Ahrensburg. Attraktive Innenstädte, starke Marken: Experte Heinrich Grüter gibt Tipps, was Kaufleute und Politiker beachten sollten.

Die Tage des stationären Einzelhandels sind scheinbar gezählt: Die übermächtige E-Commerce-Konkurrenz, der Onlinehandel, wird immer stärker. Paralysiert und oft ratlos stehen viele Einzelhändler auch in Stormarn der neuen Wirtschaftslage gegenüber. Doch wer vor der neuen Welt die Augen verschließt in der Hoffnung, das Problem möge sich von alleine erledigen, dürfte den Kampf um die Kunden verlieren. Die Folge: Im besten Fall übernehmen die Stärksten, die Filialisten, die Fußgängerzonen mittelgroßer Städte – im schlechtesten greift der Leerstand um sich.

60 Prozent der Einzelhändler gaben bei einer Befragung an, das sie in den letzten Jahren einen Rückgang der Kundenfrequenz beobachten. „Das Thema beschäftigt viele Städte. Bange Erwartungen sind verbreitet – mit Recht“, sagt Heinrich Grüter, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Mittel und Großbetriebe des Einzelhandels Nord. Der Experte nahm bei einem Vortrag „Trends im Einzelhandel – vitale Städte“ in Ahrensburg vor Einzelhändlern kein Blatt vor den Mund, brachte die Fakten auf den Punkt. „Ohne ein Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Wirtschaft vor Ort sieht es düster aus für die Fußgängerzonen.“

Ursachen für die Krise des stationären Einzelhandels gibt es viele. Neben der immer stärker werdenden Konkurrenz durch Online-Shops ist auch das Überangebot an Ladenflächen Mitverursacher. Gerade in Schleswig-Holstein gibt es Einzelhandelsflächen im Übermaß: 1,8 Quadratmeter pro Einwohner. Das wäre nicht ein so großes Problem, wären sie aus Sicht der Innenstädte nicht an der falschen Stelle. Vor Jahrzehnten begann ein Trend, Supermärkte und Shoppingcenter in Gewerbegebieten an den Stadträndern anzusiedeln. Bequem für die Kunden, weil sie dort ausreichend Parkflächen finden, aber fatal für die Fußgängerzonen.

Dazu kommt, dass generell weniger konsumiert wird. Anfang der 1990er-Jahre gaben Schleswig-Holsteiner noch etwa 40 Prozent ihres Einkommens für Konsumgüter aus. Mittlerweile sind es nur noch 27 Prozent. Der Kuchen, den sich der stationäre und der Online-Handel teilen müssen, wird also immer kleiner. Ursache sind unter anderem die immer weiter steigenden Energie- und Wohnraumkosten.

Die Kosten machen auch dem Einzelhandel zu schaffen. Die Mieten steigen, die Umsätze sinken. „Jedes zehnte Ladengeschäft ist vom Bankrott bedroht“, sagt Heinrich Grüter. Gerade bei kleineren, inhabergeführten Geschäften leiden die Gewinnspannen. Das hat zur Folge, dass große Filialisten und Ketten in den Innenstädten immer mehr Raum gewinnen.

Noch relativ krisensicher ist der Lebensmittelhandel. Hier bestimmen ohnehin schon fast ausschließlich große Ketten den Markt – Lebensmittel online kaufen hat sich bislang nicht durchgesetzt. Im Gegensatz zu Büchern. Hier herrscht Endzeitstimmung. Grüter: Jeder zweite der bundesweit noch 7000 stationären Buchhändler muss aufgeben. Das ist die Prognose.“

Der Online-Handel ist eine Ursache, kann auch aber auch Lösung sein

Unheil bringt vor allem der E-Commerce. Der Onlinehandel erobert immer größere Marktanteile – und das ausgerechnet in Branchen, die auch in den Innenstädten oft vertreten sind. Im Modebereich stieg der Anteil der übers Internet vertriebenen Waren von 2008 auf 2013 – also innerhalb von fünf Jahren – von überschaubaren 6,8 auf enorme 18,9 Prozent. „Kleidung, Schmuck, Sport-Artikel. Das sind die Sparten, die in Innenstädten am häufigsten zu finden sind. Und ausgerechnet sie sind am meisten betroffen“, so Heinrich Grüter.

Dass der Onlinehandel dem stationären Einzelhandel die Kunden streitig macht, steht fest. Doch das Internet bietet auch eine Chance. Befragungen haben ergeben, dass 50 Prozent der Kunden Produkte vor dem Kauf anfassen, sehen – und am liebsten gleich mitnehmen wollen. Das betrifft vor allem Elektronik-Artikel. Umgekehrt informieren sich Verbraucher allerdings auch in den Geschäften, kaufen dann aber günstiger im Internet. Es besteht also längst eine Beziehung zwischen On- und Offline – gewollt oder nicht. Und sie bietet nicht nur dem E-Commerce einen Vorteil. Auch der stationäre Handel kann diese Entwicklung für sich nutzen. „Als reiner Verkaufsraum büßt das Ladengeschäft ein, als Bühne gewinnt es an Gewicht“, ist Heinrich Grüter überzeugt und fügt an: „Wer nicht im Netz ist, hat schon verloren.“ Seine These: Ohne einen Online-Auftritt können Einzelhändler auf Dauer nicht überleben.

Der Experte rät zu ansprechenden Innenstädten und starken Marken

„Die Vitalität der Innenstädte hängt entscheidend vom Einzelhandel ab“, so Grüter. Doch auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Eine Stadt, die auf Dauer für Kunden attraktiv sein will, braucht eine starke Vernetzung zwischen Politik, Stadtverwaltung und Handel. Vor allem bei kleinen und mittelgroßen Städten wie Ahrensburg, Bargteheide oder Bad Oldesloe steht die Nahversorgung im Mittelpunkt. „Je kleiner die Stadt, desto wichtiger ist die Versorgungsintention als Zugfaktor“, erklärt der Einzelhandels-Experte. Kurz: Wer in Innenstadtnähe seinen Wocheneinkauf erledigt, schlendert vielleicht noch kurz durch die Fußgängerzone.

Ebenso wichtig: eine attraktive Umgebung. Architektonisch und städtebaulich ansprechende Städte gehören am wenigsten zu den Verlierern. „Es ist für die Menschen ein emotionaler Raum. Eine Stadt muss das hegen und pflegen, was sie unverwechselbar macht und ihren Markenkern definieren“, so Grüter. „Im Gegensatz zur Innenstadt erfüllt das Internet nicht das Grundbedürfnis an Kommunikation.“

Krise: Kommt Ahrensburg mit einem blauen Auge davon?

Ahrensburg erfüllt die Voraussetzung zum Meistern der Krise. Die Kaufkraft ist überdurchschnittlich hoch, die Innenstadt und Fußgängerzone weitestgehend ansprechend, auch wenn die Einzelhändler die weiterhin schlechte Parkplatzsituation bemängelten. Es gibt – wenn auch Jahre zu spät – endlich ein Stadtmarketing und ein Einzelhandelskonzept. Dennoch sind die Ahrensburger Einzelhändler besorgt. „Die Personalkosten, Mieten und Energiekosten steigen, irgendwann wird die Gewinnspanne knapp“, sagt Andreas Werning, Inhaber von zwei Juweliergeschäften in Ahrensburg und zweiter Vorsitzender der Kaufleutevereinigung Stadtforum. „Im Vergleich zu anderen Städten geht es uns noch gut, wir jammern auf einem hohen Niveau – aber wir merken es alle.“ Die Politik sei jetzt gefragt, der Markt werde es nicht regeln. „Ein Einzelhandelskonzept ist schön und gut, aber es muss auch Geld in die Hand genommen werden.“ Aber auch die Einzelhändler sieht Werning in der Pflicht: „Wir müssen besser sein, als Online. Parolen wie ,bitte bitte, kauft bei uns ein’ werden es nicht bringen.“