Zahl der Flüchtlinge erreicht einen Stand wie zuletzt in den 90er-Jahren. In Stormarn kümmern sich viele Ehrenamtliche um die Neuankömmlinge. Der Kreis unterstützt sie bald dabei.
Ammersbek. Die Herren Aryubi und NoorAgha stecken die Köpfe zusammen – über einem Haufen Spielzeuggeld. Die Stirn haben die Männer in Falten gelegt. Sie gestikulieren, debattieren und rechnen. Ein Grund zur Besorgnis ist ihr Verhalten nicht. Tatsächlich sind solche oder ähnliche Szenen im Dorfgemeinschaftshaus der Gemeinde Ammersbek derzeit häufiger zu beobachten. Sie sind Teil eines Sprachkursus’, der zweimal in der Woche vom Freundeskreis für Flüchtlinge organisiert wird. Es ist eines der vielen Angebote für Flüchtlinge von Ehrenamtlern, die es mittlerweile in den vielen Stormarner Städten und Gemeinden gibt.
Der Grund ist der steigende Zustrom von Flüchtlingen aus den Krisengebieten dieser Welt. Waren es im September des vergangenen Jahres noch 512 Männer, Frauen und Kinder in Not, die in den Kommunen des Kreises eine neue Bleibe gefunden hatten, so leben nach der jüngsten Zählung – Stand September 2014 – 848 Flüchtlinge in Stormarn. Tendenz steigend. Vergleichbare Zahlen gab es zuletzt in den 90er-Jahren. Die meisten Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan und Serbien.
Auf dem Lehrplan steht alles, was im Alltag hilft
„237 Euro“, sagt Sayed NoorAgha mit Nachdruck. Dabei wirft er einige Scheine und Münzen aus Papier auf den Tisch und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Richtig, sehr gut“, sagt Christiane Zornbach, lächelt und ist aufrichtig stolz auf ihren Schüler. Und wer selbst eine Fremdsprache gelernt hat, der weiß: Zahlen haben es in sich.
Im Frühjahr war Christiane Zornbach eines der Gründungsmitglieder des Freundeskreises für Flüchtlinge. „Als immer mehr über die Flüchtlingswelle berichtet wurde, habe ich beschlossen zu helfen. Und als Hausfrau habe ich die Zeit.“ Zusammen mit der Lehrerin Jutta Hofmann betreut sie 15Deutschschüler. Mehr als 65 Mitglieder hat der Freundeskreis in Ammersbek mittlerweile, 15 von ihnen arbeiten aktiv mit.
Sein oder haben, das fragt sich gerade Oveis Mahboob. Er soll einen Satz im Perfekt bilden und entscheidet sich richtig: „Ich habe ein Kilo Tomaten gekauft“ sagt er. Das hat natürlich System: „Das Hilfsverb sein wird bei Verben, die eine Bewegung andeuten, benutzt, etwa bei ‚Ich bin gelaufen‘“, erklärt Zornbach und sagt, „haben“ sei für den Rest. „Wir wiederholen viel“, sagt Zornbach über den Lehrplan. Unterrichtet werden in erster Linie Dinge, die die Flüchtlinge im Alltag brauchen: Uhrzeitangaben verstehen, Buchstabieren von komplizierten Wörtern, Phrasen für den Einkauf, die Wohnungsbesichtigung, den Gang zum Amt sowie natürlich alles rund um den Euro.
Bevor der Alltag ihrer Schüler in deren Heimat zu einer unerträglichen, oft lebensbedrohlichen Angelegenheit geworden ist, da standen die meisten mitten im Leben. „Es ist der Mittelstand, der hierher kommt“, sagt Angelika Schmidt vom Freundeskreis , „die anderen schaffen es gar nicht.“ Das liege auch daran, dass immer noch Schleuser ihr Geld damit verdienten, den Menschen ins Ausland zu helfen. Auch in der Ammersbeker Deutschstunde sitzen studierte IT-Spezialisten und Techniker, ein Schuhfabrikant, ein Devisenhändler. „Alles furchtbar nette Menschen, offen, hilfsbereit und dankbar“, sagt Christiane Zornbach.
Obwohl sie zu Hause alles haben aufgeben müssen: Den meisten Flüchtlingen gefällt es in der rund 9700 Einwohner zählenden Gemeinde Ammersbek. Auch Sameer Aryubi. Das Papiergeld hat er beiseite geschoben und parliert nun mit „Frau Lehrerin“. „Ich wohne in Ammersbek“, antwortet er auf ihre Frage. Ob es ihm gefalle? „Ja, sagt er daraufhin, nickt und fügt hinzu: „Aber das Wetter, na ja …“
Kreis Stormarn will die ehrenamtlich Tätigen unterstützen
Bald sollen die Flüchtlinge und die vielen, vielen Ehrenamtler in Stormarn Unterstützung vom Kreis bekommen. Den sperrigen Namen „Konzept zur Entlastung der Kommunen bei der (Erst-)Aufnahme von Asylsuchenden und Flüchtlingen im Kreis Stormarn“ hat die praktische Hilfe bekommen (wir berichteten). Sie sieht vor, dass drei Sprach- und Kulturmittler eingestellt werden sollen, die die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft beraten und Fragen beantworten. „Organisation des Willkommens in der aufnehmenden Kommune“ heißt die Idee. Zum anderen soll ein Leitfaden mit praktischen Hilfen für die Ehrenamtler erstellt werden. Ein Sozialpädagoge soll zudem eingestellt werden, um den Freundeskreisen beim Netzwerken zu helfen. 95.000 Euro hat der Kreis für die Erarbeitung des Konzepts eingeplant.
Margot Sinning (SPD) ist Kreistagsabgeordnete und leitet den Ausschuss für Soziales und Gesundheit. Sie sagt: „Der Kreis hat sich für einen Projektentwickler entschieden. Wir hoffen, dass die Arbeit an dem Konzept im Dezember beginnen kann.“
Angelika Schmidt freut sich über die geplante Hilfe vom Kreis. Die Angebote des Freundeskreises sollen weiterhin Bestand haben. „Für die Flüchtlinge, die nicht arbeiten dürfen, ist es wichtig“, sagt sie, „denen fällt sonst die Decke auf den Kopf.“ Und den Ehrenamtlern würde mittlerweile sicher einiges fehlen, gäbe es den Kontakt nicht. Allein schon, wie Deutschschülerin Bazire Tadschik „Tschüs“ flötet – mit Betonung auf dem sehr, sehr langen Ü.