Ahrensburg. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Denise besuchte Eric Kandel das nach ihm benannte Gymnasium Am Heimgarten in Ahrensburg.

Aufgeregte Betriebsamkeit in der Aula des Eric Kandel Gymnasiums Am Heimgarten. Die Stuhlreihen füllen sich, Chor und Big Band stimmen sich nacheinander ein. Im Hintergrund ist der Mann, auf den alle warten, bereits im Film auf einer Leinwand zu sehen. Der Ton wird lauter, es ist eine Anekdote von vor vielen Jahren aus dem bekanntesten Buch des Ehrengastes zu hören. Wie er sich daran erinnert, dass alle Grundschüler vor langer Zeit von ihren Müttern beim Abholen stets gefragt worden seien, was sie heute gelernt hätten. Nur eine Mutter habe stattdessen von ihrem Sohn wissen wollen, ob er im Unterricht eine gute Frage gestellt habe. Das könnte eine passende Maxime für diesen Morgen sein: Schüler, traut euch und fragt.

Ein Auftrag, bei dem junge Menschen zwischen zehn und 19 Jahren durchaus nervös sein dürfen vor 250 Mitschülern und einem so berühmten Mann. Doch als Eric Kandel gemeinsam mit seiner Ehefrau Denise eintritt, scheint alle Aufregung sofort vergessen. Denn das Ehepaar reagiert spontan auf die musikalische Begrüßung der Big Band und tanzt einen kurzen Foxtrott im Eingang. Als beide schließlich Platz genommen haben, sagt Eric Kandel: „Bitte fragt mich verschiedene Sachen.“

Namensgeber nimmt Aufgabe ernst

Der freundliche Herr, der die Schüler ermutigend anlächelt, ist ein weltberühmter Neurowissenschaftler und hat im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin für seine „Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem“ erhalten. Er ist fast 87 Jahre alt, lebt und forscht (noch immer) in seiner Heimatstadt New York. Und er ist Ahrensburg verbunden als Namenspa­tron des Gymnasiums Am Heimgarten, das im September 2015 in Eric Kandel Gymnasium umbenannt wurde. „Das ist eine große Ehre für mich, und ich hätte mir das aus einer jüdischen Perspektive heraus nach dem Zweiten Weltkrieg nicht im Traum vorstellen können, dass so etwas passiert.“

Eric Kandel mit den ausgezeichneten Schülerinnen (v. l.) Vera und Lena Stein sowie Jasmin Grollmuß, links steht Schulleiter Gerd Burmeister
Eric Kandel mit den ausgezeichneten Schülerinnen (v. l.) Vera und Lena Stein sowie Jasmin Grollmuß, links steht Schulleiter Gerd Burmeister © HA | Lutz Wendler

Das Gymnasium hätte keinen besseren Namensgeber finden können, denn Eric Kandel nimmt seine Aufgabe ernst. Anlass für seinen zweiten Besuch ist die Verleihung der ersten Eric-Kandel-Schulpreise. Das Ehepaar macht auf dem Rückweg von Wien, wo Kandel 1929 geboren wurde und das er oft wieder besucht, nach New York einen Umweg über Ahrensburg. Und die Stunde in der Aula zeigt einmal mehr, wie locker und unprätentiös er mit anderen Menschen umgeht. „Die Schüler spüren, wie zugewandt und empathisch er ist“, sagt Schulleiter Gerd Burmeister.

Flucht nach New York

Eric Kandel beantwortet geduldig die Fragen und zeichnet so ein Bild seines Lebens. Wie er als Neunjähriger mit seinem 14 Jahre alten Bruder auf der Flucht vor den Nazis ohne die erst ein halbes Jahr später nachkommenden Eltern die Transatlantikpassage zu Verwandten nach New York machte, ohne Angst zu haben. „Ich hatte durch meine Eltern ein großes Vertrauen, dass alles gut wird“, sagt er. Und er erzählt, dass er zunächst Geschichte und Literatur studierte, dann Psychoanalytiker werden wollte. Und dass er in einem Wahlsemester die Neurowissenschaft kennenlernte und danach nichts anderes mehr habe machen wollen, weil das so interessant und aufregend gewesen sei.

Diese Erfahrung versuche er auch an Jugendliche in Sommerkursen im Labor weiterzugeben. „Die Kinder erleben Wissenschaft anders als in einem guten Buch. Sie machen Experimente , denken selbst nach – und stellen Fragen.“ Kandel erzählt den Ahrensburger Schülern, dass er seine Erkenntnisse über das Gedächtnis wesentlich der Meeresschnecke Aplysia als Versuchsobjekt verdanke, die außergewöhnlich große Nervenzellen habe. Und er beschreibt, wie das Hirn durch Erinnerung wächst. „Euer Hirn wird morgen anders aussehen, weil sich neue Verbindungen bilden. Manche halten ein ganzes Leben lang.“

Schüler erhielten Eric-Kandel-Preise

Eine Schülerin will wissen, ob Eric Kandel sehr reich sei. Er schaut überrascht und sagt: „Nein, aber ich habe ein wunderbares Leben, das ist viel besser. Man muss nicht reich sein, um ein gutes, intellektuell interessantes Leben zu haben.“ Anschließend zeichnete er die drei Schülerinnen Jasmin Grollmuß sowie Lena und Vera Stein mit den ersten Eric-Kandel-Schulpreisen aus. Schulleiter Gerd Burmeister sagt in seiner kurzen Laudatio, dass es dabei nicht allein auf besondere Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern angekommen sei, sondern auch auf Verantwortung fürs soziale Miteinander und Einsatz für außerschulische Aktivitäten wie Chor und Big Band. Zum Abschluss der Feierstunde werden auch Denise und Eric Kandel beschenkt: mit zwei Aplysia-Schnecken als Kuscheltiere.

Auf der Suche nach dem Gedächtnis

Hippocampus ist der für unser Langzeitgedächtnis wichtige Teil des menschlichen Gehirns.

Eric Kandel und seinem Team gelang es schon Ende der 50er-Jahre, in dieser Region Aktivitäten bei Neuronen elektrophysiologisch aufzuzeichnen. Er erkannte aber, dass der Hippocampus zu komplex für weitergehende Untersuchungen dieser Signalzellen war.

Aplysia, eine Meeresschnecke und ein vergleichsweise simpler Organismus mit sehr großen Nervenzellen, erwies sich als ideal für weitere Forschungen.

Das New Yorker Team identifizierte in den 80er-Jahren die Prote­ine, die ein Kurzeit- in ein Langzeitgedächtnis umwandeln, indem sie gewissermaßen zusätzliche Synapsen wachsen lassen.

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Beim Gespräch danach lobt Eric Kandel das Ahrensburger Gymnasium, wo er sich sehr zu Hause fühle. „Die Schule war vor meiner Patenschaft gut und sie ist weiter gut“ – Nachsatz, mit schelmischem Grinsen: „Ich habe sie also nicht heruntergezogen.“

Kandel hält Merkel für „Heilige“

Er selbst lernt „jeden Tag neue Sachen“. Gerade wurde sein zweites Kunstbuch fertig, über den ab­strakten Expressionismus der New Yorker Maler Jackson Pollock, Willem de Kooning, Barnett Newman und Mark Rothko. Er denkt darin aus naturwissenschaftlicher Sicht auch über Wahrnehmung und Kreativität des Betrachters nach. Über Angela Merkels Flüchtlingspolitik sagt er: „Für mich ist sie eine Heilige.“ Und bei der Frage nach Präsidentschaftsbewerber Donald Trump wird er ernst: „Schrecklich, ein Desaster. Es ist unglaublich, dass so ein blöder, vulgärer Mensch Kandidat ist. Wie er über Frauen redet und sie behandelt, das ist inakzeptabel. Ich bin froh, dass sich jetzt wichtige Leute in der Republikanischen Partei von ihm distanziert haben.“

Eric Kandel wendet sich danach wieder erfreulicheren Dingen des Lebens zu. Zum Abschluss seines Besuchs ist er zu Gast in einer Unterrichtsstunde. Den Schülern möchte er vermitteln, dass das Lernen selbst eine Freude sei und glücklich mache. „Wenn ich eine neue Idee entwickle, bin ich happy.“