Eine Behörde in Kiel verfügt quasi im Alleingang und über die Köpfe vieler Bürger und Politiker hinweg über die Zukunft des Ahrensburger Verwaltungssitzes. Ein solches Verfahren ist nicht mehr zeitgemäß.
Der Fachterminus Morbus Scheuermann bezeichnet ein schmerzhaftes Rückenleiden. Eine Haltungsschwäche, die entgegen früheren Annahmen durch eine Wachstumsstörung verursacht wird. Diese Erkenntnis blieb dem dänischen Erstbeschreiber und Orthopäden Holger Werfel Scheuermann verwehrt. Nun ist die Ursache der Krankheit den Kritikern des Ahrensburger Rathauses vermutlich völlig schnurz. Aber als eine Art Wachstumsstörung der Schlossstadt betrachten sie das Waschbeton-Gebäude durchaus.
In Anspielung auf den vom Architekten Karl-Heinz Scheuermann entworfenen Bau spotteten Bürger schon in den 70er-Jahren über die „Scheuermann-Krankheit“, an der die Stadt fortan zu leiden habe. Solch böse Witze werden heute noch gemacht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eine Kieler Behörde den Verwaltungssitz nun zum Denkmal erklärt hat. Über das Für und Wider sind der Worte genug gewechselt, sagen die einen. Andere meinen, sie würden endlich gern verstehen, warum man nachfolgende Generationen auf ewig an die Bausünden der 70er-Jahre erinnern müsse. Warum in Ahrensburg weitaus erhaltenswertere Gebäude wie zum Beispiel die Doppeleiche (Klönschnack) oder andere nicht erhalten wurden. Und warum niemand nach ihrer Meinung frage.
Was auch immer im Umfeld des Gebäudes geschehen soll: Kiel redet mit
Die Kieler haben Fakten geschaffen mit dem Eintrag ins Denkmalbuch. Sie haben der Stadt Ahrensburg die Bürde aufgelastet, jedwede Sanierung des sanierungsbedürftigen Rathauses sowie jedes städtebauliche Vorhaben im Umfeld des umstrittenen Gebäudes künftig mit ihnen abstimmen zu müssen.
Unklar ist jedoch, ob Ahrensburg durch die Unterschutzstellung zusätzliche Kosten entstehen, für die schlussendlich der Steuerzahler zur Kasse gebeten würde. Da haben alles Zetern und Zögern von CDU, FDP und ungezählten Ahrensburgern nicht geholfen. Nicht einmal der berechtigte Wunsch nach Bedenkzeit für eine für die Stadt so weit reichende Entscheidung. Erinnern Sie sich noch? Vor ein paar Jahren verhinderte ein Verein per Bürgerentscheid einen kastenförmigen Kronenschnitt der Linden entlang der Großen Straße. Die Kreuzchen von rund 3000 Gegnern dieses Vorhabens reichten damals aus, um den Traum von einer charmanten barocken Achse vom Schloss zur Innenstadt platzen zu lassen. Doch über die für Ahrensburg weitaus bedeutsamere Frage, ob die Mehrheit der Bürger das Rathaus für schutzwürdig erachtet oder nicht, darüber wurde nicht abgestimmt. Warum nicht? Weil Denkmalschutz laut Gesetzgeber nun einmal nicht taugt für einen Volksentscheid.
Schlussendlich geriet so sogar die Abstimmung der gewählten Interessenvertreter der Bürger in dieser Angelegenheit zur Farce. Die Politiker konnten ihre Stimme erst erheben, als die Würfel längst gefallen waren. Bei der denkbar knappen Entscheidung ging es nicht mehr grundsätzlich um das Ja oder Nein zum Denkmalschutz. Sondern nur noch darum, ob die Stadt die Unterschutzstellung beantragt oder nicht. Bleibt also die Frage, welche Lehren zu ziehen sind aus diesem Stück. In der Begründung für die Entscheidung heißt es: „Das Rathaus ist nicht nur als Zeichen des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit, sondern auch als Zentrum demokratischer Verwaltung für den Bürger als Symbol der Modernität Ahrensburgs zu sehen.“
Beim Denkmalschutz entscheiden wenige über die Köpfe vieler hinweg
Nun versteht mancher etwas völlig anderes unter moderner und demokratischer Verwaltung, als vor vollendete Tatsachen gesetzt zu werden. Und auch das Handeln der zuständigen Ministerin (Dänemark liegt ihr von Haus aus näher als das Hamburger Umland) sorgt bei manchen Zeitgenossen für Verdruss. Anke Spoorendonk (Südschleswigscher Wählerverband) wischte die Bedenken etwa der Hälfte der Ahrensburger Stadtverordneten beiseite, wollte offenbar von den Sorgen und Nöten einer rund 100 Kilometer entfernt liegenden Stadt wenig wissen. Denkmalschutz? Klar. Diskussionskultur? Fehlanzeige.
Nun müssen vermutlich alle Ahrensburger mitfinanzieren, was einige wenige über deren Köpfe hinweg entschieden haben – das ist die eigentliche Scheuermann-Leidensgeschichte. Sie verdeutlicht, dass die Rechtslage vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Und dass der Weg, der zum Denkmalschutz führt, von den demokratischen Prinzipien viel zu weit entfernt ist. Daran, und dass in dieser Stadt grundsätzlich zu wenig öffentlich über Baukultur gestritten wird, daran wird das Ahrensburger Rathaus noch lange erinnern.