Die Bürgerinitiative Glinde gegen rechts hat inzwischen Vorbildcharakter für andere Städte. „Glinde hat charmante Ideen, die woanders aufgegriffen werden“, sagt Jörn Menge vom Verein Laut gegen Nazis.
Glinde. An diesem Tag ist Peter Nilsson der Erste. Mit Klappzelt und Mülltonne ausgestattet, die mit der Aufschrift „Erste bundesweite Entsorgungsstation für Nazikleidung“ versehen ist, steht der Versicherungsfachmann am Glinder Berg und wartet auf seine Mitstreiter. Die Berufskleidung, einen Anzug, hat er abgelegt, trägt inzwischen Turnschuhe, schwarze Jeans und ein kariertes Hemd. Lässig eben. Es ist 16.50 Uhr. Wenig später kommen sie: erst Anna Grosse, 41, kaufmännische Angestellte und zweifache Mutter, dann Ingeborg Stoller, 62, und schließlich Niels Brock, 47, ein Sozialökonom. In Windeseile ist alles aufgebaut, jeder Handgriff sitzt. Ein Laken, auf dem „bunte Vielfalt statt brauner Einfalt“ steht, ist vor das Zelt gespannt. Denn um 17 Uhr beginnt sie, die Mahnwache vor dem Thor-Steinar-Laden in der 18.400-Einwohner Stadt im Süden Stormarns. Er ist der Stein des Anstoßes. Hier wird Kleidung verkauft, die bei Rechtsextremisten beliebt ist.
Nicht nur die vier couragierten Bürger wünschen sich, dass das Geschäft schließt. Es ist der Wille einer ganzen Stadt.
Vor zweieinhalb Jahren, kurz nach Eröffnung, gründete Brock deshalb mit Gleichgesinnten die Glinder Bürgerinitiative gegen rechts. Er ist ihr Sprecher. Auch Nilsson, Stoller und Grosse sind von Anfang an dabei. Inzwischen gehören der Initiative rund 50 Personen an – Schüler, Rentner, Lehrer, Hausfrauen. Das Spektrum ist breit. Abwechselnd zeigen sie fast täglich Flagge, haben bereits mehr als 700 Mahnwachen abgehalten, zu deren Beginn und Ende die Glocken der Glinder Kirchen läuten. „Wir stehen auch bei minus 15Grad hier, dann haben wir einen Heizpilz und Matten, damit uns die Füße nicht abfrieren“, sagt Nilsson. An diesem Tag ist es angenehm, die Sonne scheint. Die Ampel an der Straße springt auf Rot um, ein Auto hält. Der Beifahrer blickt auf die Mitglieder der Bürgerinitiative und hebt den Daumen nach oben. Auch prominente Politiker denken so: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) war schon hier, genauso wie sein Innenminister Andreas Breitner (SPD).
Partnerstadt der Internationalen Wochen gegen Rassismus
Doch inzwischen liege der Fokus nicht mehr allein auf dem Ladengeschäft, sagt Anna Grosse. Was sie damit meint? Zum Beispiel die Verlegung einer 1300 Euro teuren und 57 Zentimeter langen Stolperschwelle im Stadtteil Wiesenfeld zum Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit im dortigen Lager, finanziert ausschließlich aus Spenden. Oder den Einsatz für Lampedusa-Flüchtlinge aus Afrika, die im vergangenen Jahr über Hamburg in die Stadt kamen. Und natürlich, dass Glinde aufgrund des Engagements der Initiative bereits zum zweiten Mal Partnerstadt der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die am 23. März enden, ist – und durch zahlreiche Aktionen, die von Brock und Co. initiiert wurden, über die Grenzen des Landes Bekanntheit erlangte. Auch das ZDF berichtete über die Aktivitäten. Auf den Online-Seiten zahlreicher Tageszeitungen im Land stand der Name der Stadt in diesem Zusammenhang gleich neben Hamburg, Leipzig und München.
Glinde habe Vorzeigecharakter und gebe anderen Städten Inspiration, sagt Jörn Menge. Er ist Vorsitzender des Hamburger Vereins „Laut gegen Nazis“, der bundesweit agiert und in Kooperation mit Dutzenden Initiativen über das Thema Rechtsradikalismus aufklärt. Auch mit den Südstormarnern arbeitet der Verein eng zusammen. Menge: „Glinde hat charmante Ideen, die woanders aufgegriffen werden. Ich kann mich da an Rothenburg ob der Tauber in Bayern erinnern.“ Er spricht von kreativen Aktionen wie dem Schachturnier unter dem Titel „Schachmatt den Nazis“, das am Freitag vor dem Thor-Steinar-Laden ausgetragen worden ist. Oder auch vom Neujahrsempfang, zahlreichen Konzerten, Lichterketten, an denen mehrere Hundert Menschen teilnahmen, sowie Lesungen mit Prominenten wie dem Schauspieler Peter Lohmeyer oder dem Theaterbesitzer Corny Littmann.
Wenn Versicherungsfachmann Nilsson von diesen Erlebnissen spricht, klingt Begeisterung in seiner Stimme. Mit Protest hat er Erfahrung, war bereits in seiner Jugendzeit massiver Kernkraftgegner. Er sagt: „Wir wollen hier keine Leute, die braunes Gedankengut haben.“ Der Rückhalt in Glinde ist groß. Vereine, die Kirche, ein Parteienbündnis und die Verwaltung stehen hinter der Bürgerinitiative. Glindes Verwaltungschef Rainhard Zug: „Sie ist ein Imagegewinn für die Stadt und stärkt die Gemeinschaft.“ Das Rathaus helfe dort, wo es könne. So würden Räume oder auch ein Stromgenerator für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt.
Anerkennung für ihr Wirken erhielt die Bürgerinitiative auch in Form von Auszeichnungen. Im vergangenen Jahr bekam sie den Hans-Frankenthal-Preis der Stiftung Auschwitz-Komitee sowie den Olof-Palme-Friedenspreis der Stormarner SPD. Stolz seien sie nicht, sagt Anna Grosse, das wäre das falsche Wort. „Aber froh, wie man mit kleinen Dingen eine Menge erreichen kann.“
Thor-Steinar-Laden könnte noch bis 2024 bleiben
Eines werden sie jedoch nicht so schnell erreichen: die Schließung des Thor-Steinar-Ladens. Laut Brock laufe der Mietvertrag bis 2016 mit einseitiger Verlängerungsoption des Mieters um acht Jahre. Der Initiativensprecher: „Die können gar nicht aufgeben, sonst würde es Schule machen.“
Inzwischen ist ein weiterer seiner Mitstreiter eingetroffen: Bernd Goldschmidt, 65. Er protestiert mehrmals pro Woche vor dem Geschäft, Auffällig sei, so der Rentner, dass während der Aktionen kaum Kundschaft das Geschäft betrete. „Die meisten fahren mit dem Auto vor. Und diejenigen, die dort reingehen, kommen nur selten aus Glinde.“
Inzwischen ist es 19 Uhr. Die Glocken der Glinder Kirchen läuten. Das Signal, zusammenzupacken. Der Abbau geht genauso schnell wie das Aufstellen. Man ist eben im Training. Und es geht weiter, notfalls auch bis 2024. Anna Grosse: „Wir haben einen langen Atem.“