Ahrensburg. An diesem Sonntag hält Ahrensburgs neue Pastorin Ursula Sieg um 11 Uhr ihren ersten Gottesdienst in der Schlosskirche.
Gesucht wurde jemand, dem man eine schwierige Aufgabe anvertrauen könne. Das erfuhr Ursula Sieg im Herbst 2016 auf Anfrage beim Kirchenamt, nachdem sie die Anzeige für eine Pastorenstelle in Ahrensburg gelesen hatte. Die Zusatzinformation, die wie eine Warnung klang, kam für sie nicht überraschend.
Der 2010 aufgedeckte Missbrauchsskandal in Ahrensburg, der öffentliche Streit um die versuchte Entwidmung von St. Johannes, die tiefen Gräben innerhalb der Gemeinde, das offensichtliche Misstrauen gegenüber der Kirchenleitung, all das hatte sich in der Nordkirche längst herumgesprochen und war auch Ursula Sieg bekannt. Abschreckend wirkte es jedenfalls nicht, im Gegenteil: „Mich guckte diese Stellenanzeige an“, sagt sie.
Gute Entscheidung dank freundlicher Gemeinde
Im November stellte sie sich der Gemeinde in einem Gottesdienst als Bewerberin vor. Seit Dezember arbeitet Ursula Sieg in Ahrensburg. An diesem Sonntag um 11 Uhr steht ihr Einführungsgottesdienst in der Schlosskirche an. Ursula Sieg hat schon jetzt das Gefühl, eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Denn in der kurzen Zeit, die sie hier ist, hat sie eine freundliche und aufgeschlossene Gemeinde entdeckt.
Ursula Sieg ist 56 Jahre alt und seit 30 Jahren Pastorin. Also an einem Punkt, an dem viele Kollegen schon so lange in einer Gemeinde arbeiten und leben, dass sie dort fest verwurzelt sind und sich dort zu Hause fühlen. Für Pastorin Sieg dagegen war bislang nicht Innehalten, sondern Wechsel beziehungsweise Veränderung die Konstante in ihrem Berufsleben. Sie hat sich in den vergangenen 30 Jahren unterschiedlichsten Aufgaben gestellt, sich umorientiert und weitergebildet. Und so viel gesehen, dass sie so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann.
„Es gibt nicht mehr viel, was mir Angst einflößt“
„Ich habe viel erlebt. In den vergangenen elf Jahren zum Beispiel war ich Vertretungspastorin in elf Gemeinden“, erzählt sie. In jeder zweiten Gemeinde habe es „gute Gründe“ – also Probleme – gegeben, warum jemand gegangen sei. „Da mussten dann schon mal Krisen durchgestanden werden. Ich habe das Gefühl, das gut hingekriegt zu haben. Es gibt nicht mehr viel, was mir Angst einflößt.“ Pause und ein betonter Nachsatz: „Es ist jedenfalls nicht so, dass nur Ahrensburg Probleme hätte.“
Ursula Sieg ist im südlichen Schleswig-Holstein, im Umfeld von Hamburg aufgewachsen. Ihre Großeltern hatten eine Gastwirtschaft in Ochsenzoll. Sie selbst kommt aus der Gemeinde Struvenhütten, Kreis Segeberg. Durch ihren Konfirmandenunterricht kam sie zur ehrenamtlichen Arbeit in der Kirche, wo ein Pastor ihr einen richtungsweisenden Rat gab: „Er konnte sich gut vorstellen, dass ich Pastorin werde. Selbst wäre ich wohl nicht darauf gekommen.“
Seelsorgerin arbeitete sogar schon bei der Berufsfeuerwehr
Ursula Sieg wurde nach ihrem Theologiestudium mit 26 Jahren ordiniert. Sie startete in einer Gemeinde in Hamburg-Stellingen, bevor sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Martin Pommerening, der ebenfalls Pastor ist, nach Bad Segeberg ging, Dort leben sie immer noch im Pastorat der Versöhnerkirche.
Ursula Sieg wurde Mutter, arbeitete sechs Jahre lang auf einer halben Stelle („quasi fulltime“) in Gemeinde und angegliederter Familienbildungsstätte Bad Segeberg. Sie studierte nebenbei wieder, Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaften, mit Schwerpunkt Unterricht und Schule und interkulturelles Lernen. Danach arbeitete sie am Pädagogisch-theologischen Institut in Hamburg-Altona. Von 1993 bis 2000 war sie als Grundschulreferentin für die Lehrerfortbildung im Fach Theologie zuständig und daran beteiligt, den interreligiösen Dialog zu entwickeln.
Hohe Wahlbeteiligung bei Gemeindratswahl machte Sieg Mut
In dieser Zeit bekam sie das Gefühl, sich in einer „Sandwich-Situation“ zu befinden: Sie habe die eigene Mutter mitversorgen, sich um den Sohn kümmern und einen mehr fordernden 75-Prozent-Job bewältigen müssen, sagt sie. Ursula Sieg ließ sich für vier Jahre beurlauben, machte ihren Magister und beschäftigte sich weitergehend, zum Beispiel in zwei Buchprojekten, mit dem Zusammenleben der Religionen.
2004 arbeitete sie als Pastorin bei der Berufsfeuerwehr Hamburg und verfasste ein Unterrichtsbuch für den berufsethischen Unterricht, das zum Beispiel das Rettungsteam auf den Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen vorbereiten sollte. Oder Hilfe bot, Todesnachrichten zu überbringen. Danach folgten die elf Jahre Vertretungen in elf Gemeinden. Ein Crash-Kurs für Ahrensburg? Ihre ersten Eindrücke hier, so sagt sie, seien vielversprechend. „Vor meinem ersten Gottesdienst hatte ich befürchtet, zu mutlosen, frustrierten Menschen zu sprechen. Doch die Schlosskirche war voll, Gemeinde und Kollegen waren freudig engagiert.“
Neuer Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit
Auch die Gemeinderatswahl mit der rekordverdächtigen Bewerberzahl von 30 Kandidaten in Ahrensburg und der hohen Wahlbeteiligung empfand Ursula Sieg als sehr ermutigend. Am Wahlsonntag am 27. November predigte sie selbst in Flintbek, wählte dann an ihrem Wohnort Bad Segeberg und nahm abends an der Stimmenauszählung in Ahrensburg teil. Das besondere Engagement hier, das sie an diesem Tag unmittelbar mitbekam, habe ihr gezeigt, so sagt sie, wie groß das Interesse von Menschen an ihrer Gemeinde sei. Gleichwohl müsse allen klar sein, dass es nicht ohne schmerzhafte Einschnitte weitergehen könne. „Wir haben an vielen Orten die gleiche Herausforderung: viele schöne Gebäude, die wir unterhalten müssen, aber das Geld wird weniger.“ Kirche muss sich fragen, wie sie ihre soziale Infrastruktur aufrecht erhalten kann. „Es geht um das Evangelium und die Inhalte. Das macht Kirche aus. Die Botschaft kostet nichts, das Zusammenleben und Nächstenliebe auch nicht. Gebäude dagegen kosten Geld. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht dem Geld dienen, sondern Gott, der Gemeinde und den Menschen.“
Seit 2009 nimmt Sieg das Gros ihres Jahresurlaubs, um mit ihrem Mann für Wochen nach Auroville in Indien zu reisen. Eine Modellstadt, die einer humanistisch-ganzheitlichen Vision vom Zusammenleben folgt. „Ein Kurlaub mit Yoga, guter Ernährung und vielen Begegnungen mit Menschen aus aller Welt“, sagt Ursula Sieg. In diesem Jahr musste sie eher zurück nach Deutschland, weil sich am 15. Januar der neu gewählte Ahrensburger Kirchengemeinderat konstituierte.
Pastorin möchte ermutigen und neue Wege eröffnen
Die Sitzung, in der Ursula Sieg zur Vize-Vorsitzenden gewählt wurde, knüpfte an ihre Erfahrungen aus Indien an: „Es war ausgesprochen positiv. Wir haben eine Versammlung von Menschen, die verschiedene Berufe und Talente und viel Lebenserfahrung einbringen und gut zuhören. Es sind also etliche Perspektiven vertreten. Ich glaube, das wird eine konstruktive Arbeit. Wir sind fröhlich entschlossen, der Gemeinde eine gute Zukunft zu erobern.“ Ursula Siegs Antwort auf die Frage, was einen guten Seelsorger ausmacht, könnte auch Leitmotiv des neuen Kirchengemeinderats sein: „Ansprechbarkeit und Zuhören.“ Pause. „Und dann etwas finden, was Menschen ermutigt, ihnen neue Wege eröffnet. Nicht als Ratschlag, sondern es soll ihnen helfen, selbst herauszufinden, wie sie einen guten nächsten Schritt machen oder den Blick auf die eigene Situation so verändern, dass sie ermutigt werden.“