Ahrensburg. Im Gemeindesaal der Schlosskirche in Ahrensburg können Besucher Fragen an die Gutachter stellen.

Ralph Klingel-Domdey

Der Fall bleibt für viele Menschen unfassbar, obwohl so oft darüber berichtet, so viel darüber geredet worden ist. Heute Abend wird der Missbrauchsskandal in der Ahrensburger Kirchengemeinde erneut Thema einer Veranstaltung sein. Um 19 Uhr stellt sich die Kirchengemeinde den Besuchern im Gemeindesaal der Schlosskirche der Diskussion. Dabei geht es geht um den Abschlussbericht der unabhängigen Experten-Kommission, der am 14. Oktober 2014 in Hamburg veröffentlicht worden war. Nun bekommen die Ahrensburger erstmals die Gelegenheit, direkt mit den Autoren des Berichts zu sprechen. Und Fragen an die Experten zu richten, die die Übergriffe durch Pastor Dieter K. auf Jugendliche untersucht haben.

Der Missbrauch von Schutzbefohlenen in den 1970er- und Anfang der 80er-Jahre durch einen Pastor des Kirchsaals Hagen hatte bei Bekanntwerden im Sommer 2010 große Teile der Kirchengemeinde und der Stadt in einen regelrechten Schock versetzt. Jahrelang hatte sich der Geistliche dutzende Male an Jungen und Mädchen vergangen – oft am Rande von Jugendtreffs, bei denen reichlich Alkohol floss. Im Dezember 2010 räumt Dieter K. die Übergriffe ein: „Ich bin schuldig geworden. Jugendliche und junge Erwachsene habe ich zu Opfern meiner sexuellen Übergriffe gemacht“, erklärte er gegenüber dem Abendblatt.

Das Verfahren gegen Friedrich H. ist auch nach fünf Jahren noch anhängig

Auch der ehemalige Kollege von K., der Ruhestandsgeistliche Friedrich H., fiel in Kirchenkreisen und bei vielen Gemeindegliedern in Ungnade. Er hatte eingeräumt, jahrelang von den Übergriffen seines Kollegen gewusst zu haben, ohne die notwendigen Schritte einzuleiten. Auch wurden ihm Beziehungen zu jungen Frauen angelastet. Ein Verfahren wegen „schwerwiegender Amtspflichtverletzungen“ gegen den bis dahin hoch angesehenen Geistlichen bei der Disziplinarkammer des Kirchengerichtes dauert noch an – auch fünf Jahre danach.

Warum? Auf diese Frage sagt Nordkirchen-Sprecher Stefan Döbler: „Das Verfahren ist nach wie vor bei der Disziplinarkammer anhängig. Ein Termin zur mündlichen Anhörung ist bisher nicht anberaumt worden.“ Der Skandal, in dessen Folge Hamburgs Bischöfin Maria Jepsen zurücktrat, weil Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkamen – sie soll früher als eingestanden über die Vorkommnisse informiert gewesen sein – war nicht der einzige in der evangelischen Kirche. Im Bericht der Kommission wurden 14 weitere Fälle innerhalb der Nordkirche untersucht, bei denen Pastoren sexuell grenzverletzendes Verhalten gezeigt hatten.

Inzwischen habe die Nordkirche Unterstützungen in der Größenordnung von mehreren Hunderttausend Euro geleistet. Gemeinsam mit Betroffenen sei dafür das Konzept „Unterstützungsleistungen für Missbrauchsopfer in Anerkennung ihres Leides und in Verantwortung für die Verfehlungen der Institution“ entwickelt worden. Döbler: „Dies kann zum Beispiel die Finanzierung von Therapien oder beruflicher Fort- und Weiterbildungen sein.“ Dabei gehe es auch darum, erlittenes Leid zunächst einmal ausdrücklich anzuerkennen. Vielen Betroffenen sei auch das – neben einer konkreten Form von Unterstützung – wichtig. Döbler stellt aber auch klar: „Was die Menschen erlitten haben, wird sich nicht wiedergutmachen lassen.“

Immer noch gibt es Mahnwachen vor dem Kirchsaal Hagen

Die Opfer können „Lotsen“ beauftragen, die unterschiedlichen Opferorganisationen angehören. Auch eine kirchliche Lotsin ist dabei. Diese begleiten sie bei den Gesprächen mit der Kommission. Dabei gehe es um die im konkreten Fall gewünschte Unterstützung. Darüber hinaus unterstütze die Kirche Initiativen zur Verlängerung von strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellen Übergriffen. Eine Erstberatungsstelle für Opfer wurde eingerichtet. In der Nordkirche sollen Mitarbeiter für den Kinder- und Jugendbereich bei Neuanstellungen künftig „erweiterte Führungszeugnisse“ vorweisen sowie haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter sich in einer schriftlichen Erklärung zu „grenzachtendem Verhalten“ verpflichten. Döbler: „Die Nordkirche arbeitet auf der Basis der Empfehlungen der Experten intensiv an den daraus abgeleiteten Aufgaben.“

Wie wichtig das ist, welch tiefe Wunden die Ereignisse von damals gerissen haben, zeigt die Tatsache, dass einige Menschen auch heute noch an jedem ersten Montag im Monat vor dem Kirchsaal Hagen um 19 Uhr Kerzen anzünden, Mahnwache halten. An dem Ort, wo alles vor mehr als 40 Jahren seinen Anfang nahm.