Ahrensburg. Nach Einstellung des Verfahrens gegen Ruhestandsgeistlichen im Missbrauchs-Skandal: Betroffene fordern weitere Aufarbeitung.

Der in den Missbrauchsskandal verwickelte Ahrensburger Pastor im Ruhestand Friedrich H. wird nicht exkommuniziert. Hohe Kirchenvertreter kritisieren die Entscheidung des Disziplinargerichts der Nordkirche als „falsches Signal“. Betroffene hingegen begrüßen das Ende des Verfahrens, obwohl H. keine disziplinarischen Sanktionen zu befürchten hat.

Die Vorwürfe gegen den pensionierten Pastor Friedrich H. sind schwer: In den 80er-Jahren soll der heute 76 Jahre alte Geistliche über Jahre hinweg den sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener durch seinen Amtskollegen Dieter K. gedeckt haben und selbst „mit seinem Amt unvereinbare“ sexuelle Verhältnisse unterhalten haben.

Taten haben für Geistlichen keine Konsequenzen

„Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Pastor vor rund 30 Jahren sexuelle Übergriffe gegenüber volljährigen Jugendlichen begangen hat“, sagt Stefan Döbler, Pressesprecher der Nordkirche. „Als erwiesen sah das Gericht ebenso an, dass er vom Missbrauch Minderjähriger durch einen anderen Ahrensburger Pastor wusste, jedoch nichts tat, um diesen den zuständigen Stellen zu melden.“ Beides sei mit dem Amt eines Pastors und der damit verbundenen Verantwortung für die Menschen, die ihm anvertraut sind, unvereinbar.

Obwohl die Nordkirche die Vorwürfe im Wesentlichen für erwiesen hält, haben die Taten für den heute 76-Jährigen keine Konsequenzen. Die Richter stellten, wie berichtet, das Verfahren angesichts seiner langen Dauer ein. Der drohende Verlust der Ordinationsrechte und Pensionsbezüge sei unverhältnismäßig.

Propst Buhl kritisiert Einstellung des Verfahrens

Friedrich H. hat auf eine telefonische Anfrage des Abendblattes nicht reagiert. Sein Anwalt Heinz Wagner sagte, sein Mandant habe das Urteil des Disziplinargerichts „mit Erleichterung“ aufgenommen. Allerdings habe das über Jahre laufende Verfahren den inzwischen 76 Jahre alten H. stark belastet. Gesundheitlich gehe es ihm nicht gut.

Für weniger Erleichterung sorgte die Entscheidung des Disziplinargerichtes an anderen Stellen. Propst Hans-Jürgen Buhl kritisiert die Einstellung des Verfahrens: „Ich halte es für ein falsches Signal, wenn ein Pastor trotz offensichtlicher Verfehlungen disziplinarisch nicht belangt wird“, sagt der Geistliche auf Abendblatt-Anfrage. Dass Herrn H. die Ordinationsrechte vom Kirchengericht nicht entzogen worden seien, gebe ihm zu denken.

Kirchengemeinderat beschäftigt sich mit Entscheidung

Theoretisch könnte Friedrich H. in Ahrensburg weiterhin Gottesdienste oder Trauerfeiern leiten – auch im Ruhestand. Die Entscheidung obliegt dem Kirchengemeinderat. „Ich hoffe darauf, dass diese klug und mit Bedacht getroffen wird“, so Propst Buhl.

Der Ahrensburger Kirchengemeinderat wird sich nach Angaben seines Sprechers Florian Lemberg ausgiebig mit der Entscheidung beschäftigen: „Unsere Arbeitsgemeinschaft ,Miteinander Wege gehen’ wird sich mit dem Ausgang des Prozesses und der Bedeutung für die Gemeinde auseinander setzen.“ Die Arbeitsgemeinschaft erarbeitet derzeit ein Schutzkonzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt für die Kirchengemeinde.

Die Vorfälle kamen erst 2010 ans Licht

Hans-Jürgen Buhl, Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost, sagt: „Ich halte es für ein falsches Signal, wenn ein Pastor trotz offensichtlicher Verfehlungen disziplinarisch nicht belangt wird.“
Hans-Jürgen Buhl, Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost, sagt: „Ich halte es für ein falsches Signal, wenn ein Pastor trotz offensichtlicher Verfehlungen disziplinarisch nicht belangt wird.“ © HA | Lutz Wendler

Für die Opfer des Missbrauchsskandals kommt das zu spät. Die Vorfälle kamen erst 2010 ans Licht, nachdem sich ein Opfer in einem Brief der damaligen Bischöfin Maria Jepsen anvertraute. Die Verfasserin gab an, als 16-Jährige zwischen 1979 und 1984 ein sexuelles Verhältnis mit Dieter K. gehabt zu haben. Er soll sich während seiner Amtszeit noch an weiteren Minderjährigen vergangen haben – unter anderem an seinen drei Stiefsöhnen. Dieter K. kam nie vor Gericht. Auch äußerte er sich nicht zu den Vorwürfen. Einem Disziplinarverfahren kam er zuvor, in dem er 2010 seine Entlassung beantragte.

Der Ahrensburger Pastor Helgo Matthias Haak will das Urteil des Disziplinargerichtes nicht kommentieren: „Zu dem Thema habe ich 2010 schon alles gesagt“, so der Ahrensburger, der 1992 seine Arbeit in der Schlosskirche aufnahm. Nachdem die Vorfälle bekannt wurden, sprach Haak von einer Mauer des Schweigens. „Mein Eindruck war, dass verdrängt, vertuscht und unter den Tisch gekehrt wurde“, sagte er damals dem Abendblatt. Für das Verhalten von Friedrich H., der trotz Kenntnis der Vorwürfe schwieg und auch niemanden in der Gemeinde in Kenntnis setzte, habe er wenig Verständnis.

2010 gründete sich der Verein „Missbrauch in Ahrensburg“

Verständnis ist in dem Missbrauchsskandal nur wenig zu finden. Vor allem nicht bei den Opfern. Für sie ist das Ende des Verfahrens gegen den einen der zwei Beschuldigten dennoch ein „bedeutsamer Meilenstein“, wie Anselm Kohn, Stiefsohn des Hauptbeschuldigten Dieter K., auf Abendblatt-Anfrage sagt: „Für viele Betroffene und Zeugen ist die Erklärung, dass vorgebrachte Vorwürfe als erwiesen gelten, letztlich eine sehr wichtige Bestätigung auf die lange gewartet werden musste.“

Kohn kritisiert allerdings, dass das Kirchengericht die Belange der involvierten Betroffenen in ihrer Zeugenfunktion nicht ausreichend beachtet habe. Der Prozess habe jedoch gezeigt, dass nicht alle Fälle des klerikalen Versagens kirchenrechtlich behandelt werden können.

Für Anselm Kohn spielt die Frage, wie die Kirche künftig mit solchen Skandalen umgeht, eine größere Rolle als die der Bestrafung für Friedrich H. „Ob nun das Kirchengericht bereits die letzte innerkirchliche Instanz sein sollte, ist fraglich.“ Einen Schlussstrich will Kohn, der mit anderen Betroffenen im Jahr 2010 den Verein „Missbrauch in Ahrensburg“ gründete, nicht ziehen. Zu viel ist seit 2010 geschehen: „Es braucht dringend eine Aufarbeitung der Aufarbeitung. Es gibt weiterhin offene Punkte.“