Lütjensee. Autofahrerin findet fachmännisch ausgeweidetes Tier im Waldstück. Polizei und Staatsanwalt ermitteln. Gastronomen als Abnehmer?

Im Jagdrevier Lütjensee ist ein Wilderer unterwegs gewesen. Eine Autofahrerin hat am Rand der Straße Finkhorster Berg ein fachmännisch ausgeweidetes Reh gefunden. Der unbekannte Täter hatte das Fleisch mitgenommen und Reste wie Innereien am Kadaver zurückgelassen. Es wurde Strafanzeige gestellt, Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln. Es ist offenbar nicht der erste Fall von Wilderei in Stormarn.

Die Autofahrerin war am Mittwoch, 25. November, in dem Waldstück unterwegs. Sie meldete den Fund sofort der Polizei. „Die Tat kann nicht lange vorher passiert sein, denn der Kadaver wies noch keine Maden auf“, sagt Polizeisprecherin Sonja Kurz. „Zurück blieben lediglich die verstreuten Innereien sowie die zerstückelten Gliedmaßen des Rehs“, sagt sie. Die Polizei konnte keinen Täter ermitteln. Jetzt ist die Akte bei der Staatsanwaltschaft.

Andreas Körber, Chef der Försterei Lütjensee, hat schon mehrmals von Jagdnachbarn gehört, dass in deren Revieren illegal getötete Tiere entdeckt wurden. „Oftmals wurden nur Fell, Läufe und Innereien gefunden“, sagt Körber. Das Muskelfleisch werde meist sauber abgetrennt und mitgenommen. „Dass es sich dabei um Wilderei handelt, bleibt allerdings eine Vermutung“, sagt er. Es gebe keine Beweise.

Es sei auch möglich, dass Jäger die Tiere ganz legal geschossen hätten. Körber: „Es kommt schon vor, dass Jäger Überreste nach dem Ausweiden zurücklassen. Daran können sich anschließend noch die anderen Tiere im Wald erfreuen.“

Auch unter Jägern sorgt das Thema Wilderei für viel Gesprächsstoff. „Wir hören hier und da immer wieder Schüsse, die nicht zugeordnet werden können“, sagt Kreisjägermeister Klaus Klemm. „Konkrete Beweise, denen man nachgehen könnte, gibt es bisher aber nicht“, so der Pölitzer. Bei Braak sollen kürzlich sogar Schlingen und Rasierklingen neben einem toten Reh gefunden worden sein.

Nach der Einschätzung von Förster Körber ist der Täter von Lütjensee äußerst schnell vorgegangen. Schießen, ausweiden, einpacken, kühlen: Der Wilderer müsse gewusst haben, was er tue. Denn laut Körber ist es unbedingt nötig, ein geschossenes Tier innerhalb einer Stunde auszuweiden. Dauert es länger, könnten Bakterien aus dem Darm austreten, und das Fleisch wäre nicht zu verwenden. Außerdem müsse das Fleisch schnell heruntergekühlt werden. Für das Entsorgen der Innereien und sonstigen Überreste blieb dem Täter augenscheinlich keine Zeit mehr.

Autofahrer dürfen tote Tiere nach Unfällen auch nicht mitnehmen

Das Fleisch dürfte als Braten auf dem Tisch landen. „Für ein Reh, inklusive Bauchdecke und Kopf, bekommt man meistens bis zu fünf Euro pro Kilogramm“, sagt Körber. Bei einem durchschnittlichen 16-Kilogramm-Tier ergebe das rund 80 Euro. Wildbret sei äußerst beliebt.

Könnte es sich nicht auch um organisierte Wilderei handeln? Dieser Verdacht liegt nahe. Unter der Hand wird darüber getuschelt, dass Wilderer-Tiere von der Gastronomie abgenommen würden. „Das ist nicht ausgeschlossen, so etwas soll es durchaus geben“, sagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer der Landesgeschäftsstelle des Naturschutzbundes (Nabu). Allerdings müssten Gastronomen ihre Einkäufe ganz genau ausweisen. Die Polizei könne eine Rechtswidrigkeit in einem solchen Fall schnell ermitteln.

„Die Jagd mit Hilfsmitteln wie Schlingen und Rasierklingen ist laut Bundesjagdgesetz verboten“, sagt Ludwichowski. Darin heißt es in Paragraf 19: „Verboten sind Schlingen jeder Art, in denen sich Wild fangen kann, herzustellen, feilzubieten, zu erwerben oder aufzustellen.“ Ludwichowski spricht dann auch von einer Form des Sadismus. „Wer mit Rasierklingen ans Werk geht, der ist nicht auf die Nahrungsaufnahme bedacht“, sagt er.

Wer beim Wildern erwischt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. In besonders schweren Fällen drohen sogar bis zu fünf Jahre Haft. Auch wer Tiere mit dem Auto anfährt und anschließend mitnimmt, ist per Gesetz ein Wilderer. Bei solchen Unfällen müssen Polizei und der zuständige Jagdpächter informiert werden.

Jägern und Förstern zufolge ist nur ein Bruchteil der tatsächlichen Straftaten bekannt. Zu Anzeigen bei der Polizei kommt es nur in den seltensten Fällen.

Das Bild des Wilderers wird oft romantisch verklärt. Es geistern Geschichten von Robin Hood und legendären realen Gestalten wie Georg Jennerwein in den Köpfen vieler Menschen herum. Ihren Legenden zufolge trotzten sie der Obrigkeit und gingen auf eigene Faust auf die Jagd. Einzig aus einem Grund: um ihre armen Familien mit Fleisch zu versorgen. Denn das war damals nur dem Adel vergönnt. Trotz der kriminellen Handlungen wurde etwa Jennerwein zum Volkshelden.