Ahrensburg. Nach tödlichen Unfällen in Ahrensburg und Reinbek: Fachleute von Polizei und ADAC raten zu freiwilligen Fahrtauglichkeits-Tests.
Kann ich noch sicher Auto fahren? Diese Frage stellen sich insgeheim vermutlich einige Senioren in Stormarn nach den aktuellen Berichten über tödliche Unfälle, die von älteren Verkehrsteilnehmern verursacht wurden. Ende vergangener Woche kam eine 82-jährige Reinbekerin ums Leben, die ihren Ehemann (85) beim Parken einweisen wollte, dabei von ihm angefahren wurde. Am selben Tag musste sich ein 76-jähriger Großhansdorfer vor dem Amtsgericht Ahrensburg verantworten, der im Januar 2016 auf dem Famila-Parkplatz in der Schlossstadt Gas und Bremse verwechselt hatte und einen 81-jährigen Fußgänger anfuhr. Der Mann stürzte und wenig später an seinen schweren Kopfverletzungen.
Deutlich wird: Neben körperlichen und geistigen Gebrechen, die mit zunehmenden Alter die Beherrschung selbst alltäglicher Verkehrssituationen erheblich erschweren können, ist das Risiko für Senioren besonders hoch, bei einem Unfall schwere oder gar tödliche Verletzungen zu erleiden.
Der ADAC bietet Checks der Fahrtauglichkeit an
Hilfreich, um die eigene Verkehrstauglichkeit besser einschätzen zu können, ohne gleich Konsequenzen für den Führerschein zu befürchten, sind dabei Angebote wie der FahrFitnessCheck des ADAC. Einzige Anbieterin in Stormarn ist Tina Behrend von der gleichnamigen Fahrschule in Ahrensburg. Seit Sommer 2015 offeriert die speziell geschulte Fahrlehrerin den Test, hat bisher diversen Teilnehmern im Anschluss Empfehlungen für die weitere Teilnahme am Straßenverkehr gegeben.
Einer von ihnen ist Harry Rittmöller. Der 79-Jährige stellte sich aus freien Stücken einer unabhängigen Instanz, um seine Fahrtüchtigkeit überprüfen zu lassen. Über die ADAC-Mitgliederzeitschrift wurde er auf das Angebot aufmerksam. „Doch meine Freunde im Ruderverein hat das überhaupt nicht interessiert“, gibt er unumwunden zu. „Die Fahrlehrerin hat mir geraten, den Schulterblick noch mehr zu beherzigen“, berichtet der Volksdorfer. „Ansonsten ist Herr Rittmöller aber ein sehr sicherer Fahrer“, sagt Tina Behrend.
Unter ihren Kunden seien zum Beispiel die Ehefrau, die seit Jahren nicht mehr hinter dem Steuer saß, weil der Mann immer gefahren ist. „Die Praxis kommt aber schnell wieder“, macht sie Interessenten Mut. Schlechte Angewohnheiten manchmal jedoch auch, wie die Fahrlehrerin mit 35 Jahren Berufspraxis sagt.
Laut Statistik steigen die Zahlen der von Senioren verursachten Unfälle
Statistiken belegen, dass die Unfallzahlen der Fahrzeuglenker ab 65 Jahre ansteigen, während die der besonders gefährlich geltenden Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren sinken. Gleichwohl sind diese nach wie vor für die schwereren Unfälle verantwortlich. Die Zunahme bei den Senioren ist zumindest teilweise mit ihrem wachsenden Bevölkerungsanteil zu erklären, der derzeit gut 21 Prozent beträgt. Aus den Zahlen der Deutschen Verkehrswacht geht jedoch auch hervor, dass sie in mehr als zwei Drittel der Fälle die Hauptschuld an einem Unfall tragen, bei den über 75-Jährigen sind es sogar 75,1 Prozent – der mit Abstand höchste Wert aller Altersgruppen.
Zahlen aus Stormarn bestätigen diesen Trend, wenn auch weniger eindeutig: Laut Verkehrssicherheitsbericht der für den Kreis zuständigen Polizeidirektion Ratzeburg waren ältere Verkehrsteilnehmer nach neuen verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2014 in 365 Unfälle verwickelt (+3), wovon sie 214 selbst verschuldet hatten. Bei jungen Fahrern waren es 294 (-99) zu 149. Ursache bei den Älteren sind häufig nachlassende Sehkraft und längere Reaktionszeiten. Dadurch steigt auch die Gefahr, bei einem Unfall selbst schwer verletzt oder getötet zu werden.
Komplexe Situationen überfordern viele Senioren
Wie hoch das Risiko ist, belegen die deutschandweiten Zahlen der Verkehrswacht. Obwohl die über 65-jährigen trotz ihres hohen Bevölkerungsanteils nur in 12,3 Prozent der Fälle in einen Unfall verwickelt waren, überlebten knapp 30 Prozent diesen nicht. Während junge Fahrer vor allem durch Abstandsfehler und nicht angepasste Geschwindigkeit auffielen, sind es bei Senioren komplexe Verkehrssituationen wie Vorfahrtregelungen. „Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Ausparken“ sind besonders problematisch, wie Verkehrsforscher Jörg Kubitzky vom Allianz Zentrum für Technik erläutert. Eine Rolle spielt auch mangelnde Fahrpraxis. Aus Untersuchungen des versicherungseigenen Forschungszentrums geht hervor, dass viele ältere Fahrer im Schnitt nur noch 9292 Kilometer im Jahr zurücklegen, während die Gruppe der 25- bis 64-jährigen 15.792 Kilometer fährt. Die jungen Fahrer bis 25 fahren mit 14.862 Kilometer nur unwesentlich weniger und damit immer noch über 5000 Kilometer mehr als die älteren Fahrzeuglenker.
Im Anbetracht des wachsenden Bevölkerungsanteils älterer Verkehrsteilnehmer werden immer wieder verbindliche Tests der Fahrtauglichkeit diskutiert, wie derzeit beim Expertentreffen auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar (siehe Seite 4). Jörg Kubitzky lehnt diese ab. Nur in wenigen Ländern wie der Schweiz oder Australien gebe es richtige Tests, die eine rein formale Verlängerung des Führerscheins bedeuteten. „Australien hat diese wieder abgeschafft, die Schweiz das Alter von 70 auf 75 heraufgesetzt.“
Polizei weist auf die gestiegene Komplexität der Autos hin
Auch Tino Sdunek, Präventionsbeamter bei der Polizeidirektion in Ratzeburg, hält wenig von einer starren Altersregelung. Dafür sei „die Fitness der Senioren einfach zu unterschiedlich“, so Sdunek. Wichtig sei jedoch ein regelmäßiger Sehtest, zumindest beim Optiker, wo die Sehschärfe meistens ohne lange Wartezeiten überprüft werden kann. Angebote wie den FahrFitnessCheck begrüße er. Gerade wenn zum Beispiel ein neues Auto mit Automatikgetriebe gekauft wurde. Auch Hilfsmittel wie sogenannte Totwinkelwarner seien empfehlenswert. „Moderne Autos werden immer unübersichtlicher, die Technik schwerer zu beherrschen.“ Polizist Tino Sdunek befürchtet jedoch, dass sich Senioren „eher für Kriminalprävention wie Einbruchsschutz interessieren, während Verkehrserziehung auf wenig Gegenliebe stößt.“ Auch der ADAC sieht beim Thema Tests und Hilfestellung noch Nachholbedarf. Sprecher Andreas Hölzl sagt: „Wir würden uns mehr Nachfrage der Senioren wünschen.“