Probleme bestehen vor allem bei komplexen Verkehrssituationen. Auch ihre schwindende körperliche und geistige Fitness kann zum Nachteil werden – insbesondere, wenn Medikamente im Spiel sind.
Ahrensburg. Ein vier Jahre altes Kind wird von einem Auto angefahren und einige Meter mitgeschleift. Am Steuer: ein 86 Jahre alter Mann, der von einem Parkplatz kommt und den Jungen übersieht. Das Kind erleidet schwere Kopfverletzungen. Später sagt der Senior, Medikamente genommen zu haben. Dieser Unfall Mitte Oktober in Ahrensburg hat erneut die Frage aufgeworfen, ob ältere Autofahrer ein Sicherheitsrisiko sind.
Das Statistische Bundesamt hat alle Unfälle im Jahr 2013 untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Autofahrer ab 65 an 11,8 Prozent aller Unfälle beteiligt waren, bei denen Menschen zu Schaden gekommen sind. Im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil (20 Prozent) haben Senioren damit eine unterdurchschnittliche Unfallbeteiligung. Das Statistikamt betont aber, dass sich daraus nicht ableiten ließe, dass ältere Fahrer die sichereren sind. Die geringere Unfallbeteiligung spiegele in weiten Teilen im Unterschied zu jüngeren Fahrern die seltenere Teilnahme am Verkehr wider.
Ältere Autofahrer haben mehr Probleme mit komplexen Situationen
Die Polizei in Stormarn beobachtet, dass das Risiko, einen Unfall zu verursachen, mit dem Alter signifikant ansteigt. Vergangenes Jahr waren Autofahrer im Alter zwischen 65 und 69 an 110 Unfällen beteiligt. 50 (45,6 Prozent) davon hatten sie selbst verursacht. 70 bis 74-Jährige waren an 129 Unfällen beteiligt. Bei 65 waren sie die Verursacher (50,3 Prozent). Menschen über 75 Jahre waren mit 97 von 124 Zusammenstößen für 78,2 Prozent der Unfälle verantwortlich. Deswegen spricht die Polizei von der „Risikogruppe 75plus“.
Jochen Schnack, Chef der DEKRA in Lübeck, kennt die Unfallschwerpunkte bei älteren Autofahrern. Seine Mitarbeiter untersuchen ab der Hamburger Grenze bis nach Fehmarn alle schweren Unfälle und versuchen, diese zu rekonstruieren. „Senioren haben eher Probleme bei komplexen Situationen“, sagt Schnack. „Bei schweren Unfällen, die auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen sind, spielen ältere Fahrer keine Rolle“, so Schnack.
Laut Statistischem Bundesamt waren 2013 bei den über 65-Jährigen Vorfahrtsfehler mit 17,4 Prozent die häufigste Unfallursache. Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren sowie Anfahren liegen mit 16,7 Prozent dahinter. Diese Ursachen werden Senioren wesentlich häufiger angelastet als jüngeren Fahrern. Grund dafür seien altersbedingte Einschränkungen.
„Allerdings kann man nicht alle Fahrer über 65 Jahre über einen Kamm scheren“, sagt Jochen Schnack: „Es gibt 75-Jährige, die brauchen einen Rollator, andere im gleichen Alter sind noch fit und machen Sport.“ Ferner beobachtet Schnack, der auch Vorsitzender der Verkehrswacht in Lübeck ist, dass Senioren manchmal bessere Reaktionszeiten als junge Autofahrer haben. „Das haben wir im Simulator festgestellt. Es liegt am limbischen System im Gehirn“, sagt Schnack. Allgemein lasse aber die körperliche Fitness nach. Beispielsweise sei der Schulterblick oft nur eingeschränkt möglich. Kay-Uwe Güsmer, Verkehrsexperte bei der Polizeidirektion in Ratzeburg, sagt: „Auch das Sehvermögen lässt nach. 60-Jährige brauchen sechs Mal so viel Licht wie 20-Jährige.“
Was passieren kann, wenn die Sehfähigkeit nachlässt, zeigt ein tödlicher Unfall in Witzhave. Ein 70 Jahre alter Autofahrer wollte im Sommer 2009 von der Möllner Landstraße auf sein Grundstück abbiegen. Zu diesem Zeitpunkt dämmerte es schon, und leichter Niesel fiel. Obwohl der Rentner eigenen Aussagen zufolge auf den Gegenverkehr geachtet habe, sah er dort niemanden. Beim Abbiegen stieß er mit einem Motorradfahrer zusammen, der am Unfallort starb. Ein DEKRA-Gutachter stellte später fest, dass der Kradfahrer, 28, das Licht an hatte und gut zu sehen gewesen sein muss.
Kreis zog dieses Jahr den Führerschein von elf älteren Autofahrern ein
Auch Medikamente können die Sehfähigkeit beeinträchtigen und die Reaktionszeit deutlich verlängern. „Starke Schmerzmittel wirken wie Drogen“, sagt Güsmer und fügt hinzu: „Von den etwa 16.000 Medikamenten in Deutschland können 60 Prozent die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen.“ Fallen der Polizei Autofahrer mit Ausfallerscheinungen auf, meldet sie es der Straßenbehörde. „In der Regel sind dies ältere Menschen“, sagt Güsmer. 90 Prozent dieser Anzeigen erfolgen nach Unfällen.
Die Verkehrsaufsicht beim Kreis Stormarn prüft anschließend die Fahrtauglichkeit. „Es erfolgt eine körperliche, geistige und charakterliche Untersuchung“, sagt Fachdienstleiter Dirk Willhoeft. Dieses Jahr ist nach solch einer Untersuchung schon elf Autofahrern, die älter als 60 Jahre waren, der Führerschein entzogen worden.
Damit es nicht soweit kommt, appelliert Kay-Uwe Güsmer an ältere Autofahrer, freiwillig regelmäßig einen Gesundheitscheck zu machen. „Beispielsweise beim Augenarzt kontrollieren lassen, ob die Brille noch die richtige Sehstärke hat.“ Ferner rät er allen Fahrern, die Medikamente nehmen, sich den Beipackzettel gründlich durchzulesen. „Dort gibt es die Rubrik Verkehrssicherheit“, sagt Güsmer. Auch rät er allen Senioren, die sich bei komplexen Situationen schnell überfordert fühlen, nicht unbedingt zur Hauptverkehrszeit zu fahren.
Jochen Schnack ergänzt, dass auch bei Nachtblindheit das Auto stehen gelassen werden sollte. Damit appellieren die Verkehrsexperten an die Vernunft der Autofahrer, insbesondere, wenn sie selbst erhebliche Defizite feststellen: Menschen, die es körperlich und geistig nicht mehr schaffen, sicher Auto zu fahren, müssten sich dies eingestehen und den Führerschein abgeben. Dieses Jahr kamen acht Senioren zur Zulassungsstelle in Bad Oldesloe und gaben ihre Berechtigung zurück.
Befolgen Autofahrer die Ratschläge, könnten Unfälle, wie der in Ahrensburg vor wenigen Wochen, vielleicht verhindert werden. Nach Abendblatt-Information soll des dem vier Jahre alten Jungen wieder besser gehen. Es heißt, er habe sehr viel Glück gehabt.