Ahrensburg. Unbekannte haben eine „Traueranzeige“ vor der Lindenhof-Baustelle aufgehängt. An der Alten Reitbahn wurden Bäume beschmiert.

Rote Grablichter stehen auf der Brücke vor der Lindenhof-Baustelle in Ahrensburg, darüber hängt ein Plakat mit dem Titel „Traueranzeige“. Passanten bleiben stehen, wundern sich. Einige sind empört. Denn die Aktion weckt Erinnerungen an die Bluttat am Hamburger Jungfernstieg nur wenige Stunden zuvor, oder einen schrecklichen Unfall.

Doch darum geht es bei dieser Aktion nicht. „Es hat gekämpft und doch verloren. Schleichend und unerwartet haben wir ein Stück Stadtkultur verloren“, heißt es auf dem Plakat. Und weiter: „Nach dem Zusammenstoß mit einem völlig überzogenen Bauprojekt hat 2018 unser beschauliches Stadtbild nach langer Planungszeit seinen Kampf verloren und ist mit offenen Augen von uns gegangen!“ Unterzeichnet ist die vermeintliche Traueranzeige mit den Worten „In nicht stiller Trauer! Die Hinterbliebenen in Ahrensburg“.

Hinter Protes-Plakat versteckte sich ein Graffito

Bürgermeister Michael Sarach ordnet am Freitagvormittag sofort an, alles zu entfernen. „Es handelt sich um eine unerlaubte Plakatierung auf öffentlichem Grund“, sagt Rathaussprecherin Imke Bär. „Der oder die Unbekannten hätten eine Sondernutzungserlaubnis beantragen müssen. Das ist nicht geschehen.“ Doch als die Mitarbeiter des Bauhofes gegen Mittag ausrücken, sind Kerzen und Plakat bereits verschwunden. Stattdessen finden sie an der Stelle ein weißes Graffito vor, das bis dahin vom Plakat verdeckt war. Es zeigt den Lindenhof und ein Kreuz. Darunter steht in weißer Schrift „zu groß?“. „Offensichtlich hat der oder die Trauernde mit der Entfernung des Plakates gerechnet“, sagt Bär. Das Graffito soll in der kommenden Woche entfernt werden.

Ahrensburgs Bürgermeister Michael Sarach
Ahrensburgs Bürgermeister Michael Sarach © HA | Lutz Wendler

Wie bewertet der Bürgermeister solche Aktionen? „Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung“, sagt Sarach. „Aber ich wünsche mir, dass die Leute das nicht anonym machen, sondern mit ihrem Namen dazu stehen.“

Klar ist: Über das Bauprojekt in Bahnhofsnähe wurde viele Jahre lang kontrovers diskutiert. Die Ahrensburger Politiker haben das Vorhaben dann aber vor gut zwei Jahren mehrheitlich durchgewinkt. Auf dem 3000 Quadratmeter großen Gelände, das früher als Parkplatz genutzt wurde, entsteht nun ein sechsstöckiges Gebäude mit Läden, Büros und 62 Wohnungen sowie eine Tiefgarage mit 77 Plätzen. Mehr als die Hälfte der Wohnungen, die zwischen November und Januar bezugsfertig sein sollen, ist bereits vermietet.

Kreuze an Bäumen geben Ahrensburgern weitere Rätsel auf

Obwohl hinsichtlich des Baus alles längst entschieden ist, hat es in der Vergangenheit mehrere, stets anonyme Protestaktionen am Lindenhof gegeben. Im September 2016 hingen Unbekannte beispielsweise Transparente mit Sprüchen auf, um gegen die Fällung der Bäume zu protestieren. Und erst kürzlich wurde „zu groß“ in roter Farbe vor das sechsstöckige Gebäude geschrieben. Doch der Investor Curata hält sich genau an die Vorgaben, versichert Ahrensburgs Bauamtsleiter Peter Kania. „Er baut genau nach Baugenehmigung und nach dem Entwurf, der damals im Wettbewerb ausgewählt wurde. Das Haus wird weder höher noch niedriger.“

Das Lindenhof-Areal ist nicht das einzige Gebiet in Ahrensburg, wo zurzeit anonym protestiert wird. Am Parkplatz Alte Reitbahn geben seit ein paar Tagen orangerote Kreuze an einem Dutzend Bäumen Rätsel auf. Auf dem rund 6000 Quadratmeter großen Areal plus Nachbargrundstücken plant ein Investor einen Edeka-Supermarkt, eine Tiefgarage mit 184 Plätzen sowie knapp 80 Wohnungen. Anwohner sind in Sorge, dass die Markierungen Fällungen ankündigen, Autofahrer blicken nach dem Abstellen ihrer Fahrzeuge verwundert auf den Knick, Passanten schütteln ratlos den Kopf. Was haben die Kreuze an allen größeren Laubbäumen, die bis in den Fuß- und Radweg Reesenbüttler Graben hineinreichen, bloß zu bedeuten? Die Antwort ist kurz: nichts.

Der Baumsprayer muss nicht mit Konsequenzen rechnen

An der Alten Reitbahn wurden zahlreiche
An der Alten Reitbahn wurden zahlreiche © HA | Harald Klix

„Die Markierungen der Bäume sind weder von der Stadtverwaltung noch von den Stadtbetrieben angebracht worden“, sagt Imke Bär. „Es wurde auch weder eine Vermessung noch eine derartige Markierung zu sonstigen Zwecken veranlasst.“ Die Art der Kreuze entspreche auch nicht der üblichen Praxis von Planungs- oder Vermessungsbüros. Zudem ergebe sie zum gegenwärtigen Planungsstand der Bebauung der Alten Reitbahn gar keinen Sinn. Da das verwendete Spray frei im Handel erhältlich und der Knick für jeden zugänglich sei, ist für die Rathaussprecherin klar: „Offensichtlich hat sich dort jemand einen schlechten Scherz erlaubt.“

Mit Konsequenzen muss der unbekannte Sprayer wohl nicht rechnen. Sowohl die Polizei als auch die Verwaltung schätzen den Vorfall nicht als Sachbeschädigung ein. „Eine Anzeige wird es deshalb nicht geben“, sagt Imke Bär. Die Bäume seien zwar beschmiert, aber durch die Farbe weder zerstört noch beschädigt worden. Für eine strafrechtlich relevante Beschädigung müsste die Sachsubstanz – im vorliegenden Fall also der jeweils betroffene Baum – eine nicht unerhebliche Verletzung aufweisen. Das bestätigt ein Sprecher der Polizeidirektion: „Bei eingeschlagenen Nägeln oder einer giftigen Injektion wäre das anders zu bewerten.“

Supermarkt soll für Kino-Neubau umziehen

Der Knick an der Alten Reitbahn muss nach den neuesten Planungen drei Mehrfamilienhäusern weichen. Aus Naturschutzgründen hatten SPD und Grüne das Vorhaben im Umweltausschuss abgelehnt. Außerdem fordern sie mehr als die bis jetzt vorgesehenen zehn Sozialwohnungen in dem Areal. Da die Mehrheit aus CDU, FDP und Wählergemeinschaft WAB aber zustimmte, hat die Bremer Melchers-Gruppe nun bis Ende Juni (dann endet die sogenannte Anhandgabe des Grundstücks) Zeit, einen detaillierteren Vorhabenplan zu erstellen. Durch den Ankauf von Grundstücksteilen in der benachbarten Adolfstraße ist das Neubaugebiet an der Alten Reitbahn noch einmal deutlich größer als zuvor geplant.

Die endgültige Entscheidung fällen die Stadtverordneten. Laut Bauamt könnte Ende des Jahres über einen Bauantrag entschieden werden. Der Neubau auf der Alten Reitbahn ist Voraussetzung für ein Kino in Ahrensburg. Um das bauen zu können, soll der Edeka-Supermarkt aus der Bahnhofstraße an die Reitbahn umziehen. Auf dem Grundstück am Bahnhof, das der Melchers-Gruppe bereits gehört, wäre dann Platz fürs Kino. Dessen Eröffnung wird aktuell für Herbst 2022 angestrebt. Damit hat die Realität den ehrgeizigen Zeitplan für das Großprojekt – zusammen will die Melchers-Gruppe einen zweistelligen Millionenbetrag in Ahrensburg investieren – überholt. Bei der ersten Vorstellung Anfang 2016 hatte das Unternehmen eine Kinoeröffnung für Herbst 2019 angepeilt.

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