Trittau/Glinde. Fünf Kommunen im Kreis machen mit. Glindes Bürgermeister bleibt der Veranstaltung „aus Neutralitätsgründen“ fern.

„Die Kinderarmut ist nicht sichtbar und wird daher allzu leicht übersehen“, sagt Ingo Loeding, Geschäftsführer des Stormarner Kinderschutzbundes. Mit der Aktion „Fähnchen gegen Kinderarmut“ will die Organisation diese Kinder mehr in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins rücken und Denkanstöße geben.

Als arm gelten Kinder aus Familien, die Anspruch auf Leistungen aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket haben. In diesem Jahr gehen die Fähnchen bei den Stormarner Kindertagen auf Tour durch Reinfeld, Bad Oldesloe, Bargteheide, Trittau und Glinde. Eines pro in Armut lebendem Kind der jeweiligen Gemeinden.

Bürgermeister: Problem ignorieren hilft Kindern nicht

Sie zeigen Flagge (hinten v. l.): Gesine Schleising (Familienzentrum Trittau - FT), Bürgermeister Oliver Mesch, Torben Köthke (FT ) und der Kinderbeauftragte des Kreises Michael Eggerstedt sowie (vorn) Antje Hager (FT) und Ingo Loeding vom Kinderschutzbund Stormarn
Sie zeigen Flagge (hinten v. l.): Gesine Schleising (Familienzentrum Trittau - FT), Bürgermeister Oliver Mesch, Torben Köthke (FT ) und der Kinderbeauftragte des Kreises Michael Eggerstedt sowie (vorn) Antje Hager (FT) und Ingo Loeding vom Kinderschutzbund Stormarn © Elvira Nickmann | Elvira Nickmann

Beim Ortstermin am Donnerstagvormittag in Trittau waren Kinder der Klasse 4c der Mühlau-Schule damit beschäftigt, für jedes der 383 armen Kinder des Amtsbereichs ein blaues Fähnchen mit dem Schriftzug „Flagge zeigen gegen Kinderarmut“ in die Rasenfläche des kleinen Parks Am Markt zu stecken. Flagge zeigen wollten auch die drei Vertreter des Familienzentrums, die das Ganze organisiert hatten, Bürgermeister Oliver Mesch, Ingo Loeding und der Kinderbeauftragte des Kreises, Michael Eggerstedt. Sie alle demonstrierten mit ihrem Erscheinen, dass sie hinter der Aktion stehen. Bürgermeister Mesch: „Kinderarmut ist – in welcher Gemeinde auch immer – ein virulentes Problem.“ Es helfe nicht, vor dieser Tatsache die Augen zu verschließen.

„Das ist gesellschaftliche Realität und hat nichts mit Schämen zu tun, da kann man sich auch nicht wegducken.“ Trittau müsse seiner sozialen Verantwortung gerecht werden. „Der Zustand ist nicht schön, aber wir wollen ihn ändern. Und dazu ist es wichtig, dass der Kinderschutzbund ein gesellschaftliches Bewusstsein für diesen Missstand schafft“, sagte Mesch.

Nicht jeder Verwaltungschef steht hinter dieser Aktion

Sichtbar machen, um durch soziales Engagement und politischen Diskurs schnell Verbesserungen für die Betroffenen auf den Weg zu bringen, lautet die Botschaft. Doch nicht jeder Bürgermeister steht hinter der Aktion. Auf Anfrage des Abendblattes erklärte Glindes Bürgermeister Rainhard Zug die Absage seiner Teilnahme am Glinder Termin so: „Es ist eine Art Demonstration, und die Verwaltung ist zur Neutralität verpflichtet.“ Auch seinen Beschäftigten hat Zug als oberster Dienstherr eine Teilnehme untersagt. „Wir sind als Behörde ein aktiver Player in diesem Bereich und vertreten die Seite des Staates“, sagt der Bürgermeister. Und ergänzt: „Man kann doch nicht gegen sich selbst demonstrieren.“

Er habe prinzipiell nichts dagegen, auf Kinderarmut aufmerksam zu machen, aber es werde nicht genügend berücksichtigt, dass hinter jedem Kind arme Familien stehen. Zug: „Der Fokus der Aktion ist für mich zu klein.“ Auch die Kriterien, nach denen der Kinderschutzbund Kinderarmut definiere, seien in der Diskussion. Außerdem unterstütze er die politischen Aussagen des Sozialpädagogischen Netzwerks, das die Glinder Aktion organisiert hat, nicht.

Viele Bürger in Glinde fühlten sich persönlich angesprochen

Eine Sichtweise, mit der er unter den Verwaltungschefs der teilnehmenden Stormarner Kommunen ziemlich allein dasteht. Ingo Loeding betont, dass bei der Aktion in Glinde am Donnerstagnachmittag noch einmal von den Anwesenden betont worden sei, dass sie mit einer Demonstration im politischen Sinne nichts zu tun habe. Dieser Argumentation folgte auch der stellvertretende Bürgermeister Glindes, Frank Lauterbach (SPD), der statt Rainhard Zug daran teilnahm. Für ihn unproblematisch, weil der Bürgermeister ihm gegenüber nicht weisungsbefugt ist. Lauterbach war es auch, der beim Foto zur Aktion darauf bestand, alle Beteiligten mit abzubilden. „Wir brauchen alle Schultern, um dieses Problem anzugehen“, sagte er.

Dass Zug nicht erschienen ist, sieht Loeding kritisch: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass das Engagement gegen Kinderarmut nicht gewollt sei. In Glinde gebe es mit 905 Kindern fast 30 Prozent, die von Armut betroffen seien. Die Wirkung des Fähnchensteckens schätzt Loeding als nachhaltig ein. Viele Glinder Bürger seien stehengeblieben und hätten sich informiert oder gefragt, was sie selbst tun könnten.

Serviceclub will Konzert zugunsten der Kinder organisieren

In Reinfeld habe eine Schule darum gebeten, in den Presseverteiler des Kinderschutzbunds aufgenommen zu werden, weil sich Schüler mit dem Thema beschäftigen wollten. „Und vorgestern habe ich eine Nachricht vom Lions Club bekommen, dass er ein Benefizkonzert zugunsten armer Kinder in Ahrensburg organisieren will“, sagt Loeding.

Die Aktion bleibe in Erinnerung, soll Veränderungen anstoßen, gerade bei den Behörden. Sein Wunsch: Dass sie die Kinder im Blick behalten und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. „Je mehr Menschen Verantwortung übernehmen, desto mehr zeigen sie den Kindern und Jugendlichen, dass diese keine Schuld an ihrer Situation trifft.“ Denn viele hofften nicht auf Unterstützung und Verständnis, weil sie aufgrund ihrer Lage stigmatisiert würden. „Das hat was mit dem Menschenbild in unserer Gesellschaft und mit Würde zu tun.“