Im Interview spricht Ina Schmidt über die Sinnfragen, über das ewige Zweifeln als Quelle des Glücks und die digitale Welt.
Hat Philosophie in der modernen, digitalen Welt noch etwas zu sagen? Was ist Philosophie überhaupt? Und denken Frauen und Männer anders über sich und das Leben? Das Abendblatt hat die Gründung des Philosophischen Frauensalons in Bargteheide (wir berichteten) zum Anlass genommen, mit der Reinbekerin Ina Schmidt zu sprechen. Sie bietet angewandte Philosophie und öffnet „Denkräume“ für jeden, der auf der Suche ist.
Hamburger Abendblatt : Viele denken bei Philosophie an Sokrates, der immerhin 456 Jahre vor Christus geboren wurde. Was hat das noch mit heute zu tun?
Ina Schmidt : Philosophie meint ihrer wörtlichen Bedeutung nach die „Liebe zur Weisheit“. Darin steckt die Idee, die Welt liebevoll zu betrachten und sie verstehen zu lernen, mit Hilfe des Denkens und beständigen Hinterfragens. Sie lehrt den Umgang mit den eigenen Gedanken, mit dem, was ich sage und wie ich handle. Und das kann auch heute sehr wohl weiterhelfen. Das Streben nach Weisheit bedeutet aber nicht, Recht haben zu wollen. Es ist der Versuch, zu verstehen, was das Wesentliche in der Vielfalt ist.
Was ist das Wesentliche?
Schmidt : Das, was vor unserem innern Auge aufsteigt. Woran ich mich erinnern oder worauf ich zurückblicken möchte. Es ist der Sinnkern, der sich für jeden anders gestaltet. Zum Beispiel über den Gedanken: Will ich eine gute Mutter sein, oder ist es okay, wenn sich jemand anders kümmert – und schließt das eine das andere überhaupt aus?
Spielt die Philosophie überhaupt eine Rolle in der digitalen Welt?
Schmidt : Ja. Unbedingt. Die Philosophie ist eine der zentralen Disziplinen, die uns bei der Suche nach Werten, Identität und auch beim Umgang mit Freiheit und Selbstbestimmung weiterhelfen kann. Dabei kann sie auf eine beeindruckende Tradition von rund 2500 Jahren zurückgreifen, die deutlich macht, dass wir in vielen Fragen des Menschseins keine dauerhaften Fortschritte erwarten dürfen, sondern immer wieder aufgerufen sind, einen Anfang zu machen.
Einen Anfang wozu?
Schmidt : Genau jenes Wesentliche herausfinden. Nur wenn das gelingt, stehen wir jeden Tag gern auf.Wir müssen schon deshalb immer wieder zweifeln, weil wir uns nicht allein auf Antworten verlassen können, die andere für uns finden.
Was würde Aristoteles dem Menschen von heute sagen?
Schmidt : Er würde sagen: Ein gutes Leben bedeutet nicht, ständig mit der neuesten Technik die Schnelligkeit des eigenen Lebens zu erhöhen und immer mehr in immer weniger Zeit zu leisten, sondern darin, „die Tätigkeit der Seele“ mit der eigenen Vortrefflichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Also die Orientierung am Guten mit der bestmöglichen Entfaltung der eigenen Fähigkeit zum Wohl der Gemeinschaft. Was für ein hohes Ziel!
Deutschland gilt als das Land der Dichter und Denker. Dass auch Frauen denken können, hatte sich lange nicht herumgesprochen.
Schmidt : Die Frauen hatten lange klar abgesteckte Bereiche. Und die waren auf Haus und Hof beschränkt. Mittlerweile können wir jeden Beruf wählen und studieren. Wir sind nicht mehr auf die Gehälter und das Wohlwollen der Männer angewiesen. Bis in die 70er-Jahre durften Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes kein Konto eröffnen! Trotzdem gibt es immer noch eine Schieflage. Auch in der Philosophie gibt es einen Männerüberhang, vor allem in den Spitzenpositionen. Wir müssen als Frauen mutiger werden – gerade im Umgang mit dem männlichen Denken.
Abendblatt: In Bargteheide wird bald der erste philosophische Salon in Stormarn geöffnet – nur für Frauen.
Schmidt : Mir macht es am meisten Spaß, in gemischten Runden über philosophische Themen nachzudenken. Es gibt Impulse und Möglichkeiten zum Austausch, die man im Alltag selten hat. Ich Da ist es fast schade, wenn die Gespräche geschlechterspezifisch getrennt bleiben. Allerdings kann ich mir aber vorstellen, dass es manchen Frauen leichter fällt, sich ohne Männer Themen zu widmen, die sie vielleicht als eher weiblich erleben.
Abendblatt: Gibt es weibliche Themen?
Schmidt : Ich denke, das sind Themen, die sich verstärkt um Sinnsuche drehen. Frauen geben sich weniger mit eindimensionalen Lebensentwürfen zufrieden. Sie drehen und wenden die Dinge und tun sich schwerer als viele Männer, den ersten Schritt zu machen – und mit der Tatsache zu leben, dass Freiheit immer ein Risiko ist. Und Verantwortung immer Teil gelebter Freiheit.
Abendblatt: Wie denken Frauen denn?
Schmidt : Es heißt, sie seien eher in der Lage emotionale Themen aufzugreifen. Dabei sind sie vermeintlich offener und denken mehr in die Breite. Leider verzetteln sie sich auch hin und wieder.und haben weniger Ausdauer, einen Gedanken zu Ende zu denken. Das liegt aber eher an den kulturellen Rollenbildern.
Und die Männer?
Schmidt : Sie erscheinen oft fokussierter, direkter, klarer, aber auch eingefahrener und schwerer für andere Standpunkte zu begeistern. Im besten Fall ergibt sich daraus die Herausforderung, selbst stärker deutlich zu machen, wofür man steht. Allerdings erlebe ich in meiner Arbeit viele Männer, die bereit sind, Denkgewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen – um sich dann auch mal zu verzetteln.
Sie philosophieren nicht in den Tag hinein, es ist Ihr Broterwerb.
Schmidt : Die Philosophie ist nie eine Tätigkeit, die man so in den Tag hinein laufen lassen kann. Es ist eine strenge und auch mühsame AngelegenheitSie aus der sich Fragen ableiten lassen, die eben auch in Seminaren oder Vorträgen bereichernd für Unternehmen und Privatpersonen sein können. Allerdings ist dieist auch keine Dienstleistung. Sie ist ein Anliegen. So suchen immer mehr Menschen Begleitung im Denken, für das Aufräumen im Kopf. Nicht mit fertigen Tools. Sie suchen Inspiration.
Wie funktioniert das?
Schmidt : Viele fragen sich: Soll das schon alles in meinem Leben gewesen sein? Ist meine Ehe wirklich gut? Wenn etwas was sie bereits durchdacht zu haben meinten, noch neu beleuchtet wurde, kann das als Inspiration wirken, für ie nächste Entscheidung oder ein Gespräch mit dem Partner oder dafür, die beste Freundin anzurufen. Das sind kleine Veränderungen, die in der Summe zu einem neuen Lebensgefühl beitragen.
Und was treibt Sie um?
Schmidt : Mich beschäftigt, was wir über die Welt sicher wissen, was wir glauben müssen und wie sich das zueinander verhält. Wie gehen wir mit einem Leben um, das wir nie bis ins Letzte verstehen werden und an dem wir so hängen und doch nicht wissen, ob es einen Sinn oder eine Ordnung hat. Ein Leben, das irgendwann genauso plötzlich endet, wie es angefangen hat? Mit Wandel und Unvollkommenheit zu leben, mit Sorgen oder Angst vor dem, was wir nicht erklären können – das wird mich nie loslassen.
Es geht darum, in all dem, was das Leben für uns bereithält, schwimmen zu lernen. Einfach zu springen und darauf zu vertrauen, dass es funktioniert, sich über Wasser zu halten. Auch wenn man nicht weiß, wo das nächste Ufer auftaucht. Als Nichtschwimmer ist das eine Katastrophe. Aber wer seine Kräfte kennt und an der Technik feilt, dem kann es richtig Spaß machen.
Hat Ihnen die Philosophie schon in einer Lebenskrise geholfen?
Schmidt : Ja. Und sie tut es jeden Tag aufs Neue. m Umgang mit meiner Familie, meinen Freunden.jeden Tag aufs Neue. Das Philosophieren wird zu einer Art Gewohnheit. die man nicht mehr ablegt. Es ist weniger ein Fundus, nach dem Motto: Nun lese ich mal nach, was Platon dazu gesagt hätte. Es ist ein bestimmter Blick, den ich auf mich und die Dinge zu richten versuche: :Es ist ein bestimmter Blick: , den ich auf die Dinge und mich selbst zu richten versuche:: , den ich auf die Dinge und mich selbst zu richten versuche:Es ist ein bestimmter Blick: , den ich auf die Dinge und mich selbst zu richten versuche:Es ist ein bestimmter Blick: , den ich auf die Dinge und mich selbst zu richten versuche:: , den ich auf die Dinge und mich selbst zu richten versuche: Wie kann ich einen Streit beenden? Wie kann ich für meine Werte einstehen? Was bedeutet es, die Verantwortung für meine drei Kinder zu tragen? Darüber denke ich nicht 24 Stunden nach, aberJede Alltäglichkeit kann Anlass für eine philosophische Idee werden. Das ist spannend und manchmal nervtötend. Aber ich möchte das nicht missen. Die Philosophie hilft mir, mich besser zu verstehen und dabei nicht ständig an mir oder den anderen herum zu ändern. Hegel hat gesagt, die Philosophie habe nichts Erbauliches. Sie kann tatsächlich ganz schön weh tun. Aber ohne sie als Methode sich in seinem Denken und Handeln besser zu verstehen,werden wir das Glück nicht finden, selbst wenn es vor uns steht.
s bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, am größten aber ist die Liebe.“ So steht es in der Bibel. Und die Philosophie?Welchen Platz hat die Philosophie in der christlichen Tradition?
Schmidt : Leider stehen sich Philosophen und Theologen oft sehr kritisch gegenüber. Das beständige Hinterfragen ist ja genau das, was im Glauben an einen Gott zu Ruhe kommen sollte. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten: das Vertrauen auf das Gute und der Wunsch, dass es dieses Gute sein möge, das unser Handeln leitet. Aber es gibt viel Gemeinsames. Die Philosophie ist eine ewige Zweiflerin, aber darin eröffnet sie letztlich einen Zugang zu einer Welt, in der wir am Ende auch nur glauben müssen, was wir zu wissen meinen. Um dann zu hoffen, dass wir uns der Weisheit ein Stück nähern und uns den liebevollen Blick auf diese gar nicht einfache Welt erhalten können.
Abendblatt: Was würde Aristoteles zum heutigen Zeitalter sagen?
Schmidt : Er würde sagen: Ein gutes Leben bedeutet eben nicht, ständig mit der neuesten Technik die Schnelligkeit des eigenen Lebens zu erhöhen und immer mehr in immer weniger Zeit zu leisten, sondern darin, „die Tätigkeit der Seele“ mit der eigenen Vortrefflichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Das eine hohe Kunst., Aber über das Ziel lohnt es sich, immer wieder aufs Neue nachzudenken.