Ahrensburg. Die Plakette in der Waldstaße 8, die Anfang 2016 gesetzt wird, erinnert an Veronika Rath. Nazis trieben die Frau in den Selbstmord.

Anneliese Oelte wohnte von 1934 bis 1938 in der Ernst-Ziese-Straße 2 in Ahrensburg. 1938 wurde sie in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen – die heutige Evangelische Stiftung Alsterdorf. 1943 wurde sie nach Wien „verlegt“, wo sie zwei Jahre darauf ermordet wurde. Anneliese Oelte ist der verbrecherischen Ideologie des nationalsozialistischen Deutschlands zum Opfer gefallen. Euthanasie lautete der Euphemismus für die systematische Tötung geistig und körperlich beeinträchtigter Menschen, Rassenhygiene ein anderer Ausdruck aus dem Jargon. Elf Jahre war Anneliese alt.

Schleswig-Holstein erster Stolperstein wurde in Ahrensburg verlegt

Über die Geschichte des Ahrensburger Mädchens stolpert man vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Ernst-Ziese-Straße. Dort sind die Eckdaten ihres bedrückenden Leidenswegs eingeschlagen in Messing. Zu lesen auf einem Stein, der 2003 in den Bürgersteig eingelassen wurde. Eine Geschichte, die erschüttert und aus dem Gleichgewicht bringt.

Stolperstein für Anneliese Oelte, 2003 in der Ernst-Ziese-Straße 2 gesetzt
Stolperstein für Anneliese Oelte, 2003 in der Ernst-Ziese-Straße 2 gesetzt © HA | Sebastian Knorr

Seit 1992 werden quadratische Denk- und Gedenksteine mit zehn Zentimetern Kantenlänge von dem Kölner Künstler Gunter Demnig vor den ehemaligen Häusern Deportierter und anderer NS-Opfer verlegt. Anfang dieses Jahres waren es insgesamt 50.000 Steine in 1300 Orten in fast ganz Europa. Der Stolperstein für Anneliese war der erste in Schleswig-Holstein. 2009 waren es mindestens 309, aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar, von offizieller Seite werden sie nicht erfasst.

2009 wurde der zweite Stein in Ahrensburg verlegt, für Magnus Lehmann am Rondeel (vor dem Haus Große Straße 42). Der Spross einer jüdischen Familie in Ahrensburg, die stets die Vorsteher der ersten jüdischen Gemeinde in Ahrensburg stellte, wurde am 4. Dezember 1941 – im Alter von 56 Jahren – in das Konzentrationslager Minsk deportiert und dort ermordet.

1938 hat Veronika Rath den Gasharn aufgedreht und sich auf die Kühenbank gelegt

Anfang 2016 wird ein dritter Stein nach Ahrensburg kommen, und zwar vor das Haus Waldstraße 8. Winfried Kümpel-Jurgenowski steht vor dem ehemaligen Ambulatorium Dr. Rath. Es sind nur noch Teile der ursprünglichen Fassade erhalten, ein schmaler Streifen mit zwei alten Fenstern und drei Figuren. „An diesem Ort hat Veronika Rath im August 1938 den Gashahn aufgedreht, sich auf eine Bank in der Küche gelegt und ist gestorben“, berichtet Kümpel-Jurgenowski und zeigt ein historisches Foto. Die Geschichte dieser Frau, er hat sie schon häufig nacherzählt, geht ihm sichtlich nahe.

Winfried Kümpel-Jurgenowski zeigt ein Foto vom Haus der Eheleute Rath
Winfried Kümpel-Jurgenowski zeigt ein Foto vom Haus der Eheleute Rath © HA | Sebastian Knorr

„Frau Rath setzte ihrem Leben im Alter von 55 Jahren ein Ende,“,sagt Kümpel-Jurgenowski. „Sie hinterließ zwei Kinder, Fritz-Ulrich und Dorle, und ihren Ehemann.“ Veronika Rath war Jüdin, aber zur evangelisch-lutherischen Kirche konvertiert. Sie entstammte einer Bankiersfamilie aus Hamburg. „Die Familie stand hier in Ahrensburg unter massivem Druck“, so Jurgenowski. Im Herbst 1935 wurde ihr Mann, der Arzt Dr. Hugo Rath, von einem seiner Patienten – dem in Ahrensburg lebenden Richter Otto von Bargen – als „vollkommen verjudeter Deutscher“ denunziert. Rath selbst war kein Jude: „Er sagt, er könne seine arische Abstammung bis 1600 nachweisen“, so formuliert es von Bargen in seinem Denunziationsschreiben an den damaligen Ortsgruppenleiter der NSDAP und Bürgermeister für Ahrensburg, Heinrich Scheele. Zwei Jahre nach seiner Frau starb auch Dr. Rath: „Die Diagnose lautete Gram“, sagt Kümpel-Jurgenowski.

Bis 2017 sollen drei weitere Steine verlegt werden

Dass im kommenden Jahr ein Stolperstein vor der ehemaligen Praxis und Wohnung der Raths an das Schicksal der Jüdin erinnern wird, geht auf die Initiative der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine des Runden Tisches für Zivilcourage und Menschenrechte, gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus in Ahrensburg zurück. Kümpel-Jurgenowski arbeitet sehr aktiv in dieser Arbeitsgemeinschaft. Er finde es schön zu beobachten, wie in Ahrensburg mit den Stolpersteinen umgegangen werde: „Ich sehe manchmal eine kleine Blume neben einem Stein liegen oder wie jemand die Messingplatte putzt.“ Die Erinnerung an Menschen ist dem 69 Jahre alten Richter im Ruhestand wichtig. „Erinnerung ist das Tor zum ewigen Leben auf Erden“, sagt er und bezieht sich damit sinngemäß auf den vielzitierten Satz, der in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu lesen ist: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“

Die Arbeitsgemeinschaft „Stolpersteine“ arbeitet eng mit dem Stadtarchiv Ahrensburg zusammen. Für den neuen Gedenkstein in der Waldstraße könnte es zudem eine Patenschaft der Stormarnschule geben. „Schulklassen arbeiten bereits mit den historischen Quellen aus dem Stadtarchiv zum Schicksal Veronika Raths“, erzählt Kümpel-Jurgenowski. „Ein Deutschkursus wird vielleicht zur Steinsetzung eine szenische Lesung vorbereiten.“

Wann genau Gunter Demnig zum Setzen des dritten Stolpersteins nach Ahrensburg kommt, ist noch nicht festgelegt. „Wahrscheinlich im März oder April.“ Die Arbeitsgemeinschaft hat derweil schon neue Pläne: 2017 sollen möglichst drei weitere Steine folgen.

In Reinfeld wird am Montag des Gestapo-Opfers Richard Minkwitz gedacht

Zur Erinnerung an das Gestapo-Opfer Richard Minkwitz, dessen Todestag sich am Montag, 7. September, zum 82. Mal jährt, lädt der Kriminalpräventive Rat Reinfeld zu einer Gedenkversammlung an dessen Stolperstein (Paul-von-Schoenaich-Straße 36) um 18 Uhr ein. Zu diesem Anlass können Blumen niedergelegt werden.

Im September 1933 hatte die Gestapo den Landarbeiter Richard Minkwitz, der Mitglied der KPD war, in „Schutzhaft“ genommen. Am 7. September teilte die Reinfelder Polizei seiner Ehefrau mit, ihr Mann habe sich erhängt. Viel später erfuhr die Familie von Minkwitz die wahre Todesursache: Ein Gestapo-Scherge hatte Minkwitz den Schädel eingeschlagen. Im März 2014 wurde vor dem früheren Wohnhaus der Familie unter großer öffentlicher Anteilnahme ein „Stolperstein“ zur Erinnerung an dieses Opfer des NS-Terrors verlegt. Außerdem wurde der Wanderweg am Neuhöfer Teich nach Richard Minkwitz benannt.