Bargteheide. Dänemark hat sich zum Mega-Bauwerk bekannt. Gegner der Querung fürchten Verkehrsbelastung, Befürworter sehen Chancen.
Trotz höherer Kosten und vieler Verzögerungen steht Dänemark weiter hinter dem Milliardenprojekt Fehmarnbelt-Tunnel. Das Parlament hat jetzt grünes Licht für die weitere Planung gegeben und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) diese Entscheidung begrüßt: „Wir stehen gemeinsam zur Beltquerung, die unsere beiden Länder über den Belt zusammenwachsen lassen wird und den Austausch zwischen Nord- und Mitteleuropa erleichtert.“
Doch das Projekt ist heftig umstritten, ebenso wie die Bewertung von Chancen und Risiken, die ganz konkret Stormarn betreffen. „Wir brauchen kein weiteres, unsinniges Beton-Denkmal. Und wir wollen keinen daraus resultierenden, zusätzlichen Güterverkehr, der mitten durchs Herz unserer Städte fahren würde“, sagt zum Beispiel Valerie Wilms, Bundestagsabgeordnete und Obfrau der Grünen im Verkehrsausschuss.
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck sieht das ganz anders. „Der Tunnel ist definitiv ein Gewinn für unsere Region“, sagt Sprecher Can Özren. „Unternehmen werden sich an der neu entstehenden Route ansiedeln, für wirtschaftliches Leben und damit für einen Aufschwung nicht nur in der Region, sondern im gesamten Land sorgen.“
Die Grüne Valerie Wilms war in den vergangenen Tagen viel in Stormarn unterwegs. Neben vielen Gesprächen, die sie und ihre Parteikollegen mit interessierten Bürgern zu diesem Thema führen, will die Politikerin auch sichtbare Zeichen setzen. Im Rahmen der Kampagne „Spur der Kreuze“ hat sie jetzt in Ahrensburg und am Bargteheider Bahnhof blau angestrichene Holzkreuze aufgestellt. Sie symbolisieren den Widerstand gegen den Bau des rund 18 Kilometer langen Unterwasser-Tunnels, der Dänemark mit Deutschland verbinden soll. „Inhalt der Veranstaltungsreihe ist die Aufklärung über den aktuellen Stand des Projekts, den Trassenverlauf der Hinterlandanbindung und deren mögliche Auswirkungen auf unser direktes Umfeld“, sagt Ullrich Kruse, Kreisgeschäftsführer der Stormarner Grünen. Und die seien verheerend. „Für Bargteheide würde es zum Beispiel bedeuten, dass zwischen 22 und sechs Uhr überlange Güterzüge durch die Stadt rauschen.“ Und das im Sechs-Minuten-Takt. „Unser Anliegen ist es, die Spur der blauen Kreuze durch den ganzen Kreis zu ziehen.“ An den Bahnhöfen darf das Kreuz nicht stehen bleiben, da es sich um öffentliches Gelände handelt. Kruse: „Aber jeder, der an seinem Zaun oder in seinem Vorgarten eines platzieren will, bekommt ein blaues Kreuz von den Grünen Stormarns gestellt.“ Ein Anruf in der Kreisgeschäftsstelle (04532/278 11 30) genüge.
Die Initiative Beltretter will überall im Land blaue Kreuze aufstellen
Die Beltretter, ein Bündnis aus Tunnel-Gegnern, starteten die Aktion der blauen Kreuze. „Sie stellen Stoppzeichen dar“, so Karin Neumann, Sprecherin der Beltretter, die mittlerweile aus rund 30 verschiedenen Initiativen und Organisationen bestehen. Sie bezeichnen den geplanten Tunnel als Nordeuropas größte Bau- und Umweltsünde. „Jedes Kreuz steht für einen persönlichen Appell für eine lebenswerte Zukunft in einer gesunden Umwelt.“ Je mehr Kreuze in Vorgärten, auf Feldern, in Schaufenstern oder als Autoaufkleber zu sehen seien, desto deutlicher werde der Widerstand.
Zum Hintergrund: Der im Jahr 2008 unterzeichnete Vertrag zwischen Dänemark und Deutschland über eine feste Fehmarnbelt-Querung trat im Januar 2010 in Kraft. Demnach übernimmt Dänemark Planung, Bau und Finanzierung des Querungsbauwerkes und Deutschland finanziert und baut die Hinterlandanbindung auf deutscher Seite. Die Firma Femern A/S, Teil der Sund & Bælt Holding A/S, einem 100-prozentigen Staatsunternehmen des dänischen Verkehrsministeriums, bekam den Zuschlag als Bauherr. 2015 sollte der Baubeginn des vierröhrigen Absenktunnels sein, die Inbetriebnahme war für 2021 vorgesehen.
Gravierende Planungsänderungen sorgten jedoch für Verzögerungen. Vor allem auf deutscher Seite. „Die Dänen müssen sich auf deutschem Staatsgebiet natürlich auch an deutsches Recht halten“, so Grünen-Politikerin Valerie Wilms. Das habe den Skandinaviern wahrscheinlich bei so manchem Thema einen Strich durch die ursprünglichen Baupläne gemacht. Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren, das vermutlich noch bis Ende 2017 andauern wird. „Es sind bereits mehr als 3000 Einwände eingereicht worden, die einzeln geprüft werden müssen”, so Wilms. „Es ist außerdem davon auszugehen, dass gegen die Planfeststellung Klagen eingereicht werden.“ Diese zu bearbeiten, könne weitere vier bis fünf Jahre dauern. „Vor 2020 kann mit dem Bau also sowieso nicht begonnen werden.“ Wenn überhaupt. Denn auch die Kosten des Projekts sind mittlerweile von ursprünglich fünf Milliarden Euro auf mehr als sieben Milliarden angestiegen.
Auf der anderen Seite sehen die Befürworter nach wie vor den großen Nutzen des Projekts. Der Tunnel soll zusammen mit der im Jahr 2000 eröffneten Brücke über den Öresund nach Schweden einen Verkehrskorridor bilden, der Kopenhagen zum Zentrum einer Region werden lässt, die von Hamburg bis Göteborg reicht. Schleswig Holsteins Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer sagt: „Damit entsteht eine Region mit starkem Wirtschaftspotenzial und neuen Chancen für die deutsch-dänische Zusammenarbeit.“ Nach Fertigstellung des Tunnels und dem Ausbau der Schienen- und Straßenanbindung des Hinterlands auf beiden Seiten könne die Verbindung zu einer der leistungsstärksten Transportachsen von und nach Skandinavien werden.
IHK-Präses Friederike Kühn verweist auf das deutsche Planungsrecht
Die IHK hat laut Sprecher Özren den Prozess von Anfang an begleitet, kontrovers diskutiert und Chancen und Risiken abgewogen. „Die Chancen überwiegen eindeutig. Wir werden damit wichtiger Teil einer gedeihenden Wirtschaftsregion“, so Özren. Die Kammer nehme aber auch die Sorgen der Menschen sehr ernst, die im Falle eines Tunnelbaus ihre Lebensqualität in Gefahr sehen. Lübecks IHK-Präses Friederike C. Kühn sagt dazu: „Das deutsche Planungsrecht ist ein Garant dafür, das Nachteile hier weitestgehend ausgeglichen werden.“ So soll die Eisenbahntrasse für den Güterverkehr „sozial-, umwelt- und tourismusverträglich“ gestaltet werden. Die Bahn will unter anderem mit leiseren Güterwaggons ihren Teil dazu beitragen.
Dass das dänische Parlament den Startschuss zur Vergabe der Bauaufträge gab, bringt die Belttunnel-Gegner nicht aus der Ruhe. „Dass diese Entscheidung erst so spät kommt und offenbar bis kurz vor Schluss äußerst umstritten war, spricht Bände“, sagt der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende von den Grünen, Konstantin von Notz. Auch er hat schon blaue Kreuze als Zeichen des Widerstands verteilt.
Eine für beide Seiten hundertprozentig zufriedenstellende Lösung werden Tunnel-Gegner und -Befürworter wohl nicht finden. Eines haben beide Parteien jedoch gemeinsam: Sie nutzen die Zeit, die die Verzögerung des Baus mit sich bringt, um weitere Überzeugungsarbeit zu leisten.