In unregelmäßigen Abständen treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: der als „Tatort“-Gerichtsmediziner bekannte Schauspieler Benjamin Morik. Ein Gespräch über Heimatgefühle und harte Brüche
Ahrensburg Benjamin Morik sitzt auf seiner Lieblingsbank am Bredenbeker Teich und lässt den Blick über ein abgeerntetes Kornfeld schweifen. „Dieses Bild passt gerade gut zu meiner Situation“, sagt der Schauspieler, den Fernsehzuschauer als Rechtsmediziner im Konstanzer „Tatort“ kennen. „Ich verkaufe das Haus meiner Mutter und bin gerade dabei, es leer zu räumen.“
Seine 89 Jahre alte Mutter zieht in eine betreute Alten-Wohngemeinschaft nach Hamburg. Die Auflösung seines Ahrensburger Elternhauses, in dem er mit zwei älteren Schwestern groß geworden ist, beschert dem 44-Jährigen „eine Lastwagenladung von Emotionen“. „Ich empfinde Wehmut, wenn mir Kinderzeichnungen und geliebtes Spielzeug in die Hände fallen“, sagt Morik. „Und ich habe völlig neue Erkenntnisse über meine Kindheit gewonnen, als ich Tagebücher entdeckte, die meine Mutter für mich schrieb, als ich klein war.“
Moriks Kindheit wird ab dem siebten Lebensjahr überschattet von seiner schweren Krebserkrankung. Mit Unterbrechungen verbringt er fünf Jahre in Krankenhausbetten. „Meine Ahrensburger Freunde und der Fußball haben mich gerettet“, sagt er rückblickend. „Ich bin aus dem Krankenhaus immer wieder zurückgekehrt, bin erst zur Grundschule Am Reesenbüttel gegangen und später zum Gymnasium Am Heimgarten.“ Mit Arne und Ulf spielt er in jeder freien Minute Fußball. „Es gibt in Ahrensburg keinen Bolzplatz, auf dem ich nicht war“, sagt er lachend. Im Mittelfeld hat er am liebsten gespielt. Hauptsache laufen. „Das Schlimmste war für mich, wenn ich mich nicht bewegen konnte“, sagt Morik, der beim Ahrensburger TSV von einer Karriere als Profi-Fußballer träumte.
Mit zehn Jahren joggt er erstmals an seiner heutigen Lieblingsbank vorbei, die auf halber Strecke rund um den Bredenbeker Teich auf einer Anhöhe am Fuße eines alten Baumes steht. „Dieser Ort bedeutet mir viel“, sagt der Wahl-Hamburger. „Er ist ein Rückzugsort zum Nachdenken für mich. Hier habe ich über meinen ersten Liebeskummer beweint, wichtige Entscheidungen für Schule und Beruf gefällt und bei Spaziergängen immer Pause gemacht.“
Seine Berufung findet Morik, als er beim Schulkabarett anlässlich des Abiturs seinen Kunstlehrer imitiert. „Vor Publikum aufzutreten, fühlte sich irre an“, erinnert sich der Mime. „Da sprang der Funke über, es kam ganz viel von den Zuschauern zurück.“ Er fasst sich ein Herz und bewirbt sich telefonisch bei einer freien Theatergruppe in Ahrensburg. „Ich hätte gern die Hauptrolle, habe aber keine Theatererfahrung, habe ich damals gesagt“, sagt Morik schmunzelnd.
Seine ersten Auftritte absolviert er im Alfred-Rust-Saal. Später fängt er als Bühnentechniker am Hamburger Schauspielhaus an, baut Kulissen auf, inhaliert dabei Theaterluft. Privat erlebt er den zweiten Schicksalsschlag. Er ist gerade 20 Jahre alt, als sein Vater überraschend stirbt. „In meinem Leben gibt es harte Brüche zwischen total schmerzhaft und schön“, sagt Morik. „Auch mein Beruf ist wechselhaft mit den unterschiedlichsten Rollen und Geschichten. Auf dieser Bank habe ich oft Dinge nachwirken lassen, um zur Ruhe zu kommen.“
Der Schlüsselmoment für seinen Berufsweg kommt 1991, als Regisseur Werner Schroeter am Thalia Theater Statisten für das französische Drama „Les caprices de Marianne“ sucht. Morik stellt sich vor. „Ich bekam eine Frau in den Arm gedrückt, musste sie küssen und einen leidenschaftlichen Parcours mit ihr quer über die Bühne absolvieren.“ Er wird angenommen und muss fünf Wochen lang mit einem jungen Tänzer innige Leidenschaft mimen. Eine Herausforderung, die er meistert. „Da fiel bei mir die Entscheidung. Was für eine Lebendigkeit, welch ein Abenteuer das Schauspielen mir bietet“, sagt Morik mit einem Funkeln in den Augen. „Ich fühle mich auf der Bühne und vor der Kamera total wohl. Die Aufmerksamkeit tut mir gut.“
Zwischen 1992 und 1996 absolviert er seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater im schweizerischen Bern, gehört danach zum Ensemble des Schauspiels Essen. Es sind vor allem die abtrünnigen Charaktere, die ihn auf der Bühne reizen. „Mit der Rolle des Richard III. habe ich bei den Theatern vorgesprochen“, sagt Morik, der das Shakespeare-Drama zu seinen Traumrollen zählt. „Die Arbeit an solchen Rollen ist auch ein Ventil für mich.“ 2001 bekommt er seine erste Fernsehrolle in der TV-Reihe „Doppelter Einsatz“, in der er einen Polizisten spielt. Es folgen zahlreiche TV-Rollen, in rund 70 Produktionen hat er bislang mitgewirkt.
Nach seinem wichtigsten Film befragt, erinnert sich der Schauspieler besonders an den Bremer Tatort „Todesengel“, in dem er 2005 einen Mann mit Eheproblemen darstellt. „Die Dreharbeiten fielen in jene Phase, als sich meine erste Frau von mir trennte, weil sie sich in einen Regisseur verliebt hatte“, so Morik, „das waren mit dieser Thematik sehr intensive Wochen für mich.“
Heute lebt Morik mit seiner zweiten Frau Natalie, einer Lehrerin, glücklich in den Elbvororten und wünscht sich „ganz bald Kinder“. Als Nächstes steht eine NDR-Produktion auf dem Plan. Er wird einen Nazi in einer Stephen-King-Verfilmung spielen. In der Rolle des Rechtsmediziners Curd Wehmut, den Benjamin Morik als „traurigen Clown“ bezeichnet, ist er wieder im Februar 2014 zu sehen, der Arbeitstitel der „Tatort“-Folge lautet „Todesspiel“.
Es gibt einen Stormarner, mit dem Benjamin Morik gern zusammenarbeiten würde. „Ich liebe die Rollenskizzierung von Detlev Buck“, sagt er über den Regisseur, der aus Nienwohld stammt. „Besonders seine Filme mit Heimatbezug mag ich sehr.“ Die Entwicklung des deutschen Films betrachtet Morik wohlwollend. „Ich mache gern etwas mit Regiestudenten, wenn ich Zeit habe. Und ich finde, es kommt dem Film zugute, dass heute jeder kleine Filmchen mit seiner Kamera dreht.“
Sein Beruf biete die Chance, „richtig glücklich zu werden“. Und ist er glücklich? „Das ist sehr ambivalent. Ich nehme das Leben intensiver wahr, dazu gehört Trauriges und Wunderschönes. Ich lasse mittlerweile beides zu.“ Beim Verarbeiten helfen ihm Begegnungen mit Menschen. „Kommunikation ist mir ganz wichtig“, sagt Morik, „ob bei der Arbeit oder im Umgang mit Freunden.“ Das Miteinander müsse aufmerksam und respektvoll sein.
Er hat noch immer Freunde in Ahrensburg. Zu Besuch werde er künftig aber wohl seltener kommen. „Ahrensburg ist für mich ein Gefühlskosmos“, sagt Morik. „Der Hausverkauf setzt mir mehr zu, als ich gedacht hätte.“ Er schaut über das Feld hinweg Richtung Horizont, wo der Blick an sanft geschwungenen grünen Wiesen hängenbleibt. Ein Lebensabschnitt sei beendet, der nächste im Visier. Eines habe er inzwischen gelernt: „Der Weg ist das, worum es geht im Leben, nicht das Ziel.“