Wesenberg/Kiel. Gewerbegebiet Reinfeld/Stubbendorf ist offenbar einer von landesweit zehn Orten, in denen Hunderte Flüchtlinge untergebracht werden könnten.

„Minister fordert Erstaufnahme für Stormarn“, lautete gerade erst die Schlagzeile über einem Interview mit Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) in der Abendblatt-Regionalausgabe. Und schon werden in Kiel konkrete Überlegungen angestrengt, wo im Kreis ein geeigneter Ort zu finden ist, an dem Hunderte Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Eine Bestätigung dafür gibt es weder aus dem Ministerium noch bei der von der Landespolizei geschaffenen Besonderen Aufbauorganisation (BAO) in Kiel, die geeignete Liegenschaften oder Grundstücke für Containerdörfer ausfindig machen soll. Nach Recherchen dieser Zeitung ist ein Areal im Gewerbegebiet Reinfeld/Stubbendorf nahe der Autobahn 1 im Gespräch.

Ortstermin mit Vertretern des Ministeriums und der Polizei

Das Gelände liegt unweit der Abfahrt Reinfeld und gehört der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn (WAS). Die GmbH vermarktet im Auftrag des Kreises Flächen zur Ansiedlung von Gewerbe. Etwa 18 Hektar umfasst der Stubbendorfer Teil des mit Reinfeld gemeinsamen Gewerbegebiets, das zusammen 30 Hektar misst.

Wie groß die Begehrlichkeiten der Verantwortlichen in Kiel in Bezug auf Flächen in dem kleinen Ortsteil der Gemeinde Wesenberg sind, ist unbekannt. Sämtliche Fragen zu diesem Thema lässt das Ministerium unbeantwortet. Fakt ist, dass sowohl bei den Wirtschaftsförderern von der WAS in Bad Oldesloe als auch bei der Wesenberger Bürgermeisterin Karin Dettke (CDU) Anfragen aus Kiel eingegangen sind.

„Ich hatte einen Anruf aus dem Ministerium, dass dieses Gebiet ausgeguckt worden sei und als einer von zehn möglichen Standorten einem Prüfverfahren unterzogen werde“, sagt die Bürgermeisterin. Ob im 800-Seelen-Ort Stubbendorf ein Containerdorf geplant sei, wie viele Menschen dort untergebracht werden könnten, darüber sei nicht gesprochen worden. In Kürze jedoch sei ein Ortstermin mit Vertretern des Ministeriums und der Polizei anberaumt.

Stormarn sei bei Erstaufnahme-Einrichtungen „noch ein weißer Fleck im Land“

Innenminister Studt hatte im Abendblatt kritisiert, Stormarn sei bei Erstaufnahme-Einrichtungen neben Pinneberg „noch ein weißer Fleck im Land“. Er wünsche sich eine „Solidarität aller Kreise“ bei der Bewältigung der Krise. Die meisten Bürgermeister der 55 Stormarner Städte und Gemeinden indes betrachten solche Gedanken mit Skepsis. Halten sie doch die derzeit praktizierte dezentrale Unterbringung für den sichersten Weg zur Integration der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten. Zwar könne eine Erstaufnahme den enormen Druck auf die Kommunen mindern. Doch werfen sie die Frage auf, warum ausgerechnet in Nordstormarn leicht veräußerbare Grundstücke der WAS in Betracht kämen, wo anderenorts im Lande Gewerbeflächen brach lägen.

Wesenbergs Bürgermeisterin Karin Dettke sagt, sie habe „große Vorbehalte“ gegen Kiels Überlegungen zu Stubbendorf. Das Gebiet ist ihrer Meinung nach schlichtweg ungeeignet: zum einen wegen großer Firmen im Gewerbegebiet mit regelmäßigem Lieferverkehr, zum anderen wegen der Lärmbelastung durch die nahe Autobahn. Ferner befürchtet sie, dass „Anwohner Sturm laufen, wenn in Stubbendorf ein Containerdorf realisiert werden würde“. Und wenn überhaupt, sehe sie angesichts der Gesamteinwohnerzahl von knapp 1700 Menschen in ihrer Gemeinde „eine Obergrenze von 100 Flüchtlingen“. Sie erwarte, dass Kiel nach dem Ortstermin mit ihr Kontakt aufnehme. Dettke: „Allein schon, um frühzeitig in alle Überlegungen eingebunden zu werden.“

Die Nachfrage nach Gewerbegebieten sei größer als das Angebot

Soweit will es Norbert Leinius am liebsten gar nicht kommen lassen. Der WAS-Geschäftsführer bestätigt dem Abendblatt „einen Anruf aus Kiel und einen zum selben Thema aus Nordstormarn“. Leinius spricht für seine GmbH von einem „hohen Flächendruck“ durch auswärtige Unternehmen. Die Nachfrage nach Gewerbegebieten sei größer als das Angebot. Insofern stehe das Areal in Stubbendorf eigentlich gar nicht zur Disposition. Und diverse Flächen seien bereits für einen Verkauf reserviert. Außerdem halte er es für „geradezu zynisch, Flüchtlinge direkt neben der A 1 unterbringen zu wollen“. Strenge Kiel dennoch derartige Überlegungen an, sollten die Verantwortlichen doch bitte einen Termin mit ihm und Landrat Klaus Plöger vereinbaren.

Für Plöger ist das Thema seit Monaten ein Dauerbrenner. Mehrfach hatte er mit Rückendeckung diverser Verwaltungschefs auf die „Grenzen der Belastbarkeit“ hingewiesen. Ein Bürgermeister formulierte es jüngst hinter vorgehaltener Hand deutlicher mit den Worten: „Eigentlich müssten wir schon mit der weißen Fahne winken. Aber was hilft’s? Wir müssen das Problem ja schließlich irgendwie in den Griff bekommen.“

„Es ist geradezu zynisch, Flüchtlinge direkt neben derA 1 unterbringen zu wollen“, Norbert Leinius, Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn
„Es ist geradezu zynisch, Flüchtlinge direkt neben derA 1 unterbringen zu wollen“, Norbert Leinius, Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn © Birgit Schücking

Auch beim turnusmäßigen Meinungsaustausch aller Landräte der Metropolregion auf Einladung von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) war der Mangel an Quartieren Thema. Über die Stimmungslage beim Treffen im Hamburger Rathaus äußert sich Klaus Plöger ebenso wenig wie über Anrufe aus Kiel zu einer möglichen Erstaufnahme in Stormarn. Er sagt aber: „Offizielle Anfragen gibt es dazu bisher nicht. Ich warte mal ab.“

Norbert Leinius jedenfalls hat in dieser Angelegenheit schon beim Landrat angerufen. Er und Plöger wissen, dass bis heute schon etwa 2000 Flüchtlinge in Stormarn untergebracht wurden, rund 40.000 im Land. Bis Jahresende könnten es laut Minister Studt 50.000 Menschen sein. Der Druck also wächst. Und der nächste Anruf aus Kiel kommt bestimmt.