Ahrensburg. Dichter Klaus Peter Dencker ist ein Meister der Visuellen Poesie. Zu seinem 75. Geburtstag erscheint der zweite Band einer Werkausgabe.

Visuelle Poesie? Klaus Peter Dencker ist es gewöhnt, in fragende Gesichter zu schauen, wenn er erwähnt, was ihn in den vergangenen 50 Jahren am meisten beschäftigt hat. Tatsächlich gibt es ein eklatantes Missverhältnis zwischen den vielen Menschen, die keine Ahnung haben, wovon die Rede ist, und der internationalen Wertschätzung von Kennern für einen Künstler und sein Werk, in dem Dichtung auf vielfältige Art zum Bild wird.

Jede Wette, dass auch die meisten Ahrensburger den Dichter Dencker nicht kennen. Vertrauter sein dürfte ihnen der Nachbar im Auetal, der viele Jahre lang als Regierungsdirektor in der Hamburger Kulturbehörde arbeitete. Freunde des New-Orleans-Jazz kennen ihn als Initiator und Bandleader von Jazz Breeze. Und im THC Ahrensburg wird er als auch im hohen Alter kaum schlagbarer Tennisspieler geschätzt und gefürchtet für ansatzlose Stopps und einen Slice, der Bälle in den Platz zu graben scheint.

Gut möglich, dass auch Denckers Existenz als Autor im kommenden Jahr ein wenig bekannter wird. Im März feiert er seinen 75. Geburtstag. Die Einstimmung darauf ist eine Veranstaltung im Marstall am Donnerstag, 26. November, bei der Dencker über seine Arbeit spricht und Beispiele im Film zeigt. Anlass ist das Erscheinen des zweiten Bandes der Werkausgabe.

Der Künstler irritiert mit Worten, spielerisch, provokant oder anarchisch

Das großformatige, 318-seitige Buch soll zugleich Katalog für eine Reihe von Ausstellungen sein, die 2016 Aspekte von Denckers Werk würdigen, darunter erste Adressen wie das Günter-Grass-Haus in Lübeck, die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Es ist die Anerkennung in seinem Heimatland für einen Pionier der literarischen Avantgarde.

Die Frage nach dem Wesen der Visuellen Poesie beantwortet Klaus Peter Dencker mit einem Negativbeispiel, dem sogenannten Döhlschen Apfel. Dieser Text in Form eines Apfels besteht aus dem vielfach verwendeten Wort Apfel und einem einzigen typographisch unauffälligen Wurm darin. „Dieses Werk von Reinhard Döhl gilt als ideales Beispiel für die Visuelle Poesie und wird deshalb auch in Schulbüchern abgedruckt. Ich finde diese Idee einfach nur gewöhnlich und platt“, sagt Dencker, für den der visuelle Gag wie ein Verrat am tatsächlichen Gehalt der Poesie ist, an der er in einem aufreibenden experimentellen Prozess jahrzehntelang gearbeitet hat – „gegen Sprachverschleiß durch Substitution und Reduktion“, sagt Dencker.

Am Donnerstag wird im Marstall gefeiert

Klaus Peter Dencker wird am Donnerstag, 26. November, 19 Uhr, in seiner Heimatstadt Ahrensburg mit einer Veranstaltung in der Galerie im Marstall gefeiert.

Anlass Anlass ist das Erscheinen des zweiten Bandes seiner Werkausgabe. Visuelle Poesie II, ein großformatiger, aufwendiger Band, wurde unter anderem mit Unterstützung der Schleswig-Holsteinischen Kulturstiftung, der Sparkassenkulturstiftung und der Stadt Ahrensburg gedruckt.

Zum 75. Geburtstag Zum 75. Geburtstag am 22. März gibt es im kommenden Jahr Ausstellungen zu seinem Werk in Lübeck, Hamburg, Berlin, Marbach, Burgk/Saale und im Schloss Raabs.

Die Stiftung Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe und die Universitätsbibliothek in Hamburg haben sich als „Vorlass“ Denckers Manuskripte, seine Bibliothek und das Archiv gesichert.

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Man könnte sagen, es geht wesentlich darum, der Vorstellung zu misstrauen, dass Sprache ein zuverlässiges Medium sein könne, die Welt zu erklären. Dencker: „Es gibt ein schlechtes Bewusstsein von Sprache. Das Wort Haus ist kein Haus, sondern zunächst nur ein akustisches Ereignis und eine Ansammlung von Zeichen.“ Dagegen setzen die Visuelle Poesie, aber auch die Konkrete Poesie von Autoren wie Ernst Jandl, H.C. Artmann oder Gerhard Rühm die Irritation, die sprachspielerisch, provokant und anarchisch auftreten kann.

Das klingt theoretisch, lässt sich aber an einem Beispiel aus Denckers Frühwerk illustrieren. „Ich habe einen medizinischen Text als Ausgangspunkt genommen, in dem erklärt wird, wie vernünftiges Sitzen Bandscheibenvorfällen vorbeugt“, erzählt Dencker. Diesen Text habe er so collagiert und manipuliert, dass die Gedanken der Leser in eine beabsichtigte Richtung gelenkt worden seien. „Das liest sich wie ein hocherotisches Kopulationsprosastück. Den Schluss der Vorlage konnte ich dann wortwörtlich übernehmen. Die Leser waren in ihrer Vorstellung so gepolt, dass sie nicht bemerkt haben, worum es in dem Text eigentlich ging. Das hat sie ziemlich konsterniert.“

Der Literaturwissenschaftler und Japanologe war bei der Kulturbehörde

Bittere Pointe an diesem Beitrag: Dencker leidet selbst an schweren Bandscheibenvorfällen. Was mit Sicherheit auch auf die zehrende Doppelexistenz an diversen Schreibtischen zurückzuführen ist. Das dichterische Ich ist die eine Seite seines Seins, die andere ist das praktische Leben und eine bürgerliche Existenz mit Ehefrau und zwei Kindern, die gesichert sein wollte.

Der promovierte Japanologe und Literaturwissenschaftler Dencker arbeitete wissenschaftlich, dann entdeckte er den experimentellen Dokumentarfilm für sich. Dencker wurde Redakteur des Saarländischen Rundfunks. Er drehte etwa 100 Filme, nicht nur avantgardistische, auch klassische Features wie zum Beispiel eine Reihe über Museen in aller Welt.

Nach zehn Jahren in Saarbrücken zog es den gebürtigen Travemünder, der in Hamburg aufgewachsen ist, zurück in den Norden. Dencker bekam eine Anstellung in Hamburgs Kulturbehörde, wo er bis zu seiner Pensionierung 2002 arbeitete.

Sein Werk hat er in Wochenend- und Nachtarbeit dem Alltag abgetrotzt. Er sagt, dass seine Brotarbeit die Schriftstellerei bereichert habe. Insbesondere die Filme erweiterten sein Werk um Dimensionen. Dencker hatte sich früh gegen die textorientierte konkrete Poesie und für die visuelle Spielart entschieden. Er konstruierte Plakatgedichte und Collagen, in denen er bildliche Fragmente zum Beispiel aus Illustrierten verwendete und Wörter als Buchstabenmaterial nahm, das lustvoll dekonstruiert und in Anagrammen zu überraschenden Mehrdeutigkeiten durcheinandergewürfelt wurde.

Beginn der Arbeit mit bewegten Bildern

Der Fernsehfilm ermöglichte ihm schließlich den Schritt in die nächste Dimension. Dencker begann, mit bewegten Bildern zu arbeiten. Das wiederum beeinflusste seine Arbeiten auf Papier: Die Sequenz wurde seine bevorzugte Form, was echte Pionierarbeit war. Dencker erzählte eine Geschichte über eine Serie von Blättern, doch jedes Blatt für sich sollte seine eigene verrätselte Geschichte erzählen. „Die hat immer drei Ebenen: eine biografische, eine poetische und eine theoretische“, sagt Dencker. „Es geht in meinen Arbeiten darum, aus Kontexten heraus etwas in neue Kontexte zu setzen und dadurch neue Inhalte zu gewinnen. Das ist wie ein Rebus. Rätselhaftigkeit ist der Grundfokus jeder Poesie.“

Über die Jahre hat Dencker seine Bildsprache immer stärker reduziert. Inzwischen arbeitet er viel mit (meist hölzernen) Fundstücken, oft auf Flohmärkten entdeckt. „Alte Objekte, die in Kombination mit Text spannend werden. Das ist moderne Textarbeit in Konfrontation mit einem alten Träger.“ Denckers Arbeitszimmer im Keller ist eine Mischung aus Bibliothek, Kuriositätenkabinett und Werkstatt. Ein Ort, der noch viele Rätsel bereithält.