Immer wieder wird im Norden der Kampfmittelräumdienst zu Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg gerufen. Das 14-köpfige Spezialteam kümmert sich darum, die alten Bomben zu entschärfen.
Kreis Segeberg. „Schleswig-Holstein war Ende des Zweiten Weltkriegs Rückzugsgebiet der deutschen Wehrmacht und wurde damit auch stark bombardiert“, sagt Oliver Kinast, Leiter des Kampfmittelräumdienstes Schleswig-Holstein. In 168 Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein dürften Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg unter der Erde liegen.
Die Spezialisten des Kampfmittelräumdienstes werten Luftbilder der Alliierten aus und analysieren die geografischen Punkte, an denen die Kampfflugzeuge ihre explosive Last abgeworfen haben. Das Ergebnis der bisherigen Auswertungen ist eine Liste mit 168 Städten und Kommunen, die bombardiert wurden. Darunter sind auch die großen Städte und Gemeinden im Kreis Segeberg: Norderstedt, Henstedt-Ulzburg, Kaltenkirchen, Bad Bramstedt, Alveslohe, Großenaspe, Kisdorf, Nützen und Oersdorf.
„Die Alliierten haben vor den Angriffen Luftaufnahmen gemacht, um die Ziele festzulegen, und danach, um das Ergebnis festzuhalten“, sagt Stefan Jung, Sprecher des Landeskriminalamtes, das für den Kampfmittelräumdienst zuständig ist. Die Spezialisten gaben jetzt einen Einblick in ihre Arbeit. Die alten Fotos sind die Basis für die Arbeit der 14 Mitarbeiter, die die alten Dokumente auswerten und Bomben und Granaten entschärfen.
Im März förderten die Sprengstoffexperten aus Kiel in Rickling eine Panzerfaust, zwei Dutzend Handgranaten und 4500 Schuss Pistolen- und Gewehrmunition zu Tage – Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, die unter der Fahrbahn der Dorfstraße lagen. In Norderstedt war der Kampfmittelräumdienst vor drei Jahren aktiv: Ein Baggerfahrer hatte am Buschweg eine Granate freigelegt. Gefordert waren die Kampfmittelräumer Ende Juli in Hasloh. Eine britische Nebelhandgranate hatte zehn Menschen verletzt. Das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg wurde bei Bauarbeiten am Garstedter Weg gefunden und fing sofort an zu qualmen.
Alan Bock zeigt, wie er und seine Kollegen arbeiten. Die Landschaft auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme ähnelt einer Mondlandschaft – überall sind deutlich Krater zu erkennen. Doch auf dem Luftbild sind auch Häuser, Schienen und Bäume zu sehen. Es ist ein Foto von Bad Oldesloe vom 24. April 1945. Die Kreisstadt lag damals nach Bombenangriffen in Schutt und Asche. „Hier, solche Einschlaglöcher suchen wir“, sagt Bock und tippt auf einen kleinen Schatten auf der Schwarz-Weiß-Landschaft. „Bomben, die explodiert sind, haben Krater hinterlassen. Blindgänger nur kleine Löcher“, sagt der 34 Jahre alte Mitarbeiter.
„Wir gehen davon aus, dass zehn bis 15 Prozent der abgeworfenen Bomben Blindgänger waren, die müssen wir jetzt finden“, sagt Alan Bock. Hat er einen Punkt ausfindig gemacht, muss er erst mal herausfinden, wie das Gelände heute aussieht und wo genau die Bombe liegen könnte. „Das ist nicht immer einfach, weil sich die Landschaft natürlich stark verändert hat.“
Doch nicht immer verbirgt sich im Erdreich gleich eine Bombe. „Wir haben auch schon Metallfässer oder größere Motoren ausgegraben“, sagt Kinast. „Zunächst müssen wir bei Fliegerbomben gucken, was für ein Zünder angebracht ist.“ Bei einem Aufschlagzünder können sich die Experten Zeit lassen und eine Entschärfung in den kommenden Tagen planen. Eine Gefahr geht von diesen Sprengkörpern nicht aus, solange man sie nicht berührt oder versucht zu entschärfen. Anders bei einem Langzeitzünder. Dann muss alles schnell gehen. Denn solch eine Bombe könnte jederzeit explodieren. Der Sprengsatz explodiert nicht sofort beim Aufprall. Im Zünder steckt ein kleines Fläschchen mit Säure. Geht das Fläschchen beim Aufprall kaputt, frisst sich die Säure durch Plastikplättchen und löst damit den Sprengsatz aus.
„Bei solchen Blindgängern ist zwar das Fläschchen mit der Säure nicht kaputt gegangen, allerdings kann Plastik über Jahre porös werden, dann detoniert die Bombe“, sagt Kinast: „Etwa einmal pro Jahr geht in Deutschland solch eine Bombe plötzlich hoch.“ Fliegerbomben mit solchem Zünder versuchen die Experten kontrolliert zu sprengen. Ist das nicht möglich, gilt wie bei allen anderen Fliegerbomben auch: Zünder von Sprengstoff entfernen. „Oder umgekehrt. Lässt sich der Zünder nicht entfernen, müssen wir die Bombe aufsägen und den Sprengstoff, in der Regel TNT, rausholen“, so Kinast.
Die Entschärfung vor Ort macht entweder der Chef selbst oder sein Stellvertreter Georg Ocklenburg. Sie bestimmen, ob Bahnhöfe, Altenheime oder Häuser evakuiert, Bahnstrecken oder der Luftraum gesperrt werden. Eingeschaltet werden die Spezialisten immer bei Bauanträgen. Bevor eine Baugrube ausgehoben wird, muss der Kampfmittelräumdienst die Unbedenklichkeit bestätigen. „Anträge auf Luftbildauswertung sollten am besten gleich mit dem Bauantrag gestellt werden. Im Moment vergehen zwischen Antragstellung und Freigabe drei Monate“, sagt LKA-Sprecher Jung.
Wann die letzte Weltkriegsbombe in Schleswig-Holstein entschärft wird, kann Kinast nicht sagen. Er schätzt jedoch, dass es noch viele Jahrzehnte dauern wird. Zumal seine Kollegen von 150.000 Luftbildaufnahmen bisher erst 69.000 ausgewertet haben.