Im Prozess wegen Totschlags vor dem Lübecker Landgericht schweigt der Täter. Kurz nach der Bluttat in einer Unterkunft für Asylbewerber hatte er geschildert, in Notwehr gehandelt zu haben.
Lübeck/Reinbek. Immer wieder sticht er mit der neun Zentimeter langen Klinge auf sein Opfer ein, durchbohrt zweimal das Herz des Mannes. Es sind die letzten Bilder einer jahrelangen Freundschaft, die im Streit um Drogen und viel Geld ein jähes Ende findet.
Ob Ali A. seinen Freund im Mai vergangenen Jahres in einer Unterkunft für Asylbewerber in Reinbek wegen mehrerer Kilogramm Heroin und Kokain getötet hat oder ob er in Notwehr gehandelt hat, muss jetzt das Landgericht in Lübeck beurteilen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 45-Jährigen Totschlag und den Besitz „einer nicht geringen Menge Betäubungsmittel“ vor. Der Iraner Ali A., der in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wird und die für Häftlinge der JVA Lübeck vorgeschriebene Kleidung, einen olivfarbenen Parka und einen dunkelgrünen Pullover trägt, schweigt zu der Tat.
So muss ein Beamter der Mordkommission Angaben zu der Aussage des Täters kurz nach der Tat machen. „Es soll Tage zuvor schon zum Streit gekommen sein“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Das Opfer, ebenfalls ein Iraner, kam am 18. Mai aus Köln zu Besuch. Er hatte bis zu 160 Kilogramm Heroin, rund 35 Kilogramm Kokain und mehr als 2000 Euro dabei. Beide Männer sind schwer drogenabhängig, konsumieren täglich. Bis es dem Gast plötzlich schlecht geht. Er hat Lungenkrebs und wird eines Abends mit dem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht.
Aus der Klinik wieder entlassen, fragt er nach seinen Drogen. Ein Teil davon ist verschwunden. „Deswegen kam es zum Streit“, so der Polizist. Immer wieder habe der 53-Jährige aus Köln Ali A. bedroht und geschlagen, ihn sogar mit einem Elektroschocker verletzt. Er fordert von A. exakt 5050 Euro.
Der Angeklagte wollte die Leichen im Fußboden der Unterkunft verstecken
Der Angeklagte verspricht, das Geld zu besorgen. Am Sonntag, 26. Mai, kommt es morgens erneut zum Streit. Das spätere Opfer fragt Ali A., wie er denn das Geld besorgen wolle. Dabei greift der Kölner zum Elektroschocker und geht damit auf den Angeklagten los. Dieser nimmt ein Klappmesser, versteckt es hinter dem Rücken. Als der Mann vor ihm steht, sticht er mehr als zehnmal zu. „Das Opfer soll dann gesagt haben, dass A. einen Notarzt rufen soll. Doch der Angeklagte erwidert, dass er das nicht machen werde“, so der Beamte. Und, dass A. zu dem Opfer gesagt habe, dass er zu dieser Tat gezwungen war, denn ansonsten hätte er ihn getötet.
Nach der Bluttat versucht A., die Leiche verschwinden zu lassen. Zunächst will er sie zurück nach Köln bringen. Denn das Opfer war dort in der Drogen-Szene bekannt und so würde niemand auf ihn stoßen. Doch dieser Plan scheitert, weil er kein Auto besorgen kann. Seine zweite Idee: Er will die Leiche im Boden seines Zimmer in der Unterkunft am Mühlenweg verschwinden lassen und beginnt, den Betonboten aufzuschlagen.
Doch zwei weitere Bewohner schöpfen Verdacht, nehmen den beißenden Geruch wahr. Beide gehen zur Polizei und versuchen den Beamten zu erklären, dass dort jemand getötet wurde. Beide sprechen nur gebrochen englisch. Zwei Polizisten fahren mit den Männern zu dem Haus. Doch die Tür von A.s Zimmer ist verschlossen. Durch ein Fenster sehen die Beamten, dass sich etwas unter den Bettdecken befindet und erkennen auf einem Laken einen tellergroßen Blutfleck.
Die Polizei erkennt zunächst das Verbrechen nicht und zieht wieder ab
Doch die beiden Reinbeker Polizisten schöpfen keinen Verdacht, vertrösten die Bewohner und sagen, dass sie sich erneut bei der Polizei melden können, falls etwas passiert. Tatenlos fahren sie davon. Doch die Männer lassen nicht locker, stehen einigen Stunden später erneut in der Wache. Kriminalbeamte nehmen sich des Falls an und entdecken auf dem Bett die Leiche.
Auch wenn Ali A. vor Gericht keine Angaben zur Tat macht, stellt er sich selbst als Opfer dar: geboren im Teheran, vom Vater nicht geliebt, mit zehn Jahren das erste Mal Alkohol konsumiert und mit 14 zu Drogen gegriffen. Eine Dolmetscherin übersetzt für ihn. Sie erzählt, wie A. immer wieder im Gefängnis war und Peitschenhiebe ertragen musste. Als er 1993 in der Ukraine lebt, lernt er das spätere Opfer kennen. Beide handeln dort mit Heroin.