Ahrensburg. Hier wird nicht rumgezickt. Das Abendblatt begleitet eine Umweltschützerin und fünf Thüringer-Wald-Ziegen. Ein Erlebnis.
Maximilian (8), Louisa (3) und Janosch (8) ahnen noch gar nicht, was auf sie zukommen wird. Sie stehen auf dem Hof Brauner Hirsch in Ahrensfelde, über dem ein grauer Himmel liegt. Neugierig blicken die Kinder auf die grüne Weide. Dort tollt ein zwei Wochen altes Lämmchen herum, und direkt am Zaun warten mit großen Augen fünf Thüringer-Wald-Ziegen auf ihren Freigang. Die Tiere einer alten Rasse sind die Begleiter für eine Tour, die sich „Ziegen-Trekking“ nennt.
Wanderung führt auch über die ausgetrocknete Wandse
Zweieinhalb Stunden lang werden sieben Kinder und 14 Erwachsene über das schleswig-holsteinische Gebiet des Höltigbaums wandern, eine Brücke über die austrocknete Wandse überqueren und sechs Kilometer durch teilweise unwegsames Gelände zurücklegen. Vor allem aber wird es den Lütten zu keiner Zeit langweilig sein. Wer sich ein bisschen ausruhen will, lässt sich im Bollerwagen über Stock und Stein chauffieren. Heute zickt niemand rum.
„Achtung, es geht über die Straße. Kommt Ziegen!“, ruft Svenja Furken, Besitzerin von zehn Thüringer-Waldziegen. Die Umwelt-Expertin und Naturschützerin wohnt mit ihrer Familie in Ahrensfelde, bietet seit sechs Jahren Ziegen-Trekkingtouren für Kinder und Erwachsene durch den Höltigbaum an. „Das Interesse wird immer größer“, sagt sie. „Allein in diesem Jahr sind es gut 60 solcher Touren.“ Kaum haben die Ziegenböcke Henry (Führziege, 6 Jahre alt) und Benni (9) sowie drei Jungtiere die Straße überquert, dürfen sie ohne Leine laufen. Gemächlich traben Mensch und Tier über Feld und Flur.
Ruhe der Tiere überrascht
Mit dabei ist der pensionierte Hamburger Hochschulprofessor Harald Geißler mit Familie. Er staunt, dass alle fünf Ziegen immer im Rudel bleiben und nicht weglaufen. „Das sind ja richtig gesellige Tierchen“, sagt er. Die Thüringer-Wald-Ziegen gelten als sensibel, intelligent, zärtlich, bewegungsfreudig und menschenbezogen. Die Nähe zum Menschen ging einst so weit, dass die Ziegenmütter im Mittelalter als Ammen für Säuglinge eingesetzt wurden. Immer wieder bleiben Henry und die anderen Ziegen stehen. Sie naschen am Wegesrand alles, was die Natur hergibt. Blätter, Gras, Holunder. Hauptsache, es schmeckt! Wenn es ums Futter geht, treffe das Wort „dumme Ziege“ wirklich zu, sagt Svenja Furken. Bei einer Party auf dem Ziegenhof seien die Tiere einmal über die Festtafel hergefallen und speisten den Kuchen, bis für die Gäste nichts mehr übrig blieb.
Bei der Tour wechseln sich Wiesen- und Waldwege, asphaltierte Straßen und Wurzelböden ab. Es geht vorbei an Schilf, Holunderbüschen und einer offenen Weidelandschaft. Immer wieder legt Tourleiterin Svenja Furken eine Pause ein und beginnt zu erzählen. Dass der heutige Höltigbaum geologisch von der Eiszeit geprägt ist und diese Region vor mehr als 10.000 Jahren vergletschert war. Dass Ingenieure vor gut 200 Jahren mit Vermessungsarbeiten des Geländes begannen und dafür den Turm des Hamburger Michel anpeilten. Svenja Furken erzählt auch darüber, dass der Höltigbaum bis vor einigen Jahren der Bundeswehr als Übungsgelände diente. Seitdem ist ein Naturjuwel erhalten geblieben. „Eine Savanne vor den Toren Hamburgs“, fügt sie hinzu.
Ganz begeistert sind auch der Landwirt Emil Rathje aus Klein-Wesenberg und Hella Karsten aus Ahrensburg. Die Seniorin ist erst jetzt in die Schloßstadt gezogen und hat in der Stormarn-Ausgabe des Hamburger Abendblattes von dieser Veranstaltung erfahren. „Wenn ich mit der Bahn von Ahrensburg nach Hamburg fahre, habe ich immer gesehen, wie grün es hier ist. Jetzt werden meine Erwartungen sogar noch übertroffen“, sagt sie.
Smartphone-Telefonierer sollen ihre Geräte ausschalten
Die Trekking-Gruppe hat gerade den tiefsten Punkt erreicht. Wo die Wandse teilweise ausgetrocknet ist, wuchert noch immer mannshohes Schilf. Langsam legt sich die abendliche Dämmerung über Wiesen und Weiden, der Mond ist aufgegangenen und leuchtet voll am Firmament. Die meisten Gäste, erzählt Svnja Furken, seien an Naturerlebnissen interessiert und wollten das auch ihren Kindern und Enkelkindern vermitteln. Andere wiederum interessierten sich für diese alte Milchtierrasse. Es gibt aber auch immer wieder Leute, die bringen ihre Smartphones zum Telefonieren mit. Ihnen rät Svenja Furken, das Gerät auszuschalten. Dann seien sie ganz überwältigt von der Natur.
Die Mutter von zwei Töchtern arbeitete unter anderem für den Verein Jordsand, als Vogelwartin an der Unterelbe und für das Haus der Wilden Weiden. Inzwischen bietet sie auch archäologische Touren durch das Tunneltal an.
Am Ende sind die Kinder dann doch etwas müde geworden. „Tschüs, Henry“, ruft der achtjährige Maximilian und steigt am Braunen Hirsch ins Auto. Seine Großeltern Ursula und Harad Geißler sind wie er begeistert: „Der Ziegengang hat uns allen sehr gut gefallen. Eine gelungene Mischung aus Natur- und Landschaftserlebnis, interessanten Informationen, lockerer Geselligkeit und Ziegen-Nähe.“
Mehr zum Thema Ziegen-Trekking unter www.wanderziege.de. Preise für Erwachsene: 30 Euro. Kinder unter acht Jahren frei. Terminabsprache per Mail: post@wanderziege.de