Kirchenleitung stellt sich den Fragen der Ahrensburger Gemeinde zum Missbrauchsbericht. Doch das Misstrauen bleibt, eine neutrale Person fehlt. Es ist ein Vermittlungsversuch ohne Vermittler.
Ahrensburg. Die Anspannung im Kirchenschiff ist spürbar. Die Luft scheint zu knistern. Um 19 Uhr verstummt das Gemurmel, als Wolfgang Främke, Sprecher des Kirchenkreises Hamburg-Ost, aufsteht und den „freien Diskussionsraum“ eröffnet. Rund 150 Menschen sind in die Ahrensburger Schlosskirche gekommen, wo Propst Hans-Jürgen Buhl und Pröpstin Ulrike Murmann den Gästen Frage und Antwort zu dem am Dienstag veröffentlichten Bericht über den Missbrauchsskandal stehen.
Der Abend gliedert sich in vier Themenbereiche, die Buhl vorstellt. Nach jedem Themenblock haben die Anwesenden die Gelegenheit, Fragen zu stellen. „Es gibt keine endgültigen Wahrheiten“, stellt Buhl zunächst resigniert fest. „Das deckt der Bericht auf und das ist schmerzlich.“ Viele der Zuhörer machen sich Notizen, hören angestrengt zu, scheinen auf jedes Wort genau zu achten. Propst und Pröpstin wirken angespannt. Während Buhl redet, blickt Murmann stumm auf den Tisch vor sich. Eine Frage, die wütend gestellt wird, lautet: „Warum ist kein Mitglied der Kommission anwesend? Warum werden wir von der Propstei, die selbst beteiligt war, informiert?“
Die Frage kommt bei vielen Besuchern gut an, sie nicken zustimmend. Zumal eine der Empfehlungen, die die unabhängige Kommission in dem Bericht gibt, vorsieht, dass bei solchen Veranstaltungen immer eine neutrale Person anwesend sein soll. Främke antwortet, dass der Termin zu kurzfristig gewesen sei, sodass keiner der Kommission kommen konnte. Man werde sich aber auf Wunsch um eine ähnliche Veranstaltung mit Beteiligung eines Kommissionsmitglieds bemühen.
Im zweiten Themenblock geht es direkt um die Missbrauchsfälle und das Versagen der Kirche. „Denkunmöglich“ hat die Kommission dieses Thema betitelt. „Es ist in der Tat denkunmöglich, dass so etwas passiert“, sagt Buhl. „Das Schlimmste für uns ist der Vorwurf, die Opfer nicht ernst genommen zu haben.“ Die Kirche habe sich in erster Linie darum gekümmert, ihren Ruf zu wahren, und nicht um die Betroffenen.
Die Meinungen in der Kirche gehen teils sehr weit auseinander
Die Stimmung in der Kirche wird immer geladener, einzelne Fragen und Äußerungen ernten Applaus. Teilweise sehr gegensätzliche Meinungen werden geäußert. Eine Dame betont die persönliche Seelsorgepflicht der gesamten Gemeinde, sagt, dass die gesamte Gemeinde versagt habe und in der Pflicht sei, nimmt die Pastoren in Schutz. Eine andere Teilnehmerin hingegen prangert die massiven Anfechtungen an, die die Opfer von allen Seiten, besonders vonseiten der Kirche und der Pastoren erleiden mussten. „Die Kirche wollte verhindern, dass das in die Öffentlichkeit gerät“, sagt sie. „Ich bin froh, dass Anselm Kohn sich trotzdem getraut hat.“ Die Aussage erntet ebenso Applaus wie diese: „Das Gut-sein-Wollen der Kirche ist geschönt. Sie will nur die Institution schützen. Mein Vertrauensverlust ist nicht mit einer Diskussion aus der Welt zu schaffen.“ Buhl betont mehrfach, dass die Kirche aus dem Bericht lernen wolle, dass man auf dem Weg sei.
Im dritten Themenblock befasst er sich mit einigen konkreten Empfehlungen für die Kinder- und Jugendarbeit. „Manche der Empfehlungen sind selbstverständlich, dachte ich“, sagt er. Sie lauten unter anderem: kein Alkohol, kein Sex und kein Übernachten im selben Zelt mit Jugendlichen. „Wir als Kirche haben nicht genau hingeschaut“, gibt der Propst zu.
Der Vater einer Betroffenen sagt: „Ich bin damals zum Pastor gegangen und habe ihn auf den Alkoholkonsum angesprochen. Er wollte das regeln. Es wurde nichts getan.“ Sehr bewegend wird es, als sich eine Betroffene unter Tränen und mit zitternder Stimme zu Wort meldet. „Ich habe Alkohol bekommen und kenne Missbrauchsopfer“, sagt sie. „Ich habe mich als 15-Jährige in die Klasse gestellt und das angesprochen. Ich habe keine Hilfe bekommen.“ Sie findet es verlogen, dass nun alles als „denkunmöglich“ dargestellt werde. „Es war bekannt“, sagt sie. Dann setzt sie sich weinend hin.
Um 20 Uhr ergreift Pröpstin Murmann das Wort: „Ich habe Respekt davor, dass Sie das gesagt haben. Aber wir können nicht in der Vergangenheit bleiben.“ Man müsse stattdessen den Weg fortsetzen und nach vorn schauen. Eine Dame steht sichtlich erregt auf. „Es waren zwei Pastoren. Hätte einer den Mut gehabt, gegen den anderen vorzugehen, wäre vielen Kindern Leid erspart geblieben“, sagt sie und verlässt die Kirche. Die Stimmung im Raum brodelt. Sie ist eine Mischung aus Betroffenheit, Erschütterung, Empörung und Wut.
Nach Buhls Ausführungen zu der Traumatisierung der gesamten Gemeinde und Pastoren, die zur Entstehung vieler innerkirchlicher Krisenherde geführt habe, sagt er: „Die Kommission empfiehlt, das komplette Pastorenteam auszuwechseln. Applaus brandet auf. Aber sofort meldet sich eine Dame zu Wort, die fragt, ob dann nicht die gesamte Gemeinde ausgewechselt werden müsse. „Auf die Pastoren wurde eingepeitscht“, sagt sie. Sie findet es nicht richtig, „dieses arme, kaputte Team jetzt wegzuschicken.“
Ein Mann hingegen ist der Meinung, dass der Grund für die Traumatisierung in einem „Keil zwischen dem Pastorenteam und der Gemeinde“ liege. „Die Pastoren sind zu Gesprächen nicht bereit“, gibt ihm eine anderer Herr recht.
Am Ende kommt Buhl auf einen Neuanfang zu sprechen und schlägt einen „Waffenstillstand“ zwischen den vielen zerstrittenen Gruppen in der Kirche vor. Nicht nur der Missbrauchsskandal, sondern auch die Debatte um die St. Johanneskirche hatte für Unruhe in der Ahrensburger Kirchengemeinde gesorgt. Ein Mann fasst zusammen: „Wir müssen alle mitarbeiten.“