Bad Oldesloe . Der schwere Luftangriff auf Bad Oldesloe am 24. April 1945 jährt sich in Kürze zum 70. Mal. Die Folgen sind bis heute zu spüren.
Der 24. April 1945 ist ein sonniger Frühlingstag. Das Kriegsende naht, ganz Bad Oldesloe ist voller Menschen. Viele Flüchtlinge und verwundete Soldaten aus dem Osten sammeln sich an diesem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Die 8000-Einwohner-Stadt ist mittlerweile auf etwa 15.000 Menschen angewachsen.
Um 10.25 Uhr ertönt Fliegeralarm. Doch nach Jahren des Krieges sind die Leute in Bad Oldesloe Tiefflieger gewöhnt, denn immer wieder sind die Bomber in Richtung Hamburg über sie hinweggezogen. Diese Flugzeuge aber nehmen Bad Oldesloe ins Visier. Um 10.36 Uhr beginnt einer der schwersten Luftangriffe dieses Krieges in Schleswig-Holstein. In mehreren Angriffswellen fallen mehr 1000 Bomben auf die Stadt. In Panik flüchten die Menschen in die Keller, retten sich in Erdbunker oder Splittergräben. Doch gerade die Splittergräben bieten oft kaum Schutz, und einen richtigen Bunker gibt es nicht in der Stadt. Wer von außerhalb gekommen ist, wirft sich daher einfach in die nächste Grube. In der Luft brummen die Flieger, am Boden dröhnen die Bomben, schreien die Verletzten und Sterbenden.
Am Oldesloer Bahnhof sind Hunderte von Menschen den offiziellen Anweisungen gefolgt und in eine Unterführung geflüchtet. Ein tödlicher Fehler, denn die Unterführung wird völlig zerstört. Die Bomben treffen den Bahnhof, das Krankenhaus, ein Hilfskrankenhaus, die Berufsschule. Der Stormarner Landrat Rolf Carls hat dort sein Büro. Er überlebt den Angriff nicht.
Mehr als 700 Menschen sterben, jedes zehnte Gebäude wird total zerstört
Mit ihm sterben an diesem Tag mehr als 700 Menschen. Jedes dritte Gebäude in Bad Oldesloe wird beschädigt, mehr als jedes zehnte total zerstört. Vor allem in Bahnhofsnähe werden viele Häuser getroffen. Bahnhofstraße, Brunnenstraße und Pölitzer Weg gleichen einem Trümmerhaufen. Es ist windig. Kräftige Böen lenken einige Bomben in Richtung des nahen Moorgebiets ab.
So stellt sich der Bombenangriff an jenem Dienstag im April 1945 in den umfangreichen Unterlagen des Stadtarchivs dar. „Mit diesem extrem schweren Angriff haben die Menschen nicht gerechnet“ sagt Sylvina Zander vom Stadtarchiv. Seit vielen Jahren erforscht sie das Thema. Sie hat mit Zeitzeugen gesprochen, Zeitzeugengespräche ausgewertet und die Ergebnisse in einer Broschüre zusammengetragen. Im Stadtarchiv lagern zudem viele papierne Zeugen der Ereignisse vom Frühling 1945.
Kirchenglocken läuten fünf Minuten
Eine wichtige Quelle sind beispielsweise die Dokumente des damaligen Oldesloer Bürgermeisters Friedrich-Wilhelm Kieling. Der schickt eilige Hilfstelegramme nach Hamburg und Lübeck, die Stadt kann nun jede Hilfe gebrauchen: Menschen müssen aus den Trümmern geborgen, Verwundete versorgt werden. Es fehlen Hilfskräfte und alle Arten von Werkzeug. „Die Leute haben mit bloßen Händen gegraben“, weiß Stadtarchivarin Zander aus Gesprächen zu berichten, die sie mit Zeitzeugen geführt hat.
Sie haben auch berichtet, dass sich die Versorgung der Überlebenden schnell zum Problem entwickelt, denn trotz der vielen Opfer platzt die Stadt aus allen Nähten. Der Wasserturm ist zerstört, und es gibt nicht einmal genug Brot in der Stadt. Aus Lübeck wird Wasser herbeigeschafft – eine logistische Herausforderung angesichts der zerstörten Bahngleise.
Der Bürgermeister lässt Zigaretten beschlagnahmen und ordert Rotwein
Bürgermeister Kieling weiß, dass er die wenigen Helfer bei Kräften und bei Laune halten muss. „Für meine Polizeibeamten, die zum grössten Teil fast drei Tage ununterbrochen im Dienst sind, erbitte ich eine grössere Rauchwarenzuteilung …. Ich habe mir ausserdem zwanzig Flaschen Rotwein bei der Firma Schlüter für Labung von geborgenen Verletzten, Sanitätsmannschaften usw. aushändigen lassen“, schreibt er zwei Tage nach dem Angriff an den Landwirtschaftsrat. Außerdem lässt Kieling Schaufeln, Fahrzeuge und Zigaretten beschlagnahmen.
In den anschließenden Tagen und Wochen setzt in Bad Oldesloe eine Stadtflucht ein. Wer kann, setzt sich zu Verwandten in die umliegenden Dörfer ab. Und während immer mehr Tote aus den Trümmern geholt werden, müssen der Bürgermeister und seine Mitarbeiter die Bestattungen organisieren und in den Wirren nach Kriegsende die Angehörigen der Verstorbenen ausfindig machen. Unter den Opfern sind schließlich viele Wehrmachtssoldaten und Wehrmachtshelferinnen von außerhalb. Laut Stadtarchivarin Zander werden bis in den Oktober hinein die letzten Opfer geborgen.
Auch über die privaten Erinnerungen und das öffentliche Gedenken hinaus beschäftigen die Folgen des Bombenangriffs die Oldesloer noch heute. Denn immer wieder tauchen im Stadtgebiet Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg auf. „Bad Oldesloe gehört zu den Angriffsschwerpunkten in Schleswig-Holstein“ urteilt Mark Wernicke vom Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein. „Die Stadt war gemessen an ihrer Größe unverhältnismäßig stark betroffen.“
Anhand von Luftbildern der Alliierten ermittelten die Spezialisten vom Kampfmittelräumdienst, dass an jenem Apriltag fast 600 Tonnen Bomben auf Bad Oldesloe niedergingen. In den beiden folgenden Nächten kamen noch einmal 100 Tonnen hinzu. Zahlreiche dieser Bomben sind nie explodiert. Die Stadt ist deshalb in der Kampfmittelverordnung des Landes erfasst: Bei Bauvorhaben muss der Kampfmittelräumdienst vor Baubeginn das Gebiet nach Hinweisen auf mögliche Blindgänger absuchen.