Barsbüttel. 450 Bürger treffen auf Vertreter der zuständigen Hamburger Behörde. Diese machen aber keine Hoffnung auf eine Änderung der Pläne.
Es sind noch 30 Minuten bis zum Anpfiff. Nicht bei der Fußball-WM, sondern in der Sporthalle der Erich-Kästner-Gemeinschaftsschule in Barsbüttel. Dutzende der 280 aufgestellten Stühle sind schon besetzt, später werden auch Sitzbänke im hinteren Bereich sowie Tribünen unter dem Dach prall gefüllt und rund 450 Besucher vor Ort sein. Noch scherzen einige, doch das Lachen wird ihnen vergehen.
Die Verwaltung der 13.700 Einwohner zählenden Gemeinde hat geladen zur Informationsveranstaltung über die Baustelle Barsbütteler Straße auf Hamburger Gebiet. Ab 20. August und bis Jahresende wird die Hauptverkehrsader einseitig gesperrt, die Stormarner Kommune ist auf dieser Strecke dann nicht mehr zu erreichen. Dagegen protestieren Bürger seit Wochen. Ihr Zorn richtet sich gegen die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) in der Hansestadt und dem ihr zugeordneten Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG). Jene Institutionen, die so entschieden und Vorschläge des Nachbarn aus Schleswig-Holstein abgelehnt haben. Es ist das erste Mal, dass sich ihre Vertreter stellen. Sie haben ein Auswärtsspiel. Das Terrain wurde extra hergerichtet, der Hallenboden mit braunem Teppich bedeckt und die Übergänge abgeklebt, damit er keinen Schaden nimmt. Links und rechts neben dem Podest sind zwei Leinwände aufgestellt, um auf Karten die Baustelle zu erklären. Nicht zu vergessen die vier Lautsprecherboxen, installiert in zwei Meter Höhe an Eisenstangen. Es wirkt ein bisschen wie in einem Stadion.
Umwege bis zu 20 Kilometer Länge
Als Barsbüttels Bürgermeister Thomas Schreitmüller mit fünfminütiger Verspätung eine kurze Eröffnungsrede hält, ist es noch ruhig. Der Verwaltungschef gibt den Schiedsrichter und bittet die Bürger, im Umgang mit den Behördenmitarbeitern höflich zu bleiben. Er sagt aber auch gleich: „Wir sind als Gemeinde mit Anregungen und Bedenken nicht weitergekommen.“ Dann verlässt er das Podium, setzt sich davor in die erste Reihe. Eine Geste mit Symbolcharakter. Denn unparteiisch ist Thomas Schreitmüller keineswegs, steht vielmehr auf der Seite seiner Barsbütteler.
Hinter ihm hat sich Mirko Strache (40), Betreiber des örtlichen Edeka-Ladens, platziert. Er fürchtet Umsatzeinbußen für sein Geschäft und ist ob der Sperrung angefressen. Genauso ergeht es Christian Stephan (50) und Désirée Viol (46), die in Hamburg arbeiten und mit dem Auto demnächst auf der Rücktour Umwege von bis zu 20 Kilometer Länge zurücklegen müssen.
Blockverkehr mit Ampelschaltung nicht möglich
Sie schauen skeptisch auf Christian Merl, Verkehrskoordinator von Hamburg und Schleswig-Holstein, der in diesem Moment das Wort ergreift, aber vorerst keine Angriffsfläche bietet. Das ändert sich schlagartig, als LSBG-Mitarbeiter Hans Grote das Mikrofon übernimmt und Details zur Sanierung des 720 Meter langen Abschnitts bis zur Landesgrenze nennt.
Immer wieder gibt es Zwischenrufe, einige lauter, allerdings nicht unflätig. Grote sagt: „Wenn wir großflächig bauen, gibt es günstige Angebote von Firmen.“ Einen Blockverkehr mit Ampelschaltung – genau den fordern so viele Barsbütteler – habe man untersucht, er sei aber nicht möglich gewesen, weil der Platz dafür fehle. Außerdem sichere die Fahrtrichtung die Erreichbarkeit der Wandsbeker Klinik. Christian Merl fügt dann hinzu, dass die Polizei bei der von Barsbüttel gewünschten Variante nicht mitspiele.
Buslinie 263 muss über Autobahn ausweichen
„Der Vortrag überzeugt mich gar nicht“, sagt Strache. Er will wie so viele andere wissen, warum kein Vertreter der Polizei anwesend ist. Jetzt entlädt sich die Wut der Bürger, sie werden aggressiver im Tonfall, löchern die Behördenvertreter mit Fragen und spielen sich dabei Doppelpässe zu. Hans Grote und sein Kollege Ulf Neumann versuchen zu beschwichtigen. Doch es gelingt ihnen nicht.
Das gilt auch für Michael Wilhelmsen von der Hamburger Hochbahn. Er referiert über die Umleitung der Buslinie 263 von Hamburg nach Barsbüttel. Diese muss über die Autobahn ausweichen, bei Möbel Höffner ist Umsteigen in die Ringlinie angesagt. Das empört Anwesende. Auch, weil der Bus von vielen Schülern genutzt werde, nicht alle einen Sitzplatz bekämen und dadurch stehen müssten – so der Tenor.
Im Notfall werden Kitas länger geöffnet sein
Die Protestler haben Angst vor einem Unfall auf der Autobahn und um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie erfahren, dass hochfrequentierte Busse dort nur mit Tempo 60 unterwegs sein werden. Das beruhigt sie nicht, im Gegenteil. Die Antwort empfinden die Barsbütteler wie die Blutgrätsche eines Verteidigers, schütteln fassungslos den Kopf. Ihre Mienen sind wie versteinert.
Zwei alleinerziehende Mütter fürchten, dass sie es nach der Arbeit nicht zeitig schaffen, den Nachwuchs aus der Kita abzuholen. Schreitmüller beruhigt, die Verwaltung kläre den Bedarf. Heißt im Klartext: Notfalls werden die Kindertagesstätten länger geöffnet sein. Das Thema Bus ist aber noch nicht abgehakt, Seniorenbeirat Liam Cronin drischt deswegen verbal auf die Behörde ein. So gewaltig, dass Streckensperrungsgegner mit der Hand abwinken.
Rund 200 Bürger verlassen die Halle schon früher
Auf dem Podium sitzen auch die beiden Stormarner Landtagsabgeordneten Lukas Kilian (CDU) und Martin Habersaat (SPD). Während der Christdemokrat ordentlich gegen Hamburg austeilt, hält sich der Sozialdemokrat mit seiner Kritik zurück. Glücklich aber sieht auch er nicht aus. Beide wissen: Die Barsbütteler müssen die Kröte schlucken. Grote hatte vorher mehrmals darauf hingewiesen, dass das vier Millionen Euro teure Projekt so wie jetzt vorgestellt umgesetzt wird.
Merl verspricht derweil, noch einmal mit der Polizei zu reden. Das deuten die Besucher aber nicht mal als Hoffnungsschimmer. Rund 200 sind schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsende gegangen und desillusioniert. Einen Sieg und damit den Verzicht auf die Einbahnstraßenregel werden die Bürger nicht mehr erringen. „Es bleibt unbefriedigend“, bilanziert Bürgermeister Thomas Schreitmüller.