Kiel. Was Sie zur Landtagswahl am 7. Mai wissen müssen. Heute: Besuch bei Anita Klahn, Martin Habersaat, Tobias Koch und Tobias von Pein.
Beste Aussichten für Schüler: Mehrere Klassen und Oberstufenkurse sitzen auf der Galerie des lichten Plenarsaals im Kieler Landtag, und es ist nicht ganz klar, was ihre Aufmerksamkeit mehr fesselt: die polemische, mehr oder minder muntere Debatte zwischen Regierung und Opposition zum Abschluss der 18. Wahlperiode oder der rege Bootsverkehr auf der Förde.
Ähnliche Ausblicke gibt es auch eine Etage tiefer, aber nicht für jeden der 69 Landtagsabgeordneten. „Das ist gemein: Die CDU guckt aufs Wasser, und wir schauen nur auf die CDU“, sagt Martin Habersaat und grinst. Der SPD-Politiker ist einer von fünf Stormarnern unter den Schleswig-Holsteinischen Parlamentariern und er hat trotz Wahlkampfstress beste Laune. Wer jetzt an einen entspannten Job mit viel Küstenflair denkt, liegt jedoch falsch. Denn die maritimen Ausblicke und der Spaßfaktor sind eher die angenehme Ausnahme im Abgeordnetenalltag. Was umso mehr in diesen Tagen gilt, denn nebenbei läuft bereits der Wahlkampf.
Vier Stormarner Abgeordnete werden wohl weiter dabei sein
Vier der fünf Stormarner wollen am 7. Mai wiedergewählt werden, einzig Rainer Wiegard aus Bargteheide (CDU, 67) tritt nicht wieder an (siehe rechts). Anita Klahn (FDP), Martin Habersaat (SPD), Tobias Koch (CDU) und Tobias von Pein (SPD) dagegen werden höchstwahrscheinlich auch in der 19. Legislaturperiode dabei sein – entweder als Direktkandidaten in einem der drei Stormarner Wahlkreise erfolgreich oder aber über einen Listenplatz abgesichert.
Wahlkampf, und das zeigt sich in der finalen Debatte im Plenarsaal, ist auch Bilanz der fünfjährigen Arbeit. Jeder Abgeordnete will und sollte den Wählern zeigen, was er eigentlich in der vergangenen Legislaturperiode getan und bewirkt hat. Das ist gar nicht so einfach, denn die Abgeordneten sind zwar öffentliche Wesen – aber ihre tagtägliche Arbeit spielt sich trotz aller erwünschten Transparenz bis hin zur Offenlegung ihres Einkommens (siehe rechts unten) eher abseits öffentlicher Wahrnehmung ab. Deshalb hat das Abendblatt die vier Stormarner Kandidaten in Kiel besucht, um Einblicke in ihr Leben als Landtagsabgeordnete zu gewinnen.
Das Abgeordnetenleben ist ziemlich individuell gestaltet
Erkenntnis Nummer eins: „Das Abgeordnetenleben ist nicht von Regelmäßigkeit geprägt“, sagt Tobias Koch und skizziert seinen Alltag, der dem der anderen drei gleicht. Monatlich drei Sitzungstage im Landtagsplenum, ansonsten drei bis vier Arbeitstage pro Woche in Kiel, die zum Teil mit Fraktionssitzungen, Arbeitskreisen und selbstverständlich Ausschüssen ausgefüllt sind. Soweit das Gemeinsame. Hinzu kommen Aufgaben, die notwendigerweise individuell gestaltet werden, weil sie unterschiedliche Politikbereiche und Handlungsebenen betreffen.
Anita Klahn (57) zum Beispiel sagt, dass sie als Mitglied einer kleinen Fraktion (die FDP hat sechs Sitze, CDU und SPD dagegen jeweils 22) mehr Themen als viele Kollegen aus stärkeren Parteien mit größerem Apparat abdecken müsse. Als sozial-, familien- und bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion müsse sie sehr viele Außentermine in zum Beispiel Kitas und Schulen wahrnehmen und reichlich Unterlagen sichten.
Für alle stehen viele Abendtermine an
Als bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion kann Martin Habersaat (40) das bestätigen. Außerdem ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Co-Vorsitzender des Ausschusses für die Zusammenarbeit der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg. Darüber hinaus kämen, so sagt er, zahlreiche informelle Termine zusammen: Diskussionen mit Besuchergruppen im Landtag, an vier fünf Abenden in der Woche „SPD-Termine“ und Treffen im Wahlkreis Stormarn-Süd.
Letzteres trifft auch auf Tobias von Pein (31) zu, der im Wahlkreis Stormarn-Mitte verwurzelt ist. In Kiel gehört er unter anderem dem Wirtschaftsausschuss an und ist Sprecher der SPD-Fraktion für Wirtschaftspolitik, Jugend- und Ausbildungspolitik. Außerdem war er – ebenso wie Anita Klahn – fast anderthalb Jahre lang Mitglied des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der in 62 Sitzungen die Missstände im Mädchenheim Friesenhof in Dithmarschen untersuchte.
Tobias Koch (43) ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion stark in die Administration eingebunden und gehört dem Finanzausschuss an, den er als besonders arbeitsintensiv bezeichnet: „Wir hatten allein in dieser Wahlperiode 153 Sitzungen“, sagt der finanzpolitische Sprecher seiner Fraktion. Außerdem ist Koch weiterhin als Ahrensburger Stadtverordneter und im Finanzausschuss kommunalpolitisch aktiv. „Das ist zwar manchmal schwierig, wenn ich direkt vom Landtag in 75 Minuten nach Ahrensburg fahre, um noch an einer Stadtverordnetenversammlung teilzunehmen, aber ich finde es wichtig, weiterhin auch im Wahlkreis vor Ort zu sein“, sagt er und fügt hinzu: „Kommunalpolitik ist oft erfüllender, weil sie eher Erfolgserlebnisse bringt.“
Im Wahlkampf wird der Ton ruppiger
Alle vier sind sich einig, dass ihre Arbeitswoche mindestens 60 Stunden lang ist. „Politisches Engagement geht nur, wenn die Familie voll dahinter steht“, sagt Klahn und erzählt, dass auch ihr Mann und die Söhne im Wahlkampf im Einsatz sind. „Sie helfen beim Plakatieren und Verteilen der Flyer, bei der Adressendatei und Veranstaltungen oder als privater Chauffeur. Und unsere Garage ist zurzeit ein Wahlkampflager.“
Wahlkampf bedeutet noch einige Arbeitsstunden mehr, wird aber von keinem als belastend empfunden, obwohl Martin Habersaat davon spricht, zurzeit keinen freien Abend mehr zu haben und nächtens noch am Rechner zu sitzen. „Das ist eher Adrenalin als Stress“, sagt Tobias von Pein. Sein Gegenkandidat in Stormarn-Mitte, Tobias Koch, spricht von über die Jahre ausgeprägter Gelassenheit: „Das ist für mich Routine. Man steckt in den Themen drin.“
Zu den Spielregeln des Wahlkampfes gehört es auch, dass der Ton zwischen den Parteien ruppiger wird – zuweilen deutlich hörbar in der Landtagsdebatte zum Abschluss der 18. Wahlperiode. Bitterer Ernst oder auch viel Show für die Galerie? Wohl etwas von beidem. „Das ist hier ein erheblicher kulturel- ler Unterschied“, sagt Tobias Koch und vergleicht den Ton mit Diskussionen in seiner Heimatstadt: „In Ahrensburg haben wir viel mehr Empfindlichkeit, obwohl wir uns dort mit Samthandschuhen anfassen. In Kiel gibt es dagegen einen echten politischen Schlagabtausch. Jeder macht seine politische Position so deutlich wie möglich. Wir haben aber trotz aller Schärfe ein gutes Verhältnis und in der Lobby fällt dann schon wieder ein freundliches Wort.“
Bei manchen Themen ziehen alle an einem Strang
Tobias von Pein: „Das ist schon eher familiär hier.“ Sinnigerweise zeigt der bunt gestrichene Paternoster, dass im Landeshaus ziemliche viele Farbkombinationen möglich sind – das ist durchaus auch politisch zu verstehen.
Das trifft auch für das Verhältnis der Stormarner untereinander zu, denn die sind über Parteigrenzen hinweg durch regionale Interessen miteinander verbunden. „Es gibt Themen, bei denen wir alle an einem Strang ziehen“, sagt Habersaat und nennt die S 4. Tobias Koch fügt den Autohof Hammoor hinzu, den Stormarn gern hätte, was aber mit Planungen der Landesregierung kollidiert.
Martin Habersaat erinnert sich dagegen noch sehr genau daran, dass er 2014 vom damaligen Landrat Klaus Plöger und auch von Bürgern kritisiert wurde, weil er nicht gegen das neue Finanzausgleichsgesetz der Landesregierung gestimmt hat, das Stormarner Kommunen höhere Ausgleichszahlungen auferlegte. „Wenn ich damals bei einer Einstimmen-Mehrheit dagegen gestimmt hätte, wäre die Koalition beendet gewesen“, sagt Habersaat. „Das war es nicht wert. Außerdem finde ich das neue Gesetz gerechter für alle.“
Tobias Koch ist froh darüber, dass ihm eine ähnliche Konfliktsituation bislang erspart geblieben ist. „Die Amtsgerichtsstrukturreform hätte so ein Fall werden können, aber Ahrensburg zählte am Ende zu den Gewinnerstandorten.“ Tobias von Pein sagt über derartige Konflikte trocken: „Im Zweifelsfall bin ich zuerst Sozialdemokrat. Und ich bin dem Wohl des Landes verpflichtet.“
Verstärkt junge Menschen für den Landtag interessieren
Fraktionsübergreifend einig sind sich die Stormarner Abgeordneten darüber, dass es wichtig sei, verstärkt junge Menschen in den Landtag zu holen. Sie alle beklagen, dass Schulen eher über Aktionen wie „Jugend im Rathaus“ die Kommunalpolitik oder über eine Bildungsreise nach Berlin den Bundestag kennenlernen als nach Kiel zu kommen. Von Pein vermisst junge Besucher aus Stormarn, Habersaat wünscht sich ein schulisches Programm zur politischen Bildung. Koch sagt, die „WiPo“-Lehrer seien gefordert, ihre Schüler mehr für die Landespolitik zu interessieren.
„Wir brauchen mehr junge Leute im Parlament – ein zu hoher Altersdurchschnitt spiegelt unsere Gesellschaft unzureichend wider“, sagt Tobias von Pein. Er erzählt, dass er schon als Juso das Wahlrecht mit 16 forderte und 2013 das entsprechende Gesetz mit unterschreiben durfte, als er gerade als junger Abgeordneter in den Landtag eingezogen war. „Das hat mich sehr bewegt.“
Der vielfarbige Paternoster täuscht übrigens darüber hinweg, dass das Landeshaus, das 1888 als wilhelminische Marineakademie gebaut wurde, in den oberen Etagen, wo die Fraktionen zu Hause sind, eher trist ausgestattet ist. Die Büros der Abgeordneten lassen eher an die nüchterne Arbeitsatmosphäre einer Behörde als an politische Aufbrüche denken. Förde-Blick hat übrigens nur Tobias Koch. Und dafür muss er schon ans Fenster treten.
In einem abseitigen Flur, der zur Besuchertoilette führt, ist ein Ausblick, den sich alle Landtagsabgeordneten ersparen. Dort läuft über einer Bürotür leise, aber unaufhaltsam Schleswig-Holsteins Schuldenuhr vor sich hin.
Lesen Sie am Sonnabend: Das sind die Direktkandidaten der drei Stormarner Wahlkreise