Absinken des Erdreiches könnte Ursache für die Schäden an der Betondecke sein. Rund 30 Männer aus Bayern arbeiten seit Anfang April sieben Tage die Woche zwischen den Anschlussstellen Bargteheide und Bad Oldesloe. Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn hat sich am Nadelöhr umgesehen.

Bad Oldesloe. Eines der schlimmsten Nadelöhre für Autofahrer auf dem Weg Richtung Norden liegt in Stormarn: Die Baustelle an der Autobahn 1 zwischen dem Kreuz Bargteheide und der Anschlussstelle Bad Oldesloe. Für zwölf Millionen Euro wird dort seit zwei Wochen die Fahrbahn Richtung Lübeck auf einer Länge von sechs Kilometern saniert. Die Stormarnausgabe des Hamburger Abendblattes hat die Bauarbeiter auf der Autobahn einen Tag begleitet.

Es ist kurz nach zehn Uhr. Ingenieur Marco Schellhammer tippt auf den Tasten seines Laptops. "Abschlagsrechnungen", sagt er und blickt auf den Bildschirm. Er hat sich sein Büro in einem Baucontainer neben der Autobahnmeisterei in Bad Oldesloe eingerichtet. An den weißen Wänden hängen überall Baupläne, auf Schellhammers Schreibtisch und den anderen Tischen liegen akkurat gestapelte Bauprotokolle und andere Papiere. Es wirkt alles sehr steril in diesem hellen Raum mit weißen Möbeln. "Einige Baugruben, die wir ausheben, würden wir am liebsten gleich wieder zuschütten", sagt Schellhammer scherzhaft. Denn vieles, was auf der Baustelle zutage kommt, bedeute nichts Gutes.

"Vor einigen Tagen haben wir bei Baggerarbeiten einen Eisenbahntunnel, der quer unter der Autobahn verläuft, entdeckt", sagt Armin Sonnenberg, der sich das Büro mit Marco Schellhammer teilt. Er ist Ingenieur des Landesbetriebes Straßenbau und überwacht die Baustelle. "Als die Autobahn in Zeiten des Nationalsozialismus gebaut wurde, muss dieser Tunnel zugeschüttet worden sein", vermutet Armin Sonnenberg. Nun sei das im Erdreich verschwundene Bauwerk porös und habe nicht mehr genug Tragfähigkeit. Ein Abbruch des Eisenbahntunnels sei jedoch nicht nötig. "Damit die Tragfähigkeit wieder hergestellt werden kann, reicht es, den Tunnel vernünftig dicht zu machen", sagt Sonnenberg, nippt an seiner Tasse Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. Dass auch heute der Baggerfahrer wieder Unerfreuliches ans Tageslicht bringen wird, ahnt der 39-Jährige am Vormittag noch nicht. Er zieht sich seine leuchtend orangefarbene Jacke über das gebügelte karierte Hemd.

"Ich bin dann mal wieder unterwegs" ruft er seinem Kollegen Schellhammer zu und setzt sich in seinen verstaubten silberfarbenen Geländewagen. "Ich muss darauf achten, dass alles auf der Baustelle vernünftig abläuft", sagt Sonnenberg, "beispielsweise wird jedes Entwässerungsrohr vor dem Einbau von mir auf Mängel untersucht."

Nach kurzer holpriger Fahrt über Bauschutt und Sand ist er am Kilometer 38,0, am nördlichen Ende der Baustelle angekommen. Dort ist die Hälfte der alten Betondecke bereits entfernt. Viktor Wildemann zieht gerade mit seiner Walze auf der rund 200 Meter langen Sandfläche seine Bahnen. Auf einem Bildschirm in seinem zwei Quadratmeter großen Führerhäuschen ist die Autobahn in neun Fahrbahnen geteilt, die er mehrfach ausmisst. "Ich checke heute die fünf rechten Fahrbahnen", sagt der gebürtige Kasache und tippt mit seinem Finger auf den Bildschirm. Auf dem Touchscreen gibt der Bauarbeiter seine Koordinaten ein und legt den Vorwärtsgang ein. Mit zwei Kilometern pro Stunde rollt er über die Autobahn. Das Fahrzeug vibriert. "Durch die Vibrationen messen Sensoren, wie fest der Boden ist", sagt der 60-Jährige und blickt durch seine großen Brillengläser auf den Monitor. Der Computer zeichnet die Messwerte auf und färbt die Bahnen auf den Bildschirm blau, grün oder rot. "Blau ist gut, rot ist schlecht", sagt er mit kasachischem Akzent, gepaart mit niederbayrischen Dialekt. Seit 15 Jahren lebt Wildemann in Deutschland, seit 14 Jahren ist er auf vielen Baustellen in der Bundesrepublik zu Hause. "Alle zwei Wochen fahren wir nach Hause zu unseren Familien", sagt der fünffache Vater, der für die mit den Bauarbeiten beauftragte bayrische Firma Reinhold Meister GmbH arbeitet. Jährlich mehrere Monate unterwegs zu sein, mache ihm nichts aus. Auch störe es ihn nicht, täglich bis zu elf Stunden in der vibrierenden Walze zu sitzen. "Ich hab hier sogar eine Klimaanlage eingebaut", sagt er und drückt auf einen Knopf an der Dacharmatur.

Armin Sonnenberg beobachtet, wie die Walze im Schneckentempo über die Sandfläche rollt. Die vorbei fahrenden Autos wirbeln Staub auf, es ist laut. Nur wenn der Walzenfahrer den Rückwärtsgang einlegt, wird der Lärm der vorbeirauschenden Autos durch ein ohrenbetäubendes Piepen übertönt. "Den Lärm, den die Autos machen, hört man selbst noch abends im Bett", sagt Sonnenberg. "Es ist besser, wenn die Autos freie Fahrt haben." Denn sobald die Autos Stoßstange an Stoßstange an der Baustelle stehen, ernten die Bauarbeiter oft böse Blicke der Autofahrer. "Wir werden sogar beschimpft. Dann kommt es auch mal vor, dass wir mit Gegenständen beworfen werden. Mich hat mal fast ein Feuerzeug getroffen", erinnert sich der Bauingenieur. "Dabei können wir nichts dafür, wenn ein Autofahrer der Meinung ist, gegen die Leitplanke fahren zu müssen", scherzt Sonnenberg.

Seit Anfang April wird an sieben Tagen in der Woche auf dem rund sechs Kilometer langen Bauabschnitt nahe Bad Oldesloe gearbeitet. "Wir rechnen damit, dass die Tiefbauarbeiten im Juli abgeschlossen sein werden. Dann soll die neue Betondecke gegossen werden", sagt Sonnenberg. Mitte September sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Zuletzt war dieser Autobahnabschnitt 1976 erneuert worden. "Damals wurde noch ganz anders gearbeitet als heute", sagt Sonnenberg und hockt sich an die Stelle, an der die alte Betondecke aufgeschnitten wurde. Mit den Fingerspitzen schabt er an der untersten Schicht entlang. "Früher bestand die Frostschutzschicht zur Entwässerung aus Sand", sagt er und reibt das feuchte Sedimentgestein zwischen seinen Fingern, der goldene Ehering glänzt in der Sonne. Heute wird die alte Betondecke in kleine Steine zerkleinert, diese bilden die neue 18 Zentimeter dicke Frostschicht. "Dadurch wird die Tragfähigkeit besser, und das Regenwasser kann leichter abfließen." Auf die Frostschicht wird eine 20 Zentimeter dicke Verfestigung gebaut. Auch hier kommt der auf der Baustelle recycelte Beton zum Einsatz. Der Bauunternehmer hat von einem Bauern ein Stück Land gemietet, dort wird er seine Mischmaschine aufstellen. Der zerkleinerte Beton wird mit Zement gemischt. Daraus wird die Verfestigungsschicht gebaut. Darauf kommt noch eine Vlieslage, die die Kräfte, die beim Beschleunigen oder Abbremsen auf die Straße wirken, besser verteilt und damit die Fahrbahn schützt. Mit einer Dicke von 27 Zentimetern bildet Waschbeton die oberste Schicht. 30 Jahre soll die Fahrbahn halten.

Doch bevor die neue 65 Zentimeter dicke Decke gebaut werden kann, müssen die Entwässerungsrohre in einer Tiefe von bis zu zwei Metern erneuert werden. Polier Timo Feseck hockt sich vor eine Baugrube und guckt, ob die Bauarbeiter die Rohre, die später unter der Mittelleitplanke verlaufen werden, an der richtigen Stelle verlegen. Ein grüner Laser zeigt ihm dabei die Richtung und das nötige Gefälle an. "Der darf am Abend zuvor keinen Alkohol trinken", flachst Armin Sonnenberg und haut dem Polier auf die Schulter. Auch der Bauingenieur beobachtet die beiden Bauarbeiter in der Grube sehr genau. "Zu meinen Aufgaben gehört es auch, dass die Bauarbeiter ihre Schutzkleidung tragen. Natürlich ist es lästig, einen Helm aufzusetzen, doch das ist wichtig. Auf einer Baustelle kann viel passieren", sagt der 39-Jährige.

Während Armin Sonnenberg mit seinem Geländewagen am späten Nachmittag an Bergen von Betonbrocken vorbeifährt, klingelt sein Handy. Die Messergebnisse aus der Walze von Viktor Wildemann sind da. Bevor es wieder zum Kilometer 38,0 geht, sammelt Sonnenberg noch seinen Kollegen Marco Schellhammer ein, der die Messungen auswertet. "An diesen Stellen sollten wir uns das Ganze mal genauer angucken", sagt Schellhammer und tippt auf den Monitor in dem kleinen Führerhaus der Walze. Ein Bagger kommt angerollt. Gespannt versammeln sich die Bauingenieure und Bauarbeiter an der Stelle, wo der Boden genauer unter die Lupe genommen werden soll. Mit jeder Schicht, die die große Schaufel abträgt, kommt das zutage, was die Ingenieure befürchtet haben. In 60 Zentimeter Tiefe befindet sich unter dem Sand eine graue Lehmschicht. "Das ist nicht gut", sagt Marco Schellhammer, der aus dem Sandhaufen, den der Baggerfahrer neben der Grube gebildet hat, ein Lehmbrocken raus nimmt und in seiner Hand zerbröselt. "Kommt Feuchtigkeit in diese Schicht, dann ist der Lehm wie ein Schwamm, darauf können wir nicht die neue Fahrbahn bauen", sagt der Fachmann. Für die Baufirma bedeutet dies, dass sie nun den Boden an dieser Stelle austauschen muss und die Bauingenieure sind sich sicher, dass unter der Sandfläche auf der Baustelle noch die eine oder andere Überraschung auf die Bauarbeiter lauert.