Reinbek. Bildungseinrichtung in Reinbek am Mühlenredder bleibt weiter gesperrt. Das Abendblatt beantwortet die elf wichtigsten Fragen.
Die Schließung des Reinbeker Schulzentrums am Mühlenredder wegen Asbest-Alarms bedeutet für Stadtverwaltung und Pädagogen einen erheblichen organisatorischen Aufwand. Täglich berät sich ein Krisenteam, um den Unterricht an Ausweichstandorten zu gewährleisten. Eltern sind verunsichert, Kinder haben Angst – weil sie nichts wissen über mögliche Gesundheitsgefahren. Die Lehrerschaft erwägt eine Klage wegen Körperverletzung gegen die Stadt. Noch ist unklar, wann und ob das Gebäude überhaupt wieder geöffnet wird. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wer ist verantwortlich für den Zustand des Schulgebäudes?
Die Stadt Reinbek als Schulträger. Politiker entscheiden über Sanierungen oder Neubauten von Bildungseinrichtungen, in diesem Fall die Stadtverordnetenversammlung. Die Verwaltung legt entsprechende Vorlagen zur Abstimmung vor und ermittelt im Vorfeld die Kosten für Projekte. Die Stadt ist allerdings nicht Arbeitgeber der Lehrer, sondern das Land Schleswig-Holstein.
Ist der Asbest-Fund in der Schule wirklich überraschend?
Dass in dem Anfang der 1970er-Jahre erbauten Gebäude Asbest verbaut wurde, ist kein Geheimnis. Seit den 80er-Jahren hat es aber lediglich eine umfangreiche Messung gegeben, 2009 eine weitere und nur im Erdgeschoss bei Umbauarbeiten. Damals wurden keine erhöhten Werte ermittelt.
Warum wurde jetzt auf Schadstoffbelastung gemessen?
Reinbek plant eine Sanierung und Erweiterung des Schulzentrums von Mitte 2019 an für drei Jahre. Kosten: mindestens 27 Millionen Euro. Die Verwaltung ließ ein Gutachten anfertigen, weil sie Kenntnis über die zu entsorgende Menge belasteten Materials erlangen wollte. Das Schriftstück ging Ende Juni im Rathaus ein, Experten rieten zu einer Messung. Nach Rücksprache des Bauamtes mit dem Gutachter sah die Stadt davon ab. „Weil eine verrutschte Platte abgeklebt wurde und die Situation geklärt war“, sagt Bürgermeister Björn Warmer. Erst auf Wunsch der Schule wurde die Messung nachgeholt. Der 43-Jährige räumte jetzt erhebliche Versäumnisse in der Verwaltung ein.
Sind die ermittelten Werte in der Raumluft gesundheitsgefährdend?
„Ja. Das trifft schon bei 500 Fasern pro Kubikmeter Luft zu“, sagt Jörg Günther, Facharzt beim Kreis. Im Schulzentrum wurde in zwei Räumen gemessen – in einem lag die Konzentration bei bis zu 1146 Fasern, in dem anderen bei bis zu 3635. Bei der Einordnung der Gesundheitsgefahr geht es laut Günther auch darum, welche Fasern gefunden werden und welcher Personenkreis betroffen ist. Nach der Schließung des Gebäudes, in dem eine Gemeinschaftsschule und ein sonderpädagogisches Förderzentrum mit dem Namen Amalie-Sieveking-Schule beheimatet sind, lässt die Stadt Werte für alle Räume ermitteln. Rund 770 Personen inklusive Lehrkräfte sind dort normalerweise vor Ort.
Warum sind Asbestfasern so gefährlich für Menschen?
Wenn Asbeststaub durch Einatmen in die Lunge gelangt, können die Fasern Verhärtungen und Vernarbungen verursachen. Das Ergebnis ist eine Asbestose. Symptome sind Atemnot, Reizhusten und Gewichtsverlust. Mit bis zu 60 Jahren Verzögerung kann Asbestbelastung auch Lungenkrebs oder eine bösartige Tumorerkrankung des Rippenfells auslösen. In Deutschland ist der Einsatz von Asbest seit 1995 verboten.
Welche Erfolgsaussichten hätte eine Klage der Lehrer?
Dirk Böckmann, Leiter der Gemeinschaftsschule, hatte am Freitag von einer Sammelklage der Lehrer wegen Körperverletzung gegen die Stadt gesprochen. Konkretes dazu gab es am Montag nicht. „Klagen kann nur jeder für sich, wobei das in einem Verfahren wohl zusammengezogen wird“, sagt Rechtsanwalt Lukas Kilian, der Partner in einer Glinder Kanzlei und zudem CDU-Landtagsabgeordneter ist. Kilian bezeichnet ein solches Verfahren als „schwierig“ und begründet das so: „Das Aussetzen einer Gefahr wird juristisch nicht zweifelsohne als Körperverletzung bewertet.“
Wie reagieren die Eltern der Schulkinder auf die Asbest-Funde?
„Klagen werden wir uns nicht anschließen“, sagt Melanie Koss, die Vorsitzende des Elternbeirats der Gemeinschaftsschule. Sie warnt vor Panikmache in Bezug auf die Entwicklung: „Wenn Erwachsene aufgeregt sind, überträgt sich das auch auf die Kinder. Damit ist keinem gedient.“ Melanie Koss lobt die Krisenkommunikation von Verwaltung und Schule. Allerdings sind die Eltern der Meinung, dass die Stadt hätte früher damit beginnen müssen, den Sanierungsstau zu beseitigen.
Wo lernen die Jungen und Mädchen der beiden Schulen jetzt?
Das geschieht derzeit an verschiedenen Standorten. Am Montag wurden 282 Schüler der achten bis zehnten Klassen mit Bussen eines Unternehmens sowie der VHH nach Wentorf gefahren. Sie werden dort in einer ehemaligen Schule unterrichtet, teilweise aber auch in Containern. Oberstufenschüler lernen in sechs Räumen des Reinbeker Rathauses. Auch im Reinbeker Gymnasium und in der Grundschule Mühlenredder sind Gemeinschaftsschüler untergekommen, andere auf dem Gelände des Schulzentrums in Containern, die dort schon längere Zeit stehen. Die Förderschüler mussten auf Räume der Grundschule Klosterbergen ausweichen. „Bis auf Weiteres ist die Verteilung der Schüler gesichert“, sagt Rathaussprecher Lennart Fey. Der offene Ganztagsunterricht fällt aus.
Sind die Umzüge der Klassen eine Mehrbelastung für Lehrer?
„Ja, der zusätzliche Aufwand ist immens“, sagt Thomas Diedrich, Konrektor der Gemeinschaftsschule. Er habe am Sonnabend und Sonntag jeweils zwölf Stunden an den neuen Stundenplänen gearbeitet.
Wann gibt die Verwaltung Ergebnisse der Messungen bekannt?
Am Mittwoch ist eine Pressekonferenz geplant, dann liegen alle Messwerte vor. Vorher will die Verwaltung keine Details nennen. Das Labor hat ihr mündlich erste Ergebnisse mitgeteilt. Nach Abendblatt-Informationen lag die Konzentration in einem Raum bei bis zu 1000 Fasern, in anderen Zimmern waren die Werte unbedenklich. Das Kreisgesundheitsamt begleitet den Prozess und wird nach Eingang aller Werte eine konkrete Aussage zu den Gesundheitsgefahren machen.
Was sagen Reinbeker Politiker zu dem Asbest-Alarm?
Die Wählergemeinschaft Forum 21 plädiert für einen Abriss des Gebäudes und anschließenden Neubau. „Denn eine Sanierung ist keine nachhaltige Lösung der Schadstoff-Belastung“, sagt Fraktionschef Heinrich Dierking. Volker Müller (SPD) will sich noch nicht festlegen: „Zuerst müssen alle Messwerte auf den Tisch.“ Wenn die Sanierung dann die jetzt angenommene Summe überschreite, müsse die Sache neubewertet werden.