Ahrensburg/Lübeck. Interview mit dem für Stormarn zuständigen Staatsanwalt über Trickbetrug, Angriffe gegen Flüchtlingsheime und Einbrecherbanden.

Alexander Sulanke

Die Angriffe auf Flüchtlingsheime im Südosten Schleswig-Holsteins findet er beschämend. Die Dichte der Taten in 2015 rücke das Bundesland in ein schlechtes Licht. Die kriminelle Energie von Einbrecherbanden, die Tatsache, dass diese immer professioneller zu Werke gehen, hat aus seiner Sicht eine „neue Qualität“ erreicht. Im Gespräch mit der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn bezieht Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders aus Lübeck Stellung zu diesen Themen.

Hamburger Abendblatt: Sie leiten das Dezernat für politisch motivierte Straftaten. Mit welcher Art von Fällen haben Sie es zurzeit am häufigsten zu tun?

Ralf Peter Anders: Momentan beschäftigen uns ausländer- und flüchtlingsfeindliche Angriffe besonders. Im Südosten des Landes hatten wir in diesem Jahr schon fünf Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Darunter zwei Brandanschläge und einen Angriff mit einer Rauchgranate.

So wie in Escheburg.

Anders: Ja. Escheburg war ein Brandanschlag. Wir bearbeiten diese Verfahren mit Hochdruck. Allerdings bereiten mir diese Fälle große Sorge.

Aus welchen Gründen?

Anders: Ich habe nicht das Gefühl, dass wir hier schon ein Ende erreicht haben. Und sie machen mir deshalb Sorge, weil wir es nicht immer mit der klassischen rechtsextremen Klientel zu tun haben.

Sondern?

Anders: In Escheburg war ein bis dato unauffälliger Nachbar der Täter. Dass der Damm gebrochen ist bei einigen Leuten, die nicht originär aus dem rechtsradikalen Umfeld kommen, dass sie Brände legen, Gewalt gegen Sachen anwenden oder sogar Flüchtlinge angreifen, dass sie meinen, auf diese Weise ihre ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen kundtun zu müssen, und dass sie dabei auch noch das Gefühl haben, für andere zu sprechen – das ist sehr beunruhigend.

Wo sehen Sie die Ursachen dafür?

Anders: Das kann ich nicht generell beantworten. Das ist eine noch kriminologisch und politisch zu bewältigende Aufgabe. Mit dem Täter im Escheburg-Prozess habe ich mich aber näher befasst. Was ich beobachtet habe, ist eine diffuse, unreflektierte Angst, die ausgelebt wird und bei der nicht versucht wird, sie rational einzufangen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass jemand mit diesen Ängsten zu dem Schluss kommt: Ich hab’ jetzt mal das Recht, ein Haus anzuzünden.

Der Fall Escheburg ist ja besonders schnell zur Anklage und auch vor Gericht gekommen. Setzt die Justiz hier Zeichen gegen rechte Gewalt?

Anders: Aufgabe der Justiz ist, jeden Täter seiner Schuld angemessen zu bestrafen. Wir wissen allerdings, dass solche Taten in der Bevölkerung eine große Unruhe hervorrufen. Wir versuchen deshalb schnell aufzuklären, ohne dass die Ermittlungsqualität darunter leiden würde. Darin liegt die Abschreckung für potenzielle weitere Täter. Wir haben in diesem Bereich in der Strafverfolgung aufgerüstet und ermitteln besonders intensiv. Und: Es geht auch um Schleswig-Holstein. Und es geht um das Bild, das wir im Bund und in der Welt abgeben. Wenn Sie sich einmal auf der Karte angucken, wo etwas passiert ist, ist es schon beschämend, dass wir im Südosten Schleswig-Holsteins eine große Dichte solcher Angriffe verzeichnen. Das erinnert schon fast an einige Gegenden in Sachsen. Deshalb arbeiten wir diese Sachen schnell und präzise ab.

Was ist aus den Ermittlungen im Fall der Stormarner Gemeinde Grabau geworden, wo ein Brandsatz im Eingangsbereich einer Flüchtlingsunterkunft explodierte?

Anders: Grabau konnten wir trotz erheblicher Bemühungen, auch Ermittlungen im Ausland, bislang noch nicht aufklären.

Gibt es weitere Themenfelder, die den Kreis Stormarn betreffen?

Anders: Ja, Brandstiftungen. Das ist ein für das Sicherheitsempfinden der Bürger sehr relevanter Bereich.

Es sind doch längst nicht alle Taten aufgeklärt. Die mehr als 100 Brandstiftungen in Ahrensburg und Umgebung, oder?

Anders: Das ist richtig. Wir gehen aber davon aus, dass wir den Kernbereich der Taten aufgeklärt haben. Es ist noch einiges offen, was daran liegt, dass Auswertungen noch andauern. Ermittlungen in diesem Bereich sind grundsätzlich schwierig und die Aufklärungsquote daher sehr gering. Umso erfreulicher ist es, dass wir viele der Brandstiftungen anklagen konnten.

Aber wir müssen doch davon ausgehen, dass immer noch Täter auf freien Fuß sind, oder? Nach unserem Wissensstand sind sämtliche Auto- und Carportbrände in Ahrensburg bis heute nicht aufgeklärt.

Anders: Soweit es um laufende Ermittlungen geht – sehen Sie es mir nach – sage ich dazu nichts.

Stichwort Einbruchskriminalität. Diese Form von Verbrechen brennt den Menschen im Hamburger Umland auf den Nägeln. Speziell in Stormarn mit den meisten Einbrüchen landesweit – und der niedrigsten Aufklärungsquote.

Anders: Das liegt daran, dass es ein Delikt ist, das zumeist unbeobachtet geschieht und wenig Spuren hinterlässt. Hinzu kommt, dass die Täter sich in den vergangenen Jahren erheblich professionalisiert haben. Auch hier gibt es eine neue Qualität.

Was heißt das konkret?

Anders: Beispielsweise brechen Täter neuerdings in Reisebüros ein, um herauszufinden, wer wann wohin in den Urlaub fährt. In ein Reisebüro bricht man also nicht mehr ein, um Dinge zu stehlen, sondern um sich Kundenlisten zu besorgen. Das ist eine erhebliche logistische Vorleistung. Die Polizei reagiert darauf, indem sie aufrüstet. So gibt es in Reinbek die „Präsenz- und Ermittlungsgruppe Wohnungseinbruchsdiebstahl“. Und bei der Staatsanwaltschaft Lübeck ist eine Koordinationsdezernentin damit beauftragt, sehr schnell aus den sogenannten Unbekanntsachen – bei den meisten Wohnungseinbruchsdiebstählen ist der Täter unbekannt – diejenigen schnell herauszufiltern, in denen weitere Spezialermittlungen zielführend sind. Gegebenenfalls wird das Verfahren, soweit Anhaltspunkte für Bandenkriminalität bestehen, an die Abteilung Organisierte Kriminalität abgegeben. Was allerdings hier hilft, ist Prävention.

Wir lernen also, dass der Bürger quasi aufrüsten muss, um sich selbst zu schützen. Das ist ein Stück weit doch nichts anderes als eine Bankrotterklärung von Polizei und Justiz.

Anders: Das würde ich nicht so sagen. Es geht nicht darum, dass der Staat sagt: Wir können euch nicht helfen, macht mal selbst. Es geht um erfolgreiche Kriminalprävention. Wenn man es schafft, sein Haus sicherer zu machen, etwas besser aufpasst, was man im Internet preisgibt, dann kann man damit einen großen Erfolg erzielen.

Sie haben in Lübeck als eine der ersten Staatsanwaltschaften in Deutschland ein Sonderdezernat für Kriminalität gegen Senioren gegründet. Was ist der Hintergrund für diese außergewöhnliche Maßnahme?

Anders: Senioren werden leicht Opfer von Kriminellen. Diese ganze Geschichte mit den Enkeltricks, die vor zehn Jahren eher ein Ausreißer war, ist professionalisiert worden. Die Täter rufen zum Beispiel aus dem Ausland an.

Und behaupten, „Sie haben ein Auto gewonnen. Sie müssen uns aber erst mal 1500 Euro Frachtkosten überweisen, bevor wir es ausliefern.“ So in etwa?

Anders: Genau so. Die Räuberpistolen, die sich die Täter ausdenken, um Menschen dazu zu bringen, Geld ins Ausland zu überweisen, sind abenteuerlich. Jeder von uns würde eigentlich sagen: Ich zahle doch nicht jemandem, den ich gar nicht kenne, 1500 Euro – wobei 1500 Euro noch eine relativ niedrige Hausnummer ist. Wenn aber einer alten Dame am Telefon gesagt wird, sie habe an einem Gewinnspiel teilgenommen und sich dadurch angeblich strafbar gemacht, neben dem Anrufer sitze der Staatsanwalt und sie müsse 4000 Euro zahlen, um nicht bestraft zu werden, dann wird so mancher ältere Mensch an den Rand der psychischen Belastbarkeit gebracht.

Und zahlen dann auch sofort...

Anders: Richtig. Wir registrieren die Leichtgläubigkeit mancher Senioren und sind erschüttert über die Methoden, mit denen sie unter Druck gesetzt werden.

Was macht das neue Dezernat konkret?

Anders: Unsere Spezialdezernentin Dr. Hingst ist das Gesicht nach außen für die Senioren. Sie besucht zum Beispiel Veranstaltungen von Seniorenorganisationen. Wir stellen fest, dass der Bedarf ist groß. Denn die Schamgrenze ist hoch. Opfer haben viel Angst, sich an die Polizei zu wenden. Dann kommen nämlich noch die Kinder und sagen: Mensch, Mutter, wie konntest du nur so leichtgläubig sein? Wir haben im Jahr 2015 insgesamt 62 Verfahren im Seniorenschutzdezernat, von denen es in der Mehrheit um Trickbetrügereien geht.

Auf diese Weise erreichen Sie aber nicht solche Menschen, die zum Beispiel dement sind, pflegebedürftig.

Anders: Das ist ein weiterer wichtiger Bereich: Kriminalität in Altenheimen und gegen Demente. Die Dunkelziffer ist hoch. Aber es ist richtig: Wir erreichen nur die, die noch fit genug sind, um zu sagen: Ich wehre mich dagegen. Ja, das Thema Kriminalität gegen alte Menschen hat leider Konjunktur. Das wird uns künftig noch häufiger beschäftigen. Schließlich werden wir alle älter.

Auch das Thema Cyber-Mobbing beunruhigt viele Menschen zunehmend. Junge Menschen – aber auch solche, die beruflich oder ehrenamtlich in der Öffentlichkeit stehen, sind Schmähkritik, Beleidigung und falschen Tatsachenbehauptungen ungeschützt ausgesetzt.

Anders:: Ja. Das sind alles strafrechtlich relevante Dinge. Bei der Staatsanwaltschaft Lübeck werden zum Beispiel häufig Beleidigungsdelikte durch Blogger aus dem Ahrensburger Bereich angezeigt.