Großhansdorf/Fogarasch. Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Ehrhardt Wagner von der Siebenbürgenhilfe, einer Organisation der Großhansdorfer Kirche.

Wenn eine Herde Wasserbüffel, Ziegen oder Schafe die Straße blockieren, dann ist das für Ehrhardt Wagner ein durchaus vertrauter Anblick. Und vor allem kein Problem „Dann wartet man halt“, sagt der Großhansdorfer. Mit dieser Art des Wartens hat der pensionierte Pharmareferent in seinem Leben einige Zeit verbracht.

Das liegt daran, dass Ehrhardt Wagner gern hilft: Seit nunmehr 25 Jahren fährt der 77-Jährige mit der Siebenbürgenhilfe, einer Organisation der Großhansdorfer Kirche, nach Rumänien. Und im zweitärmsten Land der Europäischen Union pflegen Tierherden gelegentlich Straßen zu blockieren – wenn sie zum Beispiel gerade auf dem Heimweg von der Weide zum Stall sind.

Die Hilfstransporte sind 2014 eingestellt worden

Das Abendblatt hat die jüngste Reise der Helfer begleitet und in den vergangenen Tagen mehrfach in loser Folge über die Aktivitäten der Stormarner berichtet. Zum Abschluss dieser kleinen Serie treffen wir Erhardt Wagner auf seiner Lieblingsbank. Die steht im Restaurant Casa Terra in Fofarasch.

Wagner erzählt, wie alles angefangen hat für ihn: „Meine Frau hat mich 1991 gefragt, ob ich nicht Lust hätte, einen Hilfstransport nach Fogarasch zu fahren.“ Er hatte Lust, und das hat sich bis heute nicht geändert. Ein- bis zweimal im Jahr fährt er in die rumänische Stadt in der Region Siebenbürgen (Transsilvanien). Mittlerweile ist er nicht mehr mit dem Transporter, sondern mit dem Auto unterwegs. Nachdem die Siebenbürgenhilfe und der befreundete Copilul-Verein aus Ahrensburg 2014 ihre umfangreichen Hilfstransporte eingestellt haben, vergewissern sich die Mitglieder vor Ort noch regelmäßig vom Fortgang der von ihnen angeschobenen Projekte – und packen dann nur noch vergleichsweise wenig Sachspenden in die Fahrzeuge.

Leitung der Siebenbürgenhilfe

Wagner leitet mit seiner Frau Gertrud, einer promovierten Ärztin, seit 2005 die Siebenbürgenhilfe und ist damit der zweite Mediziner im Team der Stormarner Rumänien-Helfer. So organisiert Wagner nicht nur Geldspenden für die Projekte, sondern auch Medikamente und medizinisches Zubehör. Die Spenden sind unter anderem für die Bewohner der Behindertenwohnanlage Canaan in der Nähe der Stadt Fogarasch bestimmt. „Ich habe auch vor einigen Jahren für eine rumänische Frau ein künstliches Hüftgelenk besorgt“, erzählt Wagner. Er lacht dabei – weil er sich bis heute über den bemerkenswerten Coup freuen kann.

Seine älteste Tochter gehört auch zu den Mitstreitern

„Meine Motivation ist der Wunsch zu helfen“, sagt Wagner über sein Engagement. Bei der Stange halte ihn auch nach einem Vierteljahrhundert die Erkenntnis, dass er und seine Mitstreiter schon mit Kleinigkeiten enorm helfen können. Zu seinen Mitstreitern gehört übrigens seit einigen Jahren auch seine älteste Tochter Stephanie.

Doch es dreht sich schon seit einiger Zeit nicht ausschließlich ums Helfen, wenn Ehrhardt Wagner sich für die 3528-Kilometer-Fahrt ins Auto setzt. „Es sind über die Zeit natürlich Freundschaften entstanden.“ Mit Freundin Christa Canamela telefoniert das Ehepaar Wagner wöchentlich.

Es sind Beziehungen auf Augenhöhe. „Rumänien hat sich in der Zeit ziemlich verändert, vieles ist besser geworden“, sagt Wagner. Doch auch im 25. Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei die Armut in dem Balkanstaat noch groß. Geschockt habe ihn das Land mit seiner Armut und den Relikten des Sozialismus’ aber nie. Das liegt an seiner eigenen Herkunft, meint Wagner.

1957: Flucht in den Westen

Ehrhardt Wagner ist in der DDR, genauer gesagt in Rostock, aufgewachsen. Nach seinem Abitur durfte er nicht studieren flüchtete deswegen 1957 in den Westen. „Meine Klassenkameraden und ich hatten Mist gebaut und wurden dabei von einem Parteifritzen gesehen“, sagt er und kann über die Anekdote ziemlich schmunzeln. Die jungen Männer hatten eine Schweigeminute gehalten und damit für die Deutsche Einheit demonstriert.

Keine Frage: Der Mann hat Mut. Er meint unterdessen: „Über die Regimekritik und ihre Folgen haben wir uns als junge Männer einfach kaum Gedanken gemacht.“ Er habe sich nach dem Abitur auf eine Lehrstelle in Ost-Berlin beworben – zum Schein. Statt zum Vorstellungsgespräch zu gehen, habe er sich über die Grenze gemacht.

Medizinstudium in Kiel

„Ich habe dann mein Abitur nachgeholt (das aus der DDR zählte im Westen nicht, Anm. der Redaktion) und in Hamburg und Kiel Medizin studiert“, sagt Wagner. So hat er auch seine Frau kennengelernt. Seit 52 Jahren ist das Paar verheiratet. Tochter Stephanie ist 52 Jahre alt, die jüngere Schwester Christiane ist 45 Jahre.

Überraschen, das kann das Balkanland den Rumänien-Kenner übrigens auch nach 25 Jahren noch – bei seiner letzten Reise mit einem nagelneuen Autobahnteilstück kurz hinter der Grenze zu Ungarn. „Das stimmt“, sagt Ehrhardt Wagner, lacht und freut sich, dass er in Zukunft einigen Schafsherden weniger begegnen wird.