Ahrensburg. Im Schlosskirchen-Gemeindesaal wurde über den Untersuchungsbericht zum Missbrauchsskandal diskutiert. Positives Fazit des Publikums.

Kommunikations-
probleme ist die Kirchengemeinde Ahrensburg gewöhnt. Die Störung bei der Diskussion über den Schlussbericht zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Gemeindesaal der Schlosskirche war aber ein Novum, denn nicht das Nebeneinander unüberbrückbarer Meinungen war der Auslöser dafür, dass die Verständigung mit zwei Teilnehmerinnen ausfiel, sondern schlicht ein technisches Problem. Die Rechtsanwältinnen Petra Ladenburger aus Köln und Martina Lörsch aus Bonn waren per Videoübertragung zugeschaltet. Jeder der etwa 70 Zuhörer konnte die beiden auf einem zweigeteilten Bildschirm sehen, doch kaum einer konnte bei den vielen Aussetzern in der Übertragung ihrer Worte verstehen, was sie dem Publikum in Ahrensburg zu sagen hatten – mit der Konsequenz, dass die weitere Diskussion auf den Saal beschränkt wurde.

Es wurde endlich viel miteinander statt nur gegeneinander gesprochen

Dieses technische Malheur blieb aber eine Marginalie, denn wirklich wichtig war an diesem Abend, dass endlich viel miteinander statt nur gegen-
einander geredet wurde. Das Beauftragtengremium (BAG) der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Ahrensburg hatte auf Wunsch der Gemeindeversammlung zum Gespräch über den mehr als 500 Seiten starken Untersuchungsbericht der vierköpfigen unabhängigen Kommission eingeladen, die ein Jahr lang gründlich das Fehlverhalten von Geistlichen und anderen Mitarbeitern der Nordkirche untersuchte. In den Ahrensburger Fällen ging es vor allem um „sexualisierte Gewalt“ eines Pastors gegen Minderjährige. Die Veranstaltung in der Schlosskirche sollte den Ahrensburgern die Gelegenheit geben, die Autoren des Berichts direkt zu befragen.

Nach dem technischen Ausfall der beiden Juristinnen war es Dirk Bange vorbehalten, für die Kommission zu sprechen. Der Erziehungswissenschaftler und Abteilungsleiter in der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration fasste noch einmal knapp das Vorgehen – zahlreiche Interviews mit Betroffenen und Kirchenmitarbeitern, Aktenstudium und Medienrecherchen – zusammen, um dann einige Schlussfolgerungen und Empfehlungen an die Kirchenleitung zu präsentieren.

Individuelles Fehlverhalten wurde durch systemische Strukturen begünstigt

Bange berichtete, dass die Analyse neben individuellem Fehlverhalten von Seelsorgern und anderen Kirchenmitarbeitern gegenüber jungen Menschen, die oft auch Schutzbefohlene gewesen seien (was nicht immer juristisch klar zu fassen war), auch systemische Probleme aufdeckt habe. Die Übergriffe hätten nur deshalb so lange unentdeckt beziehungsweise ungenannt bleiben können, weil das geschlossene System Kirche und interne Wahrnehmungsblockaden die Täter geschützt hätten.

Aus dem Bericht lässt sich schließen, dass die Opfer nicht allein aus Scham und Angst lange Zeit geschwiegen haben, sondern auch weil sie nicht wussten, wem sie sich hätten offenbaren sollen. Banges Deutung legt nahe, dass in der Nordkirche, die liberal auftritt, zum Beispiel im Vergleich zum Zölibat der katholischen Geistlichen, ein Klima entstanden sei, in dem sexuelle Übergriffe für unwahrscheinlich gehalten worden seien.

155 Empfehlungen der Kommission und ein Zehn-Punkte-Plan sollen der Nordkirche helfen, künftigem Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter wirksame Kontroll- und Schutzmechanismen entgegenzusetzen. Ulrike Murmann, Pröpstin und Hauptpastorin in St. Katharinen, berichtete von der schrittweisen Umsetzung, von externen Ansprechpartnern, denen sich Betroffene geschützt offenbaren könnten. Sie kündigte an, dass die Nordkirche 2017 eine Arbeitsstelle gegen sexuelle Gewalt einrichten werde.

Der Skandal führte zu Verwerfungen, die bis heute in Ahrensburg nachwirken

Dafür, dass das Gespräch nicht zu abstrakt verlief, sorgten Ahrensburger Gemeindemitglieder, die direkt mitbekommen hatten, wie die Übergriffe von Pastor Dieter K. nach und nach bekannt wurden und dass die Kirche bei der Aufarbeitung nicht immer souverän auftrat. Das alles führte zu Verwerfungen, die bis heute in der Ahrensburger Gemeinde nachwirken. Dirk Bange zeigte dem Publikum eine Karikatur, auf der mehrere Grüppchen von wütenden Menschen zu sehen sind, die durch tiefe Gräben voneinander getrennt werden und mit dem Finger auf ihr Gegenüber zeigen.

Dass es auch anders gehen kann, deutete das zweieinhalbstündige Gespräch im Schlosskirchen-Gemeindesaal an. Zwar wurde kontrovers diskutiert, und es gab Kritik an einer Kirche, von der sich manche Menschen im Publikum nicht mehr vertreten fühlten, doch es wurde zugehört. Vertreter der Kirche entschuldigten sich, die Ahrensburger BAG-Vorsitzende Ursula Wegmann bekannte ihre Scham für das, was jungen Menschen im Schutzraum Kirche angetan worden sei.

„Wir sollten nicht stehenbleiben, sondern das Gutachten fortschreiben“

Trotz kontroverser Standpunkte fiel das Fazit diesmal positiv aus. So sagte zum Beispiel Henning Offen, der sich im Missbrauchsskandal früh für größtmögliche Aufklärung engagiert hatte: „Ich hatte die Befürchtung, dass es wieder so hitzig werden würde wie an vielen Abenden vorher. Jetzt bin ich erleichtert. Das war ein vernünftiges Gespräch über Sachfragen. Wir sollten nicht beim Erreichten stehenbleiben, sondern das Gutachten fortschreiben.“

Und eine Betroffene sagte: „Es ist schön, wenn der Bericht Früchte trägt. Man muss über alles reden. Die Versprachlichung hilft, gegensätzliche Interessen und Animositäten zu überwinden.“ Dafür gab es Szenenapplaus. Ein gutes Zeichen.