In Glinde, Bad Oldesloe und Reinfeld ist der Anteil besonders hoch. Kinderschutzbund Stormarn präsentiert den zweiten Armutsatlas und stellt Fähnchen für jedes betroffene Kind vor dem Ahrensburger Schloss auf.
Ahrensburg. Jedes sechste Kind in Stormarn ist arm. Das macht im Kreis 6500 Minderjährige, für die Musikunterricht oder die Mitgliedschaft im Sportverein meist unerfüllte Wünsche bleiben; für die der Freibadbesuch oder die Kugel Eis echter Luxus sind. Das hat eine Auswertung des Stormarner Kreisverbandes des Deutschen Kinderschutzbunds (DKSB) ergeben, die nun im zweiten Armutsatlas des Vereins nachzulesen ist.
Der DKSB präsentierte nicht nur das neue Zahlenwerk. Mitarbeiter des Kinderhauses Blauer Elefant steckten zum Weltkindertag am Sonnabend für jedes der 6500 Kinder ein blaues Fähnchen in die Wiese vor dem Ahrensburger Schloss. DKSB-Geschäftsführer Ingo Loeding: „Den Standort haben wir bewusst gewählt, um die Diskrepanz zwischen Reichtum und Armut in Stormarn zu symbolisieren und möglichst viele Stormarner auf das Problem aufmerksam zu machen.“
Denn dass diese Diskrepanz überhaupt wahrgenommen werde, sei in einem vergleichsweise reichen Kreis das Problem. „Das Thema muss in der Öffentlichkeit, vor allem von der Politik und den Verwaltungen der Städte und Gemeinden, viel häufiger besprochen werden“, sagt Loeding.
In Reinbek reagierte bereits der Sozialverband auf die neuen Zahlen: Vor dem Schloss steckten Mitglieder 280 Fähnchen für die armen Kinder der Stadt in den Rasen.
Die Folgen der Armut seien gravierend. Die Betroffenen lebten oft zwangsweise ungesünder, würden ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben und blieben auch beim Thema Bildung auf der Strecke, sagt Birgitt Zabel, Vorsitzende des DSKB Stormarn. „Armut bedeutet vor allem bei Kindern, weniger Chancen auf ein gutes Leben zu haben“, sagt sie.
Besonders hoch ist der Prozentsatz armer Kinder in Glinde und in Bad Oldesloe, aber auch in Reinfeld und Klein Wesenberg. Jedes fünfte Kind stuft der DKSB in diesen Kommunen als arm ein. Dazu zählen Minderjährige, die von Hartz IV leben – das ist jedes zwölfte Kind in Stormarn – sowie diejenigen, deren Eltern Zuzahlungen wie Wohngeld brauchen, um finanziell über die Runden zu kommen.
Die Leistungen vom Staat reichen laut Kinderschutzbund oft nicht aus. „Bei manchen Familien ist zum Ende des Monats manchmal nicht mehr Geld für Lebensmittel vorhanden“, sagt Ingo Loeding. Wenn die Eltern nicht mehr weiterwissen, können sie Unterstützung aus dem Familienhilfe-Notfonds beim Kinderschutzbund beantragen. 40.000 Euro wurden im vergangenen Jahr ausgegeben.
„Das liegt auch daran, dass die Hartz-IV-Zahlungen für Kinder nicht ausreichend sind“, sagt Loeding. Einem Kind unter sechs Jahren stehen beispielsweise monatlich 229 Euro zu. Vorgesehen sind darin etwa 85,10 Euro für Essen und Getränke, 1,06 Euro für das Essen außer Haus – etwa die Kugel Eis. Für Schulkinder bis 13 Jahre gibt es insgesamt 261 Euro, ab 14 Jahren bekommen die Hartz-IV-Empfänger 296 Euro für ihr Kind. „Wir brauchen statt Hartz IV eine Grundsicherung für alle Kinder“, sagt Loeding. 500 Euro sollten es pro Kind im Monat sein.
Betroffen von Armut sind laut Loeding und Zabel vor allem Kinder von Alleinerziehenden. „Es sind meist Frauen mit kleinen Kindern.“ Sie hätten zudem auch mit Vorurteilen zu kämpfen. Ingo Loeding: „Gern wird gesagt, dass die Hartz-IV-Empfänger das Geld in Zigaretten und Alkohol statt in ihre Kinder investieren.“ Das sei ein Trugschluss. „Wir haben eine Tendenz, dass die Mittelschicht verarmt. Auch viele gebildete Leute schaffen den Einstieg ins Berufsleben nicht“, sagt Birgitt Zabel. Und Arbeit sei immer noch das beste Rezept gegen Armut bei den Eltern und somit auch ihren Kindern.
Und obwohl die Arbeitslosenquote in Stormarn bei 3,9 Prozent liegt und konstant niedrig ist (Bundesdurchschnitt: 6,7 Prozent), bewege sich die „Kinderarmut im Kreis auf einem konstant hohen Niveau“, wie Ingo Loeding sagt. Auch weil die Preise im reichen Stormarn hoch seien. Loeding: „Es gibt viele Menschen, die aufgrund der steigenden Mietpreise aus Hamburg nach Stormarn ziehen, aber dann auch hier hohe Kosten haben.“
So fordert der DKSB Stormarn nicht nur die Politik und Verwaltungen auf, sich mehr mit dem Problem zu beschäftigen, sondern auch noch mehr kostenfreie Freizeitangebote und Veranstaltungen zu schaffen. Zudem sollten die Kosten für die Mahlzeiten in den Schulen und Kitas gesenkt werden.
Damit künftig weniger blaue Fähnchen aufgestellt werden müssen – und Kinder mehr Spaß haben. So wie der kleine Junge, der sich auf der Ahrensburger Schlosswiese ein Fähnchen schnappt, damit umherwedelt und zu seinem Vater rennt.