Bank-Geheimnisse: Wir treffen Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute erzählt Nina Eggers, die jüngste Chefin der Niederdeutschen Bühne Ahrensburg, wie sie plötzlich an die Spitze kam.
Ahrensburg. Im Dreisprung ist sie einsame Klasse: Von der Leiterin der Jugendgruppe über den Posten der Schatzmeisterin ging es an die Spitze des Vereins. Nun ist Nina Eggers 28 Jahre alt und die jüngste Chefin der Niederdeutschen Bühne Ahrensburg aller Zeiten. Und das will was heißen. Schließlich gibt es den Verein, der op Platt Stormarner Speeldeel heißt, schon eine kleine Ewigkeit. 1935, in bewegten Vorkriegszeiten, wurde er aus der Taufe gehoben. Damals wäre eine Frau an der Spitze unvorstellbar gewesen. Und dann so ein Küken. Heute ist das nicht nur möglich: Es war der ausdrückliche Wunsch der Mitglieder – denn Nina war die Rettung für die Speeldeel.
Das Datum hat sich ihr eingeprägt. Der 27. Januar. Die entscheidende Mitgliederversammlung. Sie wollte eigentlich nur als Schatzmeisterin einspringen – für ihren Vater Hans-Jochim Eggers, der aus Altersgründen aufhören wollte. Da die Tochter Betriebswirtschaft studiert hat und beim NDR als Sachbearbeiterin im Finanz- und Rechnungswesen arbeitet, hatte sie sich schon auf die neue Aufgabe eingestellt. „So mein Plan“, sagt Nina Eggers. Es kam anders.
Nicht nur ihr Vater wollte sich zurückziehen. Dem Verein war auch die Vorsitzende abhandengekommen. Andrea Rühling kandidierte nicht wieder. Die Zukunft der Niederdeutschen Bühne stand auf der Kippe. „Hätte sich keiner gemeldet, hätten wir vom Amtsgericht einen externen Vorsitzenden zugeteilt bekommen“, sagt Nina Eggers und schüttelt sich. „Oder wir hätten über den Auflösungsantrag abgestimmt. Er war schon vorbereitet.“
Sich selbst vorzuschlagen, kam ihr nicht eine Sekunde in den Sinn. „Ich habe kein Problem, Verantwortung zu übernehmen. Aber den Hut aufzusetzen, das erschien mir eine Nummer zu groß zu sein.“ Dass andere sie vorschlagen würden, davon ahnte sie nicht das Geringste.
Bei der emotionalen Wahl zur Vereinschefin flossen Tränen
„In der Pause kamen alle auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht Vorsitzende werden wolle. Das war cool“, sagt Nina Eggers und spricht noch ein bisschen schneller als sonst. Es sprudelt aus ihr nur so heraus. So wie sich die Ereignisse an jenem Abend überschlugen – auch in ihrem Inneren.
„Nach der Pause schlug mich unser Geschäftsführer Manfred Gepp dann offiziell vor“, sagt Nina Eggers, immer noch aufgewühlt, als wenn es gestern gewesen wäre. „Und dann hielt er eine Lobesrede auf mich. Und da musste ich dann richtig heulen“, sagt Nina Eggers. Die 28-Jährige ist entwaffnend offen.
„Im Nachhinein war es gar nicht so schlimm“, sagt sie jetzt, sechs Wochen später, nach dem Besuch beim Notar und dem Eintrag der neuen Personalien ins Vereinsregister. „Nur mein Vater, der ist mir in den Rücken gefallen. Das war echt fies.“ Sie hätte es gern andersherum gehabt: er als Vorsitzender und sie hübsch in der zweiten Reihe als Schatzmeisterin.
Die Ahrensburgerin ist selbst noch ganz verdutzt über ihren rasanten Aufstieg. „Ich will gar keine Karriere machen“, sagt sie und schaut munter durch ihre Brille. Das klingt ungewöhnlich, aber es stimmt, wie sich bei genauerer Betrachtung der Dreisprung-Technik zeigt, mit der sie an die Vereinsspitze gehüpft ist.
Das fing schon bei der ersten Stufe der Karriereleiter an. Ursprünglich war nämlich eine andere Nachfolgerin vorgesehen, als Annekathrin Isenberg damals wegen ihres Studium die Leitung der Jugendgruppe Mimikri abgab. „Aber die Nachfolgerin ging für ein Jahr ins Ausland, also sprang ich ein“, sagt Nina Eggers. Und so ging es weiter. Als sie den Posten der Schatzmeisterin übernahm, war das nur kommissarisch. Nur nicht in die erste Reihe. „Ich kann doch keine Reden halten“, sagt die junge Frau, die nicht nur schnell, sondern auch höchst lebendig und amüsant erzählt. So kam, was kommen musste: die alles entscheidende Mitgliederversammlung, bei der sie eigentlich auch nur aushelfen wollte ...
Nun steht sie nicht nur in der ersten Reihe, sondern an der Spitze. „Manchmal muss man mir wohl in den Allerwertesten treten, damit ich ins kalte Wasser springe“, sagt sie. Einmal losgeschwommen, weiß sie allerdings ziemlich genau, was sie will und was nicht.
„Ich gebe meinen Namen, repräsentiere die Bühne und knüpfe Kontakte“, zählt Nina Eggers auf. „Mehr nicht. Das kann ich beruflich nicht leisten. Mein Vater übernimmt die Terminabstimmung, führt das Schlüsselbuch und organisiert die Mitgliederversammlungen.“ Die neue Chefin weiß, dass sie sich auf den „alten Theaterhasen“ verlassen kann, der schon seit 40 Jahren bei der Speeldeel ist. Auch er hat sich überreden lassen und macht nun doch als Schatzmeister weiter. „So ein Vater kann ganz schön praktisch sein“, sagt die Tochter. Und überhaupt. „Das ganze Vorstandsteam ist toll.“ Sie werden sich allerdings alle an die neue Aufgabenteilung und ein paar Neuerungen gewöhnen müssen.
Beim „Brautstrauß auf Totenschein“ ist die Chefin die Regisseurin
„Ich möchte wieder einen Stücke-Ausschuss ins Leben rufen“, sagt Nina Eggers. Sie will, dass die Mitglieder mitentscheiden können, was gespielt wird. Vor allem diejenigen, die auch Regie führen wollen. So wie sie. „Ich habe Blut geleckt“, sagt sie und schaut wieder ganz fröhlich und neugierig durch ihre Brille, als wenn sie gerade einen neuen Theaterschatz entdeckt hätte.
„Bruutstruuß op Dodenschien“ heißt auf Hochdeutsch „Brautstrauß auf Totenschein“ und kommt im Oktober unter ihrer Leitung auf die Bühne. Das Stück spielt im Blumenladen und handelt von einer frustrierten Ladenbesitzerin, die am Ende glücklich wird. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich Bühnenleiterin werde, hätte ich die Regie nicht übernommen“, sagt Nina Eggers. Hätte. Hätte. Aber statt Stress aufkommen zu lassen, freut sich Nina Eggers – ganz das Kind begeisterter Theatereltern – auf ihr Lieblingsstück.
Auf ihre Lieblingsrolle hat sie schon gespielt. Als sie sechs war, hatte sie im Ohnsorg-Theater „Rund um Kap Horn“ gesehen. Der kleinen Nina im Zuschauerraum hatte es die trampelige Irmgard, die Tochter des Reeders, angetan: große Brille, Sommersprossen, ein bisschen doof. „Und dann die Verwandlung des hässlichen Entleins in einen schönen Schwan. Super“, sagt Nina Eggers. „Diese Irmgard zu spielen, war ein Traum.“
Mit acht Jahren wirkte sie zunächst in dem Stück „Das Sams“ mit. Das erste Mal auf der Bühne. „Eine ganz kleine Nebenrolle.“ Allerdings mit großer Wirkung. Nina Eggers: „Wer einmal Theaterluft schnuppert, den lässt das Theater nicht mehr los.“
Jetzt spielt sie nicht nur, souffliert und führt Regie. Jetzt hat sie ein großes Ziel. „Die Bühne darf nicht sterben. Ich möchte sie am Laufen halten“, sagt Nina Eggers. Der Weg dahin ist auch ein Dreisprung. „Erstens: Wir müssen die Zuschauer halten. Zweitens: Dafür müssen wir ein gutes Programm machen. Und drittens: Wir müssen neue Mitglieder gewinnen.“ Und zwar möglichst welche im Alter von 20 bis 50. In dieser Gruppe herrscht Fehlanzeige. „Stücke, die im Seniorenheim spielen, sind für uns kein Problem“, sagt Nina Eggers mit schelmischem Blick. „Aber jugendliche Liebhaber sind rar.“
Mit der jungen Chefin kommen nun vielleicht auch jüngere Schauspieler in die Truppe. Das hofft die 28-Jährige, die nicht nach oben, dafür aber das Optimum erreichen will. „Ich bin Perfektionistin“, sagt sie, gibt aber auch unumwunden zu, dass sie an den Fingern pult, wenn sie nervös ist. Die Offenheit ist bestechend. Vor einer solchen Chefin muss niemand Angst haben. Sie verlangt zuerst alles von sich. „Ich will immer alles schaffen“, sagt sie. „ich glaube, ich muss lernen, auch Nein zu sagen.“
Jetzt hat sie erst einmal Ja gesagt. Ein Glück für die Bühne. Eine klare Sache für sie. „Plattdeutsch muss erhalten werden. Es ist gut, dass es Unesco-Weltkulturerbe werden soll“, sagt Eggers, schaut wieder keck, spricht wieder ganz schnell und fragt schelmisch: „Auf Platt kann man auch so schön schimpfen, ohne dass es böse klingt.“ Und das wäre? „Na ja, Tüdelbüdel. Das klingt doch netter als Spinner.“
Nina Eggers hat aber nicht nur Ja gesagt. Fast noch wichtiger ist ein anderer Satz: „Ich bleibe.“ Und das gilt für Beruf und Theater gleichermaßen. Sie könnte für den NRD ins Auslandsstudio gehen. Sie hat Angebote von andern Theatervereinen. Sie will nicht. Und dass andere sie gut finden und nach vorn treiben, ist ihr eher unheimlich.
„Ich bin auch gerade stellvertretende Gruppenleiterin geworden“, sagt die 28-Jährige. „Mein Chef beim NDR wollte das gern. Irgendwie läuft es gerade gut für mich. Ich hoffe, ich werde jetzt nicht übermütig.“ Und wenn schon. Sie hätte guten Grund, einfach mal so in die Höhe zu springen.