In unserer Serie treffen wir Stormarner auf einer Bank. Heute: Hamid Mofid, 43, der seit dem 1. März als neuer Chefarzt die Abteilung für Chirurgie an der Asklepios-Klinik Bad Oldesloe leitet.
Bad Oldesloe. Hamid Mofid nach seinem Bauchgefühl zu fragen, wenn es um wichtige Lebensentscheidungen geht, wirkt ein bisschen deplatziert. Der 43 Jahre alte Arzt ist nämlich auf Viszeralchirurgie spezialisiert, also auf die medizinische Behandlung der Organe des Verdauungstrakts im gesamten Bauchraum. Insofern ist es auch nicht überraschend, wenn er erzählt, dass die Entscheidung für den neuen Job eine rationale war.
Seit dem 1. März leitet Hamid Mofid als neuer Chefarzt die Abteilung für Chirurgie an der Asklepios-Klinik Bad Oldesloe. Er ist Nachfolger von Thomas Jungbluth, der als Chefarzt ans Klinikum Wolfsburg wechselte. Der Vorgänger war einer der ersten Ansprechpartner, als Mofid darüber nachdachte, sich auf die frei werdende Stelle zu bewerben: „Ich habe mich vorher bei ihm erkundigt, warum er einen neuen Job gesucht hatte. Ich wollte erfahren, wie zufrieden Dr. Jungbluth in Bad Oldesloe war“, sagt Hamid Mofid. Die Antwort fiel so positiv aus, dass er sich bewarb und die Stelle bekam. Danach brauchte er keinen Rat des Vorgängers mehr: „Auf eine Übergabe habe ich verzichtet. Ich wollte mein neues Umfeld unvoreingenommen kennenlernen und mir ein eigenes Bild machen.“
Es liegt in der Natur einer so verantwortungsvollen Aufgabe, dass Dr. Mofid einen langen Anlauf für seine neue Position nehmen musste. Nach dem Studium absolvierte er eine dreijährige Ausbildung in der Unfall-Chirurgie am Marienkrankenhaus in Hamburg-Hohenfelde und sammelte dort Erfahrungen in der Orthopädie und Traumatologie, also der Behandlung von Unfallopfern. Er operierte Hüftgelenke und Arthrosen und arthroskopierte Kniegelenke. Es folgten vierzehneinhalb Jahre am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg und eine komplexere Chirurgie, die Spezialisierung auf das eigentliche Fachgebiet, die Bauchchirurgie, mit sehr filigranen OP-Techniken.
Weitaus mehr als 5000 chirurgische Eingriffe habe er bis heute gemacht, schätzt Hamid Mofid. Und er überrascht mit dem lapidaren Satz „Ich wusste schon mit sechs Jahren, dass ich Chirurg und nichts anderes werden wollte.“ Diese Bestimmung liegt in der Familie. Auch der inzwischen verstorbene Vater war Chirurg. Er kam 1952 aus Isfahan im Iran nach Deutschland, wo er Medizin studieren wollte – „gegen den Willen seiner Eltern und ohne ein Wort Deutsch zu können“. Der Vater bewältigte, was er sich vorgenommen hatte – es ist offensichtlich, dass er ein prägendes Vorbild war.
Mofid wuchs in zwei Kulturen auf, prägender war die Zeit in Deutschand
Der Vater studierte in Hamburg und Kiel, heiratete eine Kielerin, zwei Kinder wurden in Deutschland geboren, bevor die Familie 1968 in den Iran umzog. Hamid Mofid wurde 1970 als drittes Kind in Teheran geboren. Er wuchs dort in einem politisch aufgeladenen, repressiven Klima auf. 1979 wurde der Schah gestürzt, und unter Ayatollah Ruhollah Chomeini entstand eine islamische Republik. 1980 begann der Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak, am Grenzfluss Schatt al-Arab bis 1988 starben dort Hunderttausende, vor allem junge Männer. Hamid Mofid erinnert sich: „Das war eine gefährliche Zeit. Mein älterer Bruder traute sich kaum noch auf die Straße, weil er Angst hatte, direkt eingezogen zu werden. Auch sein deutscher Pass hätte ihm nichts genützt.“
1984 konnte der inzwischen 19 Jahre alte Bruder nach Deutschland ausreisen oder besser gesagt: fliehen, und er nahm den Jüngsten sicherheitshalber mit. Hamid Mofid war dreizehneinhalb, als er nach Hamburg kam. „Ab da wurde ich von meinem Bruder erzogen“, sagt er. Die schwierigen Umstände haben die Mofids diszipliniert, immer viel von sich zu fordern. Beide wurden Mediziner, der ältere Bruder Amir arbeitet als Neurochirurg in Rahlstedt. Die Schwester der beiden lebt noch immer in Teheran, die Mutter pendelt zwischen Deutschland und dem Iran.
Hamid Mofid ist in zwei Kulturen aufgewachsen, prägender aber war die Zeit in Deutschland, nicht zuletzt wegen der Möglichkeiten, die er bekam. Gleichwohl weiß Hamid Mofid, dass er durchaus verschiedene Wesenszüge hat: „Ich glaube, mein persisches Erbe ist es, dass ich ein sehr gastfreundlicher Mensch bin, höflich, offen und hilfsbereit. Und als Deutscher bin ich sehr ehrgeizig, erfolgsgetriggert, akurat und pünktlich.“ Eine nützliche Mischung fürs Leben und für den Beruf.
In Oldesloe ist Hamid Mofid Chef von vier Oberärzten und sieben Assistenzärzten. Seine Abteilung besteht aus zwei Stationen plus Privatstation mit insgesamt 44 Betten und zusätzlichen Kapazitäten nach Bedarf auf der Intensivstation. „Mein Job hier ist vielfältig. Hauptsächlich operiere ich, ansonsten fallen viele administrative Aufgaben an: die medizinische und organisatorische Führung des Teams, die Synchronisation mit der Verwaltung, die Verbesserung von Prozessen, zum Beispiel im Zusammenspiel der verschiedenen Abteilungen, auch die Frage, wie noch mehr Service und Komfort für die Patienten erreicht werden kann“, sagt Hamid Mofid. Und last, not least ist er auch für die Außendarstellung seiner Abteilung zuständig: „Ich pflege den Kontakt zu den niedergelassenen Ärzten in der Umgebung. Und ich biete Sprechstunden für Patienten an, die selbst entscheiden wollen, ob sie hierher kommen möchten.“ Das Gespräch mit Patienten findet Mofid „superwichtig“: „Die Behandlung beginnt mit Anamnese-Erhebung. Außerdem sollte man die Erwartungen des Patienten kennen, ihn aber auch gut über Behandlungs- und Komplikationsmöglichkeiten aufklären – wenn er von Anfang an als mündiger Partner gut informiert wird, sind seine Erwartungen nicht unrealistisch, und er ist hinterher nicht enttäuscht.“
Ein großer Vorteil gegenüber anderen Anbietern sei, dass Asklepios in Bad Oldesloe als Klinik überschaubarer Größe ein Haus der kurzen Wege sei. Selbstverständlich, dass über allem die gute medizinische Qualität stehen muss. „Ich habe einige Spezialitäten mitgebracht“, sagt Mofid. Das können so scheinbar simple Angebote sein, wie bei Patienten mit Reflux-Krankheit, gemeinhin Sodbrennen-Erkrankung genannt, beschwerdefrei zu operieren, aber auch komplizierte minimalinvasive Schnitte, also Operationen am Bildschirm mit speziellen Instrumenten. Hamid Mofid bietet in seiner Abteilung Operationen aller Art im Bauchraum an. Große Erfahrung bringt er auch im Bereich der onkologischen Chirurgie mit, also der Entfernung von zum Beispiel Lebermetastasen oder Krebstumoren im Dickdarm und Magen.
„Wir haben das Privileg, einen Job zu machen, der Menschen komplett von ihren Leiden befreien kann“, sagt Mofid und erzählt von einem beglückenden Moment, als er ein 13 Jahre altes Mädchen in einer fünfstündigen Operation mit drei Ärzten und mehreren Schwestern von den Wucherungen einer genetisch bedingten Krankheit befreit hat, die später zu Krebs entartet wären. „Das war großer Druck auf meinen Schultern“, sagt er. „Ich werde nie den berührenden Moment vergessen, als ich den Eltern sagen konnte, dass alles gut gegangen war.“
Empathie ist wichtig, weiß er. Aber nicht immer ist Heilung möglich. „In der Kinderonkologie hätte ich Probleme, das würde ich nicht können“, sagt Mofid. Auch der Fall einer Mutter, die gerade ein Kind geboren hatte, und kurz darauf an nicht mehr operablem Magenkrebs starb, hat ihn mitgenommen. „Doch“, so sagt Mofid, „eine stabile Persönlichkeit gehört dazu – und eine intakte familiäre Situation.“ Hamid Mofid ist verheiratet und hat zwei Söhne, Batis (13) und Nick (5). Die Familie lebt in Hamburg-Großflottbek.
Am Israelitischen Krankenhaus fand Mofid in Professor Carsten Zornig einen namhaften Mentor. Der Direktor der Chirurgischen Klinik ermutigte ihn auch, sich ständig weiterzubilden und zu forschen. Mofid habilitierte sich und bekam gerade den Titel Privatdozent, wird also künftig an der Universität lehren. Und er wird sein Hauptforschungsthema „Notes“ weiter verfolgen. Die griffige Kurzformel steht für „Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery“. Kurz gesagt: Hamid Mofid will die Technik verfeinern, mit flexiblen Instrumenten ohne äußerlich sichtbaren Bauchschnitt zu operieren. Solche Operationen erinnern an Computerspiele. Mofid hat dazu eine Anekdote parat: „Letztens hatten wir einen Tag der offenen Tür. Eines unserer Angebote war eine Monitor-OP am aufgeschnittenen Gummibauch. Ein Zwölfjähriger war auffällig geschickt dabei. Klare Sache, er hatte das Handling an der Videospielkonsole erlernt, was seine Mutter sofort bestätigte. Eltern sollten also nicht immer mit ihren Kindern schimpfen, wenn die gerne am Computer spielen: Es könnte ein guter Chirurg dabei herauskommen.“
Die fixe Idee vom Kitesurfen nach Feierabend auf der Ostsee
Hamid Mofid ist ein Mensch, der offen ist für neue Horizonte. Nach der Geburt seines jüngeren Sohnes nahm er eine Elternzeit und ging gemeinsam mit der Familie für ein Jahr nach Australien. Dort arbeitete er am Prince of Wales Hospital in Sydney und lernte „eine Menge über Bauchspeicheldrüse und Leber“.Aber auch kulturell war Down Under eine wunderbare Erfahrung. „Wir konnten uns gut vorstellen, ganz dort zu bleiben. Aber ein neues Leben mit 40 wollte ich dann doch nicht. Ich bin Norddeutscher, Hamburg ist seit 30 Jahren meine Heimat.“Die Arbeit in Oldesloe bietet auch für die Familie Vorteile: „Nach 18 Jahren keine Wochenenddienste mehr, endlich Zeit für Frau und Kinder, Fußball mit den Söhnen, gemeinsame Ausflüge und mehr Lesen – nicht nur Fachliteratur, sondern auch Lieblingsbücher wie Hesses „Siddharta“ oder mit Sohn Nick „Momo“ und „Jim Knopf“ von Michael Ende.
Außerdem hat Hamid Mofid eine fixe Idee. In Australien hat er das Kitesurfen kennen- und liebengelernt. „Ich hoffe, dass ich im Sommer nach Feierabend noch abends an die Ostsee fahren und bis zum Sonnenuntergang kiten kann.“ Wer sagt denn, dass nicht doch auch Bauchgefühl dabei war, als die Entscheidung für Oldesloe fiel ...