Ahrensburg. DNA-Analyse überführt Verbrecher auch nach der Tat. Jetzt werden Fälle aus den 1980er-Jahren in Köthel und Wentorf erneut untersucht.
Der Täter ist spurlos verschwunden. Immer wieder ist dieser Satz nach ungeklärten Verbrechen zu hören – doch in den seltensten Fällen trifft er tatsächlich zu. Denn seit der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks wissen Ermittler, dass Mörder und andere Kriminelle fast nie ohne Spuren zu hinterlassen vom Tatort flüchten. Bereits eine winzige Hautzelle, für das menschliche Auge nicht zu sehen, kann den Täter überführen.
Auch die Ermittler, die jetzt die Morde an zwei Taxifahrerinnen Ende der 80er-Jahre in Köthel und Wentorf aufklären wollen, hoffen, an Asservaten eine Spur zum Täter zu finden.
Aufklärung mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks
Möglich macht dies die DNA-Analyse, die es seit Mitte der 80er-Jahre gibt. Seitdem haben Forensiker das Verfahren stets verbessert – selbst Morde und andere Kapitalverbrechen, die Jahrzehnte zurückliegen, können heutzutage mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks aufgeklärt werden.
Als „modernste Kriminaltechnik“ bezeichnet die Polizei das Verfahren. Doch Fakt ist: Die Molekulargenetik kann heutzutage weitaus mehr, als die Polizei bei der Verbrecherjagd darf. Zuletzt forderten Ermittler und Politiker in Baden-Württemberg nach der Ermordung einer Studentin in Freiburg mehr Möglichkeiten bei der DNA-Analyse.
Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, nicht 100 Prozent
Laut Strafprozessordnung darf bei der DNA-Analyse nur das Geschlecht des mutmaßlichen Täters bestimmt werden. Ansonsten dürfen Forensiker bei der Erstellung des genetischen Fingerabdrucks nur auf den nicht-codierenden Bereich der DNA gucken.
Die Genetikerin und Rechtsmedizinerin Nicole von Wurmb-Schwark erklärt, dass es sich dabei um die Bereiche zwischen den Genen im Erbgut handelt. Die Gene selbst sind tabu. Denn dort sind sämtliche Erbinformationen jedes Menschen gespeichert. „Wir könnten beispielsweise daraus ablesen, dass der Tatverdächtige mit großer Wahrscheinlichkeit rote Haare und blaue Augen hat“, erklärt Wurmb-Schwark. Ferner können Wissenschaftler die Hautfarbe bestimmen, genauso die Herkunft. „Also ob es sich um einen Nordeuropäer, Afrikaner oder Asiaten handelt“, sagt die Medizinerin, die auch betont, dass es sich immer um Wahrscheinlichkeiten von beispielsweise 90 Prozent (rote Haare) handelt. „100 Prozent wird es nie geben“, sagt sie.
Niederlande: Äußere Merkmale anhand DNA bestimmen
Dennoch sind solche Informationen für die Polizei von großer Bedeutung. Denn gibt es keinen Verdächtigen, und ergibt auch ein Abgleich mit der DNA-Analysedatein des Bundeskriminalamtes keinen Treffer, hilft diese Spur den Ermittlern bei der Suche nach dem Täter nicht weiter.
Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) sagt: „Im Prinzip ist dies mit dem Fall vergleichbar, in dem ein Täter bei einer Straftat zufällig gefilmt oder fotografiert wird. Auch in diesen Fällen würden wir uns die Aufnahmen anschauen und versuchen, alle erkennbaren Merkmale des Täters zu identifizieren.“ Ferner sei es unter anderem in den Niederlanden möglich, äußere Merkmale anhand der am Tatort gesicherten DNA zu bestimmen. Damit hätten die Ermittler auch gute Erfahrungen gemacht. Auch die Ermittler der Lübecker Mordkommission sagen, dass ihnen Informationen über das mögliche Aussehen entscheidend weiterhelfe.
2010 bis dato größter Massengentest in Schleswig-Holstein
Doch es gibt auch viel Kritik. Golschan Ahmad Haschemi von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und rechte Gewalt engagiert, kritisiert, dass jemand allein wegen seiner Rasse ins Visier der Ermittler gerät. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte sagt: „Es ist falsch, die weitergehende DNA-Analyse zum Allheilmittel der Kriminalitätsbekämpfung auszurufen. Dazu ist sie zu fehleranfällig und riskant.“
Doch viele Mordfälle bleiben ungeklärt, obwohl die Ermittler Informationen über den Täter in der Hand halten, auf diese aber nicht zurückgreifen können. Solch ein Fall ist der Mord an Silke Brüchmann aus Reinfeld. Die 15 Jahre alte Schülerin wurde 1985 ermordet. Rund 25 Jahre später fanden die Lübecker Ermittler, die den Fall neu aufgerollt hatten, DNA-Spuren eines Mannes an den Asservaten. Daraufhin folgte 2010 der bis dato größte Massengentest in der Geschichte Schleswig-Holsteins. Rund 2200 Männer wurden zur Speichelprobe aufgerufen. Bis auf 40 gaben die Männer freiwillig eine Probe ab, der Täter war jedoch nicht dabei. Die Ermittlungen dazu dauern noch an.
Nur tatrelevante Spuren dürfen eine Rolle spielen
Nicole von Wurmb-Schwark, die heute ein privates Labor in Hamburg hat, war 2010 Leiterin der forensischen Genetik am Universitätsklinikum in Kiel und wertete mit ihren Mitarbeitern die Proben im Mordfall Silke Brüchmann aus. Für die Rechtsmedizinerin ist dieser Mordfall ein gutes Beispiel dafür, dass die Bestimmung der äußeren Merkmale des Täters die Ermittlungen auf eine kleinere Gruppe gelenkt hätten. „Ganz pragmatisch könnten solche Möglichkeiten mehrere Zehntausend Euro einsparen“, sagt Wurmb-Schwark, die eine Ausweitung der DNA-Untersuchungen im Prinzip nicht schlecht findet. „Allerdings, wenn es dazu eine vernünftige Gesetzeslage gibt“, sagt sie.
Denn nicht nur die DNA-Analyse an sich ist in den vergangenen Jahren präziser geworden. Moderne Geräte wie Mikroskope machen sogar die winzigsten Zellen sichtbar. „Wenn jemand im Bus hustet, kann Speichel an Hals und Nacken der Person landen, die vor ihm sitzt. Wird dieser Mensch dann erdrosselt irgendwo aufgefunden, könnte schnell ein Unschuldiger ins Visier geraten“, sagt Wurmb-Schwark und möchte mit diesem Beispiel klarmachen, dass zum Beispiel nur tatrelevante Spuren eine Rolle spielen dürften. Also Spuren wie Sperma nach einer Vergewaltigung oder Haut- und Blutreste unter Fingernägeln von Opfern.
Schwieriger wird es bei Spuren wie beispielsweise einer Zigarettenkippe aus dem Aschenbecher eines Taxis wie im Mordfall Rosemarie Hirt. Denn die DNA könnte zu einem Fahrgast gehören, der vor dem Mörder im Taxi saß. Und Altfälle haben ein weiteres Problem. Welf Szebrowski von der Lübecker Mordkommission kennt einen Fall, in dem diverse DNA-Spuren an einem Schal gesichert wurden, mit dem ein Opfer erdrosselt wurde. Doch es waren alles Spuren der damaligen Ermittler.