Hoisdorf . Das Kind gehörte zu einer Kita-Gruppe aus Hamburg, die zu Gast im Jugendheim Lichtensee war. Erzieher werden noch vernommen.
Im Eingangsbereich des Jugendheims Lichtensee am Moorweg in Hoisdorf sind zwei Dutzend Teelichter aufgestellt, um einen Tisch herum sitzen sechs Menschen, allesamt weiblich, fünf jüngere und eine Dame im mittleren Alter. Sie schweigen. Der Blick in ihre Gesichter verrät vor allem eines: Die Frauen sind fassungslos und traurig – ob der Geschehnisse am Vorabend. Am Montag ist auf dem Gelände ein zwei Jahre alter Junge im Badesee ertrunken. Er gehörte zu einer Hamburger Kita-Gruppe, die gerade erst angereist war. Das Kind hatte sich unbeobachtet von den Erziehern entfernt. Warum das geschehen konnte, ist unklar. Auch, wie lange der Kleine unter Wasser lag, bevor er gefunden wurde. Das war gegen 20.10 Uhr, nach mehr als zweistündiger Suche. Die Reanimationsversuche eines Notarztes waren vergebens.
Am Morgen danach will Heimleiter Theo Christiansen nicht über die Vorkommnisse sprechen. „Aus Respekt gegenüber den Eltern“, sagt er. Seine Miene ist wie versteinert, in seinem Büro hinter einer Glasscheibe in Sichtweite zu den Damen herrscht Stille. Laut ist es nur draußen. Dort sind Handwerker damit beschäftigt, ein neues Fenster in den Flügel des Gebäudes einzusetzen. Den Ort, wo der Junge entdeckt wurde, will Christiansen nicht zeigen.
Übergang vom Rasen zum Wasser schwer zu erkennen
Eine Nachbarin der Einrichtung, die dem Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost gehört und von ihm betrieben wird, berichtet, sie habe am Vorabend noch ihr Auto von der Straße entfernen müssen, um den Feuerwehrfahrzeugen einen schnellen Zugang zu ermöglichen. Die Rentnerin will anonym bleiben. Natürlich sei sie vor der Tür gewesen wie auch viele Nachbarn. „Was passiert ist, macht einen nur unendlich traurig“, sagt sie.
Wohin man in der 3500-Seelen-Gemeinde auch hört am Tag danach, alle sind informiert über die Tragödie – und schockiert. Zum Beispiel die beiden Handwerker eines Betriebes an der Hauptstraße, eine Frau, die gerade mit dem Fahrrad kreuzt, oder auch ein junger Vater, der seine beiden Kinder in einer Karre durch den Moorweg schiebt. „Ich habe es von meiner Frau erfahren“, sagt er. Seine Kinder, zwei Mädchen, sind etwa im gleichen Alter wie der Junge, der hier so tragisch ertrankt.
Seelsorger helfen bei der Verarbeitung
Der Zweijährige war eines von 19 Kindern – das jüngste ist ein Jahr alt, das älteste sieben – der Hamburger Kita-Gruppe, die mit sieben Betreuern in dem Jugendheim übernachten wollte. Laut Polizei spielten sie am Nachmittag auf einem Fußballfeld, das an den See grenzt. Der Übergang vom Rasen zum Wasser sei nicht gut zu erkennen, da das Ufer mit sogenanntem Entenflott bedeckt ist. Als die Erzieher bemerkten, dass ein Kind der Gruppe fehlte, riefen sie die Polizei. Das war um 17.39 Uhr. Die Beamten inspizierten das Gebäude und den Außenbereich, fanden den Jungen aber nicht. Um 18.18 Uhr wurden die Feuerwehr und die Hundesuchstaffel des Kreises alarmiert. Die Wehren aus Hoisdorf, Oetjendorf, Meilsdorf und Siek rückten mit 62 Kameraden an.
Der See wurde von DLRG-Rettungskräften mit einem Boot abgesucht, Wald, Wiesen und angrenzende Straßen mithilfe der Hunde durchkämmt. „Wir haben den Jungen dann in einem Bereich gefunden, wo das Wasser eine Tiefe zwischen 20 und 30 Zentimeter hat“, sagt Hoisdorfs Gemeindewehrführer Olaf Stolt. Der 51-Jährige hat in seiner Feuerwehrzeit schon viele Unglücksfälle erlebt. „Mit Kindern ist das immer dramatisch.“ So etwas nehme man mit nach Hause. Stolt sagt, die Kameraden würden mit Seelsorgern über das gerade Erlebte sprechen.
Staatsanwaltschaft beantragte Obduktion
Diese waren auch am Montagabend zur Stelle, um die Gruppe aus Hamburg zu betreuen. Laut Stolt kamen die Eltern des toten Kindes nach Hoisdorf. Ihren Aufenthalt in Stormarn haben die Hamburger abgebrochen. Sie waren die einzigen Gäste im Jugendheim mit seinen 60 Betten.
Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat inzwischen die Obduktion des Jungen beantragt. Die Ermittlungen führt die Kriminalpolizei in Ahrensburg. In Kürze werden auch die Erzieher der Hamburger Kita-Gruppe vernommen. „Das war am Montag nicht möglich, weil alle unter Schock standen“, sagt Andreas Rosteck von der Polizeidirektion Ratzeburg. Es müsse geklärt werden, ob die Aufsichtspflicht verletzt worden sei und sich Personen strafbar gemacht hätten.