Bad Oldesloe/Kiel. Nach den tödlichen Schüssen in Bad Oldesloe zeigen Einsatztrainer der Polizei, wie sich Beamte gegen Angreifer verteidigen können.

Es dauert nur wenige Sekunden: Maik Roloff erblickt das Messer in der Hand seines Angreifers, will nach dessen Handgelenk greifen. Aber er bekommt die Situation nicht unter Kontrolle. Die spitze Klinge trifft seinen Bauch. Versuch Nummer zwei: Diesmal entscheidet sich der Polizist für Pfefferspray. Doch der Angreifer zeigt sich unbeeindruckt, attackiert sein Opfer weiter. Mit einem Schlagstock läuft es im dritten Testlauf etwas besser. Der 43-Jährige erwischt damit zumindest seinen Gegner, spürt im selben Moment jedoch das Messer an seinem Oberarm.

„Bei einem Messerangriff haben Polizisten kaum Chancen“, sagt Maik Roloff anschließend. Er ist einer von mehr als 200 Einsatztrainern der Landespolizei Schleswig-Holstein und demonstriert auf dem Gelände des Landespolizeiamts in Kiel, welche Möglichkeiten Beamte haben, wenn sie im Einsatz angegriffen werden. Anlass sind die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf einen 21 Jahre alten Obdachlosen in Bad Oldesloe vor einer Woche. Die Staatsanwaltschaft geht von Notwehr aus, weil der Mann den Beamten mit einem Messer bedroht haben soll. Trotzdem fragen sich immer noch viele Trauernde, ob die Einsatzkräfte die Situation nicht anders hätten entschärfen können.

Schusswaffe ist adäquates Mittel bei Messerangriff

Ein 21 Jahre alte Obdachlose wurde in Bad Oldesloe von einem Polizisten erschossen. Trauernde haben Blumen niedergelegt sowie Karten und Grablichter aufgestellt, um an Robin zu erinnern
Ein 21 Jahre alte Obdachlose wurde in Bad Oldesloe von einem Polizisten erschossen. Trauernde haben Blumen niedergelegt sowie Karten und Grablichter aufgestellt, um an Robin zu erinnern © HA | Janina Dietrich

Zu dem konkreten Fall will sich Landespolizeisprecher Torge Stelck mit Verweis auf das noch laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft nicht äußern. Für Einsatztrainer Maik Roloff steht aber fest: „Eine Schusswaffe ist im Falle eines Messerangriffs für Polizisten das adäquate Mittel, um sich zu verteidigen.“ Alles andere sei zu unsicher.

Warum das so ist, demonstriert er mit seinem Kollegen Stefan Hinze an verschiedenen Beispielen. „Polizisten müssen im Bruchteil einer Sekunde die richtige Entscheidung treffen“, sagt Roloff. „Es gibt nur einen Versuch – eine einzige Chance.“ Eine solche Attacke unbeschadet zu überstehen, sei nahezu unmöglich. „Es ist vielmehr die Frage, mit welchen Verletzungen der Polizist aus der Situation herauskommt.“

Alternativen sind mit hohem Risiko verbunden

374 Beamte wurden nach Angaben des Landespolizeiamts im vergangenen Jahr im Einsatz verletzt. Wie häufig sie dabei mit einem Messer attackiert wurden, kann Stelck nicht sagen. Entscheide sich der Polizist im Notfall für Selbstverteidigung ohne Hilfsmittel, könne er zum Beispiel nach den Handgelenken greifen oder gegen die Beine treten. Die Gefahr sei aber groß, den Angreifer nicht entscheidend zu stören und trotzdem getroffen zu werden. Der Polizist könne leicht an der Handinnenfläche geschnitten werden. „Dort befinden sich sehr viele Beugesehnen, die ziemlich schnell durchtrennt sein können", sagt Hinze. „Dann kann ich die Hand überhaupt nicht mehr einsetzen und bin wehrlos.“

Die Nutzung von Pfefferspray erhöhe die Chancen nur geringfügig. „Bei einigen Menschen wirkt der Reizstoff erst nach zehn Sekunden“, sagt Roloff. „Bis dahin hat er mich längst mit dem Messer getroffen.“ Zudem bestehe die Gefahr, den Angreifer gar nicht zu treffen, weil sich dieser wegdrehe. „Eine Chance, die Waffe dann noch zu wechseln, habe ich aus Zeitgründen nicht.“

Auch der Einsatz eines Schlagstocks sei mit viel Risiko verbunden. Oft komme es dabei zwar zu einem Treffer, aber auch zu einem Gegentreffer. Die schlechteste Entscheidung sei es, zu fliehen. Roloff: „Dann drehe ich dem Angreifer nicht nur meinen Rücken zu, sondern komme auch nicht meiner Aufgabe nach, die Bürger zu beschützen.“

Polizist benötigt sieben Meter Distanz

Polizisten treffen im Einsatz auf unterschiedliche Messertypen – vom Küchenmesser (l.) bis zum Kampfmesser mit Ring (M.), das besonders fest an der Hand sitzt.
Polizisten treffen im Einsatz auf unterschiedliche Messertypen – vom Küchenmesser (l.) bis zum Kampfmesser mit Ring (M.), das besonders fest an der Hand sitzt. © HA | Janina Dietrich

Selbst wenn der Polizist – wie vom Einsatztrainer empfohlen – sofort zur Schusswaffe greift, steht er vor Schwierigkeiten. Die Beine zu treffen, sei extrem schwierig, wenn der Angreifer mit viel Tempo angelaufen komme, sagt Roloff. Zudem würde er wegen des Adrenalins wohl nicht sofort zusammenbrechen. Auch die Idee, das Messer einfach aus der Hand zu schießen, funktioniere nicht. Er sagt: „Das klappt in Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill, aber nicht in der Realität.“

Sieben Meter Abstand brauche ein Polizist im Idealfall zum Angreifer, um rechtzeitig die Schusswaffe ziehen zu können. „Alles, was darunter liegt, erhöht die Gefahr für den Polizisten enorm“, sagt Roloff. Doch so eine große Distanz sei selten. Meistens passierten solche Attacken bei Personenkontrollen oder in Wohnungen.

Immer mehr Angreifer färbten ihre Messerklingen zudem bewusst schwarz, damit diese erst spät gesehen werden, sagt sein Kollege Stefan Hinze. „Das Beste, was Polizisten machen können, ist nach dem ersten abgewehrten Angriff auf Distanz zu gehen und die Waffe zu zücken“, sagt Roloff. Er arbeitet seit sieben Jahren als Einsatztrainer, sein Kollege seit zwölf Jahren. „Ein Messerangriff ist eine lebensbedrohliche Situation“, sagt Hinze. „Wir trainieren die Kollegen darauf, dass sie in so einem Fall auch zum letzten Mittel greifen – zur Schusswaffe.“

Elektroschockpistole könnten helfen

Laut Torge Stelck sind für jeden Polizisten in Schleswig-Holstein zwei Einsatztrainings pro Jahr vorgeschrieben, dazu einmal Selbstverteidigung. Auch Waffentraining ist zweimal jährlich Pflicht, und es muss eine Kontrollübung für Pistole und Maschinenpistole bestanden werden. „Sonst darf der Beamte diese Waffen nicht mehr führen“, sagt Stelck. Alle zwei Jahre muss ein Erste-Hilfe-Kursus besucht werden.

„Die Möglichkeiten für Polizeibeamte, einem Messerangreifer wirkungsvoll zu entgegnen und damit einer regelmäßig vorhandenen Lebensgefahr zu entgehen, sind ausgesprochen eingeschränkt“, sagt auch Thomas Nommensen, stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er plädiert nach der Simulation erneut dafür, den Einsatz von Elektroschockpistolen endlich zu testen, sagt: „Nach unserer Einschätzung hätte das mit hoher Wahrscheinlichkeit den Einsatz der Schusswaffe in Bad Oldesloe vermeiden und damit das Leben des Obdachlosen retten können.“