Reinbek. Zwei-Sterne-Koch Michael Kempf als Stargast im Reinbeker Waldhaus. Acht Mal machte er beim Schleswig-Holstein Gourmet Festival mit
Thomas Yoshida ist schon beim Dessert, während alle anderen noch mit der Vorspeise beschäftigt sind. Das hat jedoch nichts mit Hast oder Heißhunger zu tun, sondern mit Hingabe. Yoshida hat in der Küche vom Waldhaus Reinbek etwa 80 Teller vor sich, die jeder für sich wie ein Garten angelegt werden wollen. Genauer gesagt: wie ein japanischer Steingarten.
Mit sorgfältig geharktem Schokoladensand, auf dem ein exakt platzierter marmorierter Kiesel ruht, unter dessen grauweißer Oberfläche sich ein mit Aprikosenkompott gefülltes Mousse au Chocolat verbirgt. Daneben liegt ein „Rock“, ein zerklüftetes Felsbröckchen, mit Sansho-Blütenpfeffer. Über den Teller verteilt sind Tupfen von Orangen- und Aprikosengelee, geröstete Aprikosenkerne und zwei graue Steine, deren Inneres aus Aprikosensorbet besteht. Das Ganze ist dezent mit Blüten dekoriert und enthält Noten von Jasmin, Hibiskus und Apfel. Inklusive aller Vorbereitungen stecken 24 Stunden Arbeit in den 80 Miniatur-Zen-Gärten.
Für den Zweisternekoch sind die Gäste der größte Anreiz
Die Komposition ist ein Bild von einem Dessert und zugleich Demonstration von Kreativität und hohem handwerklichen Können. Thomas Yoshida wurde 2016 vom Gault Millau als Pâtissier des Jahres ausgezeichnet. Der Auftritt im Waldhaus Reinbek ist seine Premiere beim Schleswig-Holstein Gourmet Festival (SHGF). Yoshida begleitet seinen Chef Michael Kempf, Küchendirektor vom Facil im Berliner Hotel The Mandala, der bereits zum achten Mal am SHGF teilnimmt. Der Zweisterne-Koch Kempf beschreibt den Reiz: „Es ist jedes Mal anders, die Küche, das Team, die Infrastruktur. Aber der größte Anreiz sind die Gäste: Das ist hier kein vom guten Essen übersättigtes Gourmet-Publikum, sondern es kommen offene, begeisterungsfähige Menschen.“ Die Zuneigung beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. Kempf erzählt, dass ihn SHGF-Gäste im Facil in Berlin besucht hätten und dass er von 14 Fans weiß, die stets zu seinen Festivalauftritten in Schleswig-Holstein anreisten.
Direktor Moritz Kurzmann hat also eine perfekte Wahl getroffen für die erneute Premiere des Waldhauses beim SHGF, an dem das Reinbeker Hotel nach einer zehnjährigen Pause erstmals wieder teilnimmt. Er hat schon am Abend zuvor erlebt, wie 90 Gäste Michael Kempf und seinem Team nach dem Menü anhaltend applaudierten, und kann deshalb mit großer Überzeugungskraft die Vorfreude der 58 Gäste am zweiten Abend wecken.
Der Gastkoch motiviert das Küchenteam in Reinbek
Michael Kempf kündigt ein FünfGang-Menü mit den Facil-Klassikern des Jahres 2016 an – „viele deutsche Produkte, auf japanische Art zubereitet. Er erzählt, wie einzelne Gänge im Team für das alle sechs bis acht Wochen wechselnde Menü entwickelt werden. Was bei den Gästen am besten ankommt, schaffe es zeitweilig, À-la-Carte-Gericht zu werden, also ein Klassiker, werde aber nie mehr Teil eines neuen Menüs.
Kempf zeigt in Reinbek beispielhaft, was das SHGF ausmacht. Er ist ein charmanter Moderator seiner Küche, erzählt viel über Texturen, Aromen, Geschmackslandschaften mit raffiniert gesetzten Kontrasten, von Produkten, Reifeverfahren und Zubereitungsmetoden. Das klingt transparent, weckt Erwartungen, doch bei den Essern bleibt das Geheimnis gewahrt. Kempf motiviert zudem das lokale Küchenteam. „Wenn so ein Koch zu Gast ist, dann geht es nicht nur darum, wie er etwas macht, sondern auch um die Persönlichkeit“, sagt Moritz Kurzmann, was Waldhaus-Küchenchef Christian Dudka bestätigt.
Susanne Plass vom Schleswig-Holstein Gourmet Festival erzählt, dass Kempfs Professionalität und Menschlichkeit großen Eindruck bei den Reinbeker Kollegen gemacht hätten: „Jeder wurde voll einbezogen und hat viel gelernt. Nach dem ersten Abend saßen alle noch bis halb Drei zusammen. “
Kommendes Wochenende: Tour de Gourmet Solitaire
Auch den Gästen werden diese beiden Abende in Erinnerung bleiben. Selbst in der Spitzenküche dürfte ein Menü, bei dem jeder Gang ein aufregend vielfältiges Geschmackserlebnis ist, eine absolute Ausnahme sein: Beginnend mit der vegetarischen Vorspeise aus Gelber Bete, Sonnenblumenkernen, Eukalyptus und Yuzu-Zitrone, über Kabeljau mit Rosenkohl-Aromen, Filet vom Charolais-Rind mit Wacholderholz-Mayonnaise und Hirschhaxe mit einer in Marinade gereiften Marinade bis hin zum Dessert-Steingarten von Pâtissier Thomas Yoshida.
„Unfassbar gut“, sagt Moritz Kurzmann danach. Er ist nicht der einzige, der meint, noch nie so gut gegessen zu haben. Auch die Gäste vom Park Hotel, Direktor Oliver Deutsch und Stellvertreter Michael Bertz, sind begeistert. „Ich bin total geflasht“, sagte Deutsch. Er will Kempf für das am 17. September beginnende 31. SHGF nach Ahrensburg holen. Das 30. Festival endet am kommenden Wochenende mit der bereits ausverkauften Tour de Gourmet Solitaire. 2400 Gäste kamen zu 33 Veranstaltungen in 15 Häusern, drei davon in Stormarn. Zur positiven Bilanz zählt, dass das Festival in der eher schwierigen Winterzeit zunehmend Gäste von weit außerhalb, etwa aus Skandinavien, nach Schleswig-Holstein lockt.
Als Abschiedsgruß verteilt Thomas Yoshida grüne Winkekatzen und Doraden aus weißer Schokolade und Matscha-Tee. Ein adstringierender Geschmack, der nachwirkt. Allerdings nicht so nachhaltig, wie das sinnliche Erlebnis eines unvergesslichen Abends.