Ahrensburg. Bericht über Wildpinkler belebt kontroverse Debatte. Abendblatt befragt 502 Menschen: Differenzierteres Bild als im Internet.
13 Jahre lang steht er schon auf dem Rondeel in Ahrensburg. Und noch immer bewegt der Muschelläufer die Gemüter. Und nun setzen auch noch Wildpinkler der Skulptur zu, was Befürworter und Politiker empört, zumal die Plastik trotz eines Verbotsschildes von Kindern als Spielgerät genutzt wird.
Zahlreiche Leserbriefe erreichten die Abendblatt-Redaktion nach dem jüngsten Bericht. In einer Ahrensburg-Gruppe bei Facebook kommentierten inzwischen mehr als 250 Nutzer den Artikel. Die Mehrheit fordert den Abbau der Kunstfigur. Das nahm das Abendblatt zum Anlass für eine ungewöhnlich umfangreiche Umfrage. Wir befragten 502 Bürger zu ihrer Meinung. Wenngleich dies nicht den wissenschaftlichen Voraussetzungen für eine repräsentative Umfrage entspricht, verdeutlicht das Ergebnis doch ein relativ differenziertes Meinungsbild. Das Ergebnis: Immerhin 44 Prozent der Befragten sagen, der Muschelläufer soll auf dem Ahrensburger Rondeel stehen bleiben.
Vielen Kindern gefällt die Figur
Kerstin Schulz, mit ihrem elfjährigen Sohn Max in der Innenstadt unterwegs, ist so jemand. „Meine beiden Kinder sind früher auf dem Muschelläufer geklettert. Er gehört inzwischen dahin“, sagt sie. Anders sieht das Jan Aiello aus Hamburg. „Für mich ist der Muschelläufer überflüssig.“ Er wünscht sich einen Springbrunnen für das Zentrum. Für Maren Evora sieht der Muschelläufer ein bisschen aus wie Boris Becker: „Der ist aber nicht so mein Typ.“ Mit dem Wissen, dass die inzwischen gesperrte Figur auch für Kinder zum Spielen sein soll, finde sie jedoch langsam Gefallen an ihr. „Wenn das wieder ginge, würde ich hier vielleicht öfter in einem der Cafés sitzen und meinen Kindern zuschauen“, sagt die junge Mutter, die mit Elenor (5) und Leander (6 Monate) unterwegs ist. Der Tochter gefällt die hoch aufragende Figur. „Die sieht ein bisschen wie ein Einhorn aus“, findet Elenor. Auch Martin Hosemann ist ein Befürworter. Er ist neu in der Stadt und sagt: „Als ich mir Ahrensburg angeguckt habe, fand ich, dass er das Rondeel charmant macht.“ Von Nahem betrachtet empfindet er den Zustand des Muschelläufers jedoch als beklagenswert. „Er sollte repariert werden“, sagt Hosemann.
Wegen des Urheberrechts darf der Künstler mitreden
Anders die Reaktion vieler Menschen im Internet: Eine große Mehrheit der Nutzer wünscht sich ein Entfernen der Figur, findet klare Worte. „Eine Schande für Ahrensburg“, nennt ihn eine Nutzerin. Mehrere Kommentatoren würden die Figur am liebsten sprengen, wie es vor einigen Jahren tatsächlich versucht wurde. Andere nehmen Bezug auf deren Zustand: „Von kaputten Dingen sollte man sich trennen – und diese Figur ist in jeder Beziehung kaputt.“ Die Wildpinkler seien ein sicheres Zeichen dafür.
Mit Bezug auf das Urheberrecht, das dem Künstler und seinen Erben bis 70 Jahre nach seinem Tod ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Platzes sichert, sagt ein Nutzer: „Es kann nicht rechtens sein, eine Stadt in Geiselhaft zu nehmen.“ Außerdem sei die Erhaltung der Figur ein „Fass ohne Boden“. Andere würden am liebsten Spenden sammeln, um den Künstler auszubezahlen. Denn in einem Gespräch mit der Stadt hatte Martin Wolke bereits vor Jahren erklärt, gegen erneute Zahlung in Höhe des Kaufpreises von 25.000 Euro mit dem Abbau der Figur einverstanden zu sein. Wie Wolke darüber heute denkt, ist unklar. Auch auf erneute und mehrfache Versuche der Kontaktaufnahme des Abendblattes per E-Mail und Telefon reagierte der Kieler nicht.
Expertin: Im Internet äußern Menschen extremere Positionen
Wieder andere schlagen als Ersatz das Aufstellen von Spielgeräten wie an der Großen Straße vor oder wünschen sich eine Alternative mit mehr Bezug zur Stadt vor – etwa eine Biene Maja, die an den Ahrensburger Waldemar Bonsels erinnert. Doch auch im Internet gibt es einige Befürworter. Einer schreibt: „Kunst kann/darf/muss nicht immer gefallen.“ Wieder ein anderer findet ihn zwar hässlich, sagt aber: „Mittlerweile hat er Kultstatus.“ Außerdem hätten ihn die meisten Kinder ins Herz geschlossen. „Man muss so ein Objekt nicht lieben. Dennoch sind die Beschädigungen grenzüberschreitend und respektlos.“
Den Unterschied zwischen der Ablehnung vieler Online-Kommentatoren und den Ergebnissen der Abendblatt-Umfrage erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Kleinen-von Königslöw von der Universität Hamburg mit diesen Worten: „Wer sich dafür entscheidet, sich zu so einem Thema zu Wort zu melden, hat oft eine klare Position.“ Untersuchungen haben gezeigt, dass es oft eine laute Minderheit von Gegnern sei, die aktiv werde. „Gerade bei eher nachrangigen Problemen lassen sich die anderen davon leicht mitreißen.“ In der direkten Ansprache, zum Beispiel bei einer Umfrage, äußerten sich die Leute moderater. „Im Internet sind Namen kein Hindernis mehr.“ Nutzer, die ihren Namen nennen, wüssten zwar um ihre Erkennbarkeit, verhielten sich aber im Netz trotzdem extremer, so die Professorin für digitalisierte Kommunikation.
Ex-Bürgermeisterin Pepper bereut ihr Engagement nicht
Ursula Pepper hatte sich 2005 als Bürgermeisterin für die Kunstfigur auf dem Rondeel eingesetzt, die der Rotary Club Ahrensburg anlässlich seines 25-jährigen Bestehens schließlich spendete. Später war Pepper selbst Präsidentin der Wohltätigkeitsorganisation. Bereut sie das heute? „Nein“, sagt Pepper auf Abendblatt-Anfrage. Der Muschelläufer sei Bestandteil des Rondeels und besonders von den Kindern als Spielgerät akzeptiert. Die Pinkel-Attacken verurteilt sie, sagt aber auch: „Ich denke nicht, dass das gezielt ist.“
Bei der Polizei ist dieses Verhalten noch nicht als massives Problem bekannt. Ein Polizeisprecher: „Ich kann mir aber gut vorstellen, dass einige das witzig finden. Ist es aber nicht!“
Auch Internet-Nutzer hatten das Besudeln des Kunstwerks mit Urin schon beobachtet. Dass die Figur deswegen bald entfernt wird, glauben sie jedoch nicht. „Der steht da vermutlich noch in vielen Jahren“, so ein Nutzer.
Mitarbeit: Rafael Krüger, Marvin Stier