Claudia Mihm versucht den Verlust ihrer Tochter Kira zu verarbeiten, indem sie sich engagiert und Aufklärung betreibt
Reinfeld. "Mama, ich schaff' das schon, mach dir keine Sorgen", hat Kira Mihm gesagt. Sie hat ihrer Mutter einen Kuss gegeben und ist davon gefahren. Es war das letzte Mal, dass Claudia Mihm ihre Tochter lebend gesehen hat.
Nur wenige Stunden später stirbt Kira nach einem Autounfall. Ein völlig betrunkener Mann durchbricht im November 2009 auf der Autobahn 1 bei Reinfeld die Leitplanke und kracht frontal in den Ford Ka von Kira Mihm. Während der BMW-Fahrer den Unfall leicht verletzt überlebt, stirbt die 22-Jährige wenig später im Krankenhaus.
"Sie war so ein wunderbarer Mensch, hat sich immer liebevoll um ihre drei jüngeren Brüder gekümmert", erinnert sich die Mutter. Auch am Tag vor ihrem Tod war Kira Mihm nach Norderstedt gekommen, um mit ihrem Bruder zu einem Sportturnier zu gehen. "Danach wollte sie noch eine Freundin besuchen. Ich sagte zu ihr, es sei schon spät und sie solle lieber zu ihrem Mann nach Hause fahren", sagt Claudia Mihm. Doch Kira lässt sich von ihrem Plan nicht abbringen. Als sie später nach Hause, nach Timmendorfer Strand fährt, passiert der Unfall.
"Einige sagen zu mir, dass Zeit die Wunden heilt, und dass das Leben weitergeht. Doch das stimmt nicht", sagt Claudia Mihm. "Das Leben, das wir vorher hatten, ist vorbei." Immer wieder gibt es für sie Tiefpunkte. Halt findet sie dann in einer Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern in Hamburg. "Es klingt zwar brutal, aber in solch einem Moment tut es gut, mit jemanden zu sprechen, der das gleiche Schicksal teilt", sagt Mihm, die den Kontakt zu den Eltern von Kim-Laura Fuß gesucht hatte. Ich weiß, wie sie sich fühlen, wenn sie im Gericht dem Menschen gegenüber sitzen, der für den Tod ihres eigenen Kindes verantwortlich ist.
Für Claudia Mihm war die Verhandlung vor dem Lübecker Landgericht eine Zerreißprobe. Die Verteidiger des Todesfahrers gaben immer wieder der Autobahn-Leitplanke quasi die Schuld am Tod von Kira Mihm. Martin L., der in der Nacht zum 14. November 2009 mit mehr als zwei Promille unterwegs war, hätte die Mittelleitplanke nicht durchbrechen dürfen.
Fassungslos reagierten die Hinterbliebenen auch auf das Vorstrafenregister des heute 37-Jährigen. Immer wieder war er betrunken und ohne Führerschein Auto gefahren. Selbst eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten hatte ihn nicht zum Umdenken bewegt. "Meine Tochter musste offenbar erst sterben", sagt die Mutter, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlt. Denn nach dem Tod von Kira Mihm dauerte es fast zwei Jahre, bis Martin L. ins Gefängnis musste. Bis zur Revision ging es, dort wurde das Strafmaß noch auf vier Jahre und sechs Monate reduziert.
Für Claudia Mihm ist die lange Prozessdauer unfassbar. "Er hätte in dieser langen Zeit erneut betrunken Auto fahren und jemanden töten können", sagt die Mutter, für die dieser Gedanke unerträglich ist. Deswegen engagiert sie sich auch. Sie lässt beispielsweise Plakate mit Kiras Gesicht und Geschichte drucken und in Fahrschulen aufhängen. "Ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein", sagt Claudia Mihm und fügt hinzu: "Ich liebe sie."