Bad Oldesloe. Knapp fünfzig Kreuze erinnern vor dem Jobcenter in Bad Oldesloe an die „Opfer der Agenda 2010“. Lena R. hatte zum Protest aufgerufen.

Es ist ein stiller Protest, zu dem Lena R. Initiativen aus Berlin, Potsdam und Hamburg nach Bad Oldesloe eingeladen hatte. Knapp 50 Kreuze habendie Aktivisten der Reihe nach auf dem Berliner Ring aufgestellt. „Als Hartz-IV-Empfänger an Unterernährung gestorben“, steht auf einem Kreuz: Todesdatum 11. April 2007 in Speyer. „Wenn Mitarbeiter aus dem Jobcenter aus dem Fenster schauen, dann sehen sie die Kreuze“, sagt Michael Fielsch, einer der Aktivisten.

Wie berichtet, sind Lena R. seit Mai vergangenen Jahres etappenweise Leitungen gekürzt worden. Seit Februar 2015 bekommt sie keinen Cent mehr. Schuld ist ein fiktives Einkommen, das ein Mitarbeiter der Behörde für sie berechnet hat. „Ich habe nur dank meiner Freunde überlebt“, sagt Lena R., die beschlossen hatte, ihre Tätigkeit im Rotlicht-Mileu aufzugeben. 18 Euro habe sie zuletzt von ihrem Regelsatz zum Leben übrig gehabt. „Ich musste auch noch eine Mietdifferenz ausgleichen, weil ich in Bad Oldesloe keine kleinere Wohnung gefunden habe.“ Dann habe das Jobcenter Erklärung gefordert: Von welchem Geld hat sie überlebt? „Durch meine Freunde“, habe sie geantwortet, sagt die gebürtige Ukrainerin. Dann sollte sie Beweise liefern.

„Ich musste offenlegen, bei welchen Freunden ich wann und wo zu Besuch war, also Namen und Adressen“, erzählt Lena R. „Das sind persönliche Daten, die ich nicht herausgeben wollte.“ Zur Kalkulierung wollte man außerdem noch wissen, was bei den Freunden auf den Tisch gekommen ist, so Lena R.: „Ich sollte einschätzen, was das gekostet hat.“ Das sei „unter der Menschenwürde“, so die 35-Jährige: „Ich habe nichts vorgelegt.“ Auf die Aktivisten aufmerksam geworden ist auch Jean Marie Ivarsson. Vor 20 Jahren kam die gebürtige Jamaikanerin für eine Hochzeit nach Bad Odlesloe. Bis 2011 hat sie für verschiedene Firmen geputzt. An diesem Tag muss sie einen Antrag auf Befreiung vom Rundfunkbeitrag beim Jobcenter einreichen. „Mir droht eine Kürzung“, sagt die 58-Jährige, „man sagt mir, dass ich Arbeit suchen soll – aber wer würde mich nehmen?“ Außerdem sei sie seit 2011 krankgeschrieben, leide an Rheuma und nehme Herz- und Blutdruck-Medikamente. „Ich wohne in einer Bruchbude, die Heizung funktioniert nicht.“ Mitleid habe man beim Amt nicht – „die machen nur ihre Arbeit.“

Ein weiteres Problem: Ivarsson spricht zwar ganz gut Deutsch, alle Dokumente verstehe sie jedoch nicht. „Manche ja, manche nein“, sagt Ivarsson. „Ihnen steht ein Dolmetscher zu“, sagt Jürgen Weber vom Verein „Hartz IV Betroffene“, der während der Kundgebung zu Problemfällen berät. Ivarsson schüttelt den Kopf. „Theoretisch“, murmelt sie.