Kirche erinnert an Arthur Goldschmidt. Er war im Konzentrationslager – und engagierte sich wieder in seiner Heimatstadt
Reinbek . Fünf Jahre lang liegt ein kleiner Zettel auf dem Schreibtisch des Reinbekers Dr. Ulrich Fritz. Darauf eine Adresse in Frankreich. Der 53 Jahre alte Arzt hütet das Blatt Papier wie einen kleinen Schatz. „Mein verstorbener Freund Alfred Schulz übergab ihn mir kurz vor seinem Tod. Er sagte: ‚Ihr müsst euch unbedingt darum kümmern, dass das mit Goldschmidt in Ordnung kommt‘“, sagt Fritz. Anfang dieses Jahres nimmt er endlich Kontakt auf zu dem deutsch-französischen Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt.
Der 86-Jährige entstammt einer Reinbeker Familie. „Sein Vater war der Nachfahre einer konvertierten jüdischen Familie“, sagt Fritz. „Er sah sich als Deutscher durch und durch, gehörte der evangelischen Kirche an. Er war für den Kaiser in den Krieg gezogen – und dann durfte er plötzlich kein Deutscher mehr sein.“ 1933 wird der Oberlandesgerichtsrat Dr. Arthur Goldschmidt von den Nazis in den Zwangs-Ruhestand versetzt. Im Februar 1942 wird die Familie von der Kirche ausgeschlossen. Kurz darauf weigert sich der Reinbeker Pastor, Goldschmidts verstorbene Frau Kitty zu begraben, weil sie eine „nichtarische Christin“ gewesen sei. Die beiden Söhne leben da schon im Exil, erst in Italien, später in Frankreich. Die wesentlich ältere Schwester, bereits verheiratet, war nach Prag und später nach Belgien geflohen.
Einen Monat später wird Goldschmidt ins KZ Theresienstadt deportiert. Der Mann ist tiefgläubig und gründet die evangelische Lagergemeinde Theresienstadt. Trotz hoher Sterblichkeit und ständiger Transporte nach Auschwitz wächst sie auf 800 Mitglieder an. Zudem ist Goldschmidt ein begabter Zeichner und dokumentiert das Lagerleben in zahlreichen Kohlezeichnungen. Der Reinbeker überlebt das KZ und kehrt, zum völligen Unverständnis seiner Söhne, in seine Heimat zurück.
Fritz: „Das muss man sich einmal vorstellen: Obwohl er solche Gräueltaten erlebt hat, kehrt er in das Land der Mörder zurück. ‚Die wollten mich umbringen, und ich gehe trotzdem zurück.’“ Goldschmidt habe Anstand, Moral und Ethik in Deutschland wiederherstellen wollen. „Der Mann hatte ein Anliegen“, sagt Fritz. „Es musste einfach weitergehen.“ In Reinbek war Goldschmidt nach dem Krieg Mitbegründer des Ortsvereins der CDU und der Volkshochschule. Bei der Einweihung hielt Goldschmidt die Eröffnungsrede, brach währenddessen zusammen und starb.
Die nach Frankreich emigrierten Söhne haben ihren Vater nie wieder gesehen. Der Ältere, Erich, wurde in Frankreich Offizier und starb 2010 in Draguignan. Er hatte sich stets geweigert, nach Deutschland zurückzukehren. Die Tochter Ilse-Maria starb 1967. Sie war zunächst mit ihrem Mann, dem Philosophen Ludwig Landgrebe, ausgewandert und kam noch während des Krieges nach Reinbek zurück. „Das Haus der Familie Goldschmidt wurde damals arisiert“, sagt Fritz. „Damit sie trotzdem in Reinbek leben konnte, hatte der Nachbar das Haus der Goldschmidts gekauft und Ilse-Maria eine Wohnung zur Verfügung gestellt.“
Der Schriftsteller Georges-Arthur, der ursprünglich Jürgen-Arthur hieß, lebt bis heute mit seiner Familie in Paris. Er gehört zu den führenden Schriftstellern der deutschen wie der französischen Sprache. In seinen größtenteils autobiografischen Büchern erzählt er von den Qualen seiner Kindheit und der Vertreibung aus der Heimat. Seit 2009 ist er Ehrenbürger von Reinbek.
„Bis Anfang der 90er war diese Geschichte kaum jemanden bekannt“, sagt Fritz. „Erst, als sich einzelne Interessierte um eine Kontaktaufnahme mit dem Sohn, Georges-Arthur Goldschmidt, bemühten, begann eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Familie. Doch dann kam es zu einem schwerwiegenden Missverständnis: Goldschmidt hatte der Kirchengemeinde in Reinbek Kohlezeichnungen seines Vaters aus der Zeit in Theresienstadt zur Verwahrung angeboten. „Doch die Gemeinde nahm das Angebot nicht an. Warum, kann heute keiner mehr nachvollziehen.“ Dies habe Goldschmidt offenbar als abermalige Ausgrenzung verstanden. Er schrieb der Gemeinde, er sei entsetzt darüber, dass man die Bilder nicht wolle, und zog sich zurück.
Ulrich Fritz hat das Schicksal der Familie Goldschmidt nie vergessen: „Ich hatte ja jeden Tag den Notizzettel vor Augen und die mahnenden Worte meines verstorbenen Freundes.“ Im Januar fasst er sich ein Herz und wagt eine erneute Kontaktaufnahme zu Goldschmidt. „Als Mitglied des Reinbeker Kirchengemeinderates wollte ich mit ihm ein gemeinsames Gedenken auf den Weg bringen“, sagt Fritz.
Sein Anliegen hatte Erfolg: Zum Volkstrauertag am Sonntag wird es in der Maria-Magdalenen-Kirche um 17 Uhr eine Feierstunde geben, bei der eine eigens angefertigte Gedenktafel eingeweiht wird. Der Schauspieler Sebastian Dunkelberg liest aus den Werken von Georges-Arthur Goldschmidt.
Feierstunde zum Gedenken an Dr. Arthur Goldschmidt: Sonntag, 16. November, Maria-Magdalenen-Kirche, Reinbek, Beginn: 17 Uhr