120 Gelehrte wollen sich mit Hilfe des “Goldenen Buches“ für die Abschaffung des Brauchs einsetzen. Annette Weber: “Begeisterung hat uns überwältigt.“

Addis Abeba/Rausdorf. Seit Jahren kämpft Rüdiger Nehberg gemeinsam mit seiner Partnerin Annette Weber vom Verein Target gegen Genitalverstümmelung in Afrika. Jetzt ist dem Paar aus Rausdorf ein entscheidender Schritt im Kampf gegen die Beschneidung junger Mädchen gelungen: 120 islamische Geistliche aus Ostafrika haben in Addis Abeba (Äthiopien) einstimmig beschlossen, sich kraft der Religion und mit Hilfe des von Target herausgegebenen Goldenen Buches für die Abschaffung des umstrittenen Brauchs in ihren Ländern einzusetzen.

Die Kernbotschaft - "Die genitale Verstümmelung von Mädchen ist mit den Grundlehren des Islam unvereinbar und deshalb Sünde" - wurde erstmals vor Hunderten von Gläubigen beim Freitagsgebet in der Sheikh-Shogolle-Moschee verkündet. "Uns hat die Begeisterung, mit der das Goldene Buch von den Gläubigen angenommen wurde, überwältigt", sagt Annette Weber. Das Goldene Buch, in dem die wichtigsten Islamgelehrten die Beschneidung verurteilen, soll in allen Moscheen der 35 betroffenen Länder verteilt werden und Imamen als Grundlage ihrer Predigten dienen (wir berichteten). In der von Nehberg, Target und dem Rat für Islamische Angelegenheiten Äthiopiens einberufenen Gelehrtenkonferenz war es zunächst zu Diskussionen gekommen: Vertreter aus

Äthiopien und Sudan wollten den Brauch in abgeschwächter Form, der so genannten Sunna-Beschneidung beibehalten. "Sunna" meint die Abtrennung von Teilen der Klitoris mit der Begründung, dass dies die Frau ehre. Daraufhin trugen 20 betroffene Mädchen ein Spruchband mit Rechtsgutachten der Al-Azhar-Universität zu Kairo in den Saal. Ein elfjähriges Mädchen schilderte seine grausamen Erinnerungen, eine Frau berichtete von Qualen der Empfängnis und Geburt. Referenten aus Theologie und Medizin, Filmbeiträge mit Statements höchster Rechtsgelehrter wie des Großmufti von Ägypten, Ali Gom'a, und Sheikh Yusuf al-Qaradawi aus Katar, konnten die Zweifler überzeugen, alle Formen der Verstümmelung zu verdammen. "Das ist ein Durchbruch. Für die Menschen hier ist es wichtig zu erfahren, dass sie kein Gebot

des Islam brechen, wenn sie den Brauch beenden", sagte der deutsche Botschafter Claas Dieter Knoop. "Das Ergebnis gibt Millionen Mädchen in Somalia, Sudan, Dschibuti, Äthiopien und Somalialand Hoffnung", ergänzte Nehberg.

In Äthiopien und seinen Nachbarländern wird bis heute die "Pharaonische", die schlimmste Form der Verstümmelung praktiziert. Dabei werden Klitoris und Schamlippen ohne Betäubung mit Rasierklingen, Dosendeckeln oder Scherben abgeschnitten, die Scheide zugenäht.