bitte schreiben und schicken Sie uns Bilder an stormarn@abendblatt.de